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Wie Inklusion unter Kindern die Gesellschaft verändern kann

9 Min
Vom Kindergarten in die Schule: Kein leichter Weg für Menschen mit Behinderung.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Kindern mit Trisomie 21 und ihren Eltern liegen immer noch viele Steine im Weg. Dabei nützt es sogar der Wirtschaft, sie zu fördern.


Im Alter von drei Jahren ist Max* in den Kindergarten gekommen. Warum das erwähnenswert ist? Weil er Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom, hat. Und ein Kindergartenplatz mit drei Jahren ist ungewöhnlich früh, weil betroffenen Kindern und ihren Eltern immer noch Steine in den Weg gelegt werden: beim Einstieg ins Bildungssystem, bei der Suche nach Therapieplätzen, im Kampf um eine ordentliche Schullaufbahn bis hin zur Jobsuche abseits geschützter Werkstätten. Dabei würde die gesamte Gesellschaft von mehr Inklusion profitieren.

Dass Max Trisomie 21 hat, ist eine Überraschung für seine Mutter Sonja*. Denn in ihrer Familie kommt diese Diagnose bis dahin nicht vor. Zusätzlich befürchten die Ärzt:innen auch einen schweren Herzfehler, den Max dann aber doch nicht hat. Keine zwei Stunden nach der Geburt dann der erste Schlag ins Gesicht: Ein Arzt sagt Sonja auf den Kopf zu, was für eine Katastrophe das für sie sei. Zwei Wochen später erklärt dann die Ärztin bei einer genetischen Beratung rundheraus: „Wenn Sie wieder schwanger werden, kommen Sie zu uns, dann können Sie gerne abtreiben, damit Sie nicht wieder so ein Kind auf die Welt bringen müssen.“ Das Fass zum Überlaufen bringt dann ein Kinderarzt im Entwicklungszentrum mit den Worten: „Naja, da haben Sie jetzt schon die Arschkarte gezogen“ – vor den Ohren der damals sechs Jahre alten großen Schwester. Zum Glück werden Sonja und ihr Sohn im Familien- und Freundeskreis aufgefangen. „Die Reaktionen waren hier ausschließlich positiv“, erzählt sie im Rückblick.

350 Euro im Monat für den privaten Kindergarten

Auch die Suche nach einem Kindergartenplatz erweist sich als Odyssee: „Als mein Sohn ein halbes Jahr alt war, habe ich zum ersten Mal beim Magistrat seine besonderen Bedürfnisse angemeldet, wohl wissend, dass es in Wien schwierig ist, einen inklusiven Platz zu bekommen.” Tatsächlich warten laut dem Verein Integration Wien derzeit fast tausend Kinder in der Hauptstadt darauf. Sonja wird beschieden, dass sie sich später wieder melden soll, was sie nach einem Jahr erneut tut – ohne Erfolg. Vier Jahre lang ist kein öffentlicher Kindergarten für Max in Aussicht. Die Karenz ist längst vorbei, die Alleinerzieherin muss wieder Geld verdienen und bringt ihren Sohn deshalb im Alter von drei Jahren in einer privaten Kindergruppe unter, die sie 350 Euro im Monat kostet.

Dann endlich die scheinbare Erlösung: Zehn Autominuten von daheim entfernt wird ihr für Max ein kostenloser Platz angeboten. Doch ein herzliches Willkommen gibt es dort nicht: „Als ich erst einmal schnuppern kommen wollte, hat die Leiterin gefragt: ‚Wieso? Sie müssen ja sowieso nehmen, was Sie kriegen.‘ Ich habe mich als Bittstellerin gefühlt.“ Die Sonderpädagogin vermittelt auch nicht gerade den besten Eindruck. In diese Hände will Sonja ihren Sohn nicht geben.

Hilfe vom Bildungsstadtrat

In ihrem Frust fasst sie sich ein Herz und schreibt ein E-Mail an den damaligen Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ), „in dem ich alles geschildert habe, was mir unter den Nägeln gebrannt hat“. Und plötzlich ist ein Platz verfügbar, ebenfalls zehn Minuten mit dem Auto entfernt, „aber zumindest in unserem Bezirk. Eine meiner Klientinnen hat im 18. Bezirk gewohnt und im 18. Bezirk gearbeitet, aber einen Kindergartenplatz im 4. Bezirk bekommen – mit Betreuung von 8 bis 12 Uhr.“ Doch auch hier ist der erste Eindruck negativ: „Die Sonderpädagogin hat meinen Sohn angegriffen wie ein Stück Holz, und sie hat nicht sehr motiviert gewirkt, um es freundlich zu formulieren.“

Plötzlich bekommt sie unverhofft zwei weitere Plätze zur Auswahl, „und da hat es dann gut gepasst.“ Inzwischen geht Max in die Vorschule im Rahmen der Mehrstufenklasse einer Privatschule, wo sein Entwicklungsstand – der aktuell etwa dem eines Dreijährigen entspricht – kein Problem darstellt. Über die Kosten denkt seine Mutter als alleinerziehende Selbständige lieber nicht nach. Immerhin: Die Basistherapien für seine Trisomie 21 bezahlt die Krankenkasse. „Allerdings haben wir bei der Ergotherapie fünf Jahre auf einen Kassenplatz gewartet“, berichtet Sonja. Bemerkung am Rande: Während sie für die private Krankenzusatzversicherung ihrer Tochter monatlich 10 Euro bezahlt, wären es für ihren Sohn ganze 300 Euro (!) im Monat gewesen.

Keiner hat sich zuständig gefühlt, alle haben sich auf andere ausgeredet.
Erfahrung einer Mutter auf der Suche nach einem Kindergartenplatz für ihren Sohn mit Trisomie 21

Dass Max trotz Geburtstag im Juli noch eine Ehrenrunde in der Vorschule drehen darf, hat er dem Kampfgeist seiner Mutter zu verdanken. „Bildungsdirektion, Jugendamt, Juristin – keiner hat sich zuständig gefühlt, alle haben sich auf andere ausgeredet.“ Diese Erfahrung musste auch Martin Rauch machen. Sein Sohn Moritz wurde als August-Geborener planmäßig eingeschult – als jüngstes Kind in der Klasse, und das bei einer ohnehin verzögerten Entwicklung. „Das Problem ist, dass Kindergartenorganisation und -gesetz und Schulbehörden und -gesetz zwei völlig unterschiedliche Baustellen sind“, erläutert Rauch, der Vorstandsmitglied im Verein Down-Syndrom Wien ist.

Später in die Schule, später aus der Schule – bessere Jobs

Wie wichtig für Kinder mit Trisomie 21 ein zusätzliches Jahr im Kindergarten ist, erklärt Claudia Mühlbacher, die Leiterin des gemeinnützigen Vereins 3x21 in Wien-Liesing: „Zu viele Menschen mit Down-Syndrom landen später in geschützten Werkstätten. Würden sie später eingeschult werden und könnten sie länger in der Schule bleiben, hätten sie in der Folge viel bessere Chancen auf einen Job am Arbeitsmarkt.“ Die Realität sieht allerdings allzu oft so aus, dass für die betroffenen Jugendlichen, die ihren Altersgenoss:innen ohnehin hinterher sind, mit 15 Jahren im Bildungssystem Schluss ist. So wie bei ihrem Sohn Julian, der auch Trisomie 21 hat: „Er war vier Jahre in der Volksschule, vier Jahre in der Mittelschule, und nach dem einjährigen Polytechnikum geht es im Schulsystem aber nicht weiter“, schildert Mühlbacher. Mehr lässt der Gesetzgeber derzeit nicht zu, und da für Pflichtschule und Oberstufe verschiedene Behörden zuständig sind, putzt sich eine an der anderen ab. Die Politik hätte es in der Hand, die Situation zu verbessern. Allerdings legt sich die ÖVP quer; alle anderen Parteien sind für eine Gesetzesänderung.

Eine breit unterstützte Petition fordert daher ein Recht auf ein zehntes, elftes und zwölftes Schuljahr – also auf einen Schulbesuch bis 18 Jahre – für Menschen mit Behinderung. „Denn jedes zusätzliche Schuljahr ist Gold wert“, betont die Mutter eines Sohnes mit Trisomie 21, der bei einer großen Fast-Food-Kette arbeitet: „Julian ist glücklich, ihm wird dabei nicht langweilig, im Gegenteil, ihm tut diese durchstrukturierte Arbeit gut“, berichtet Mühlbacher. „Und wenn er dann auch noch das Essen servieren und den Gästen einen guten Appetit wünschen kann, ist sein Tag perfekt.“ Es ist eine Win-Win-Win-Situation: Julian hat einen richtigen Job, der Geld einbringt; das Unternehmen hat einen Angestellten, der diese Arbeit gern macht; die Kundschaft kommt in Berührung mit einem Menschen, der Trisomie 21 hat, und zwar auf ganz natürliche Weise; auch der Staat profitiert davon, weil er Julians Steuern einnimmt, statt ihm einen Platz in einer geschützten Werkstatt finanzieren zu müssen.

Ganz alltägliche Begegnungen

Das ist überhaupt der wichtigste Faktor bei der Inklusion: alltägliche Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung. So wie in der Kindergartengruppe, die Max letztlich besucht hat, in der sich seine Anwesenheit sogar positiv ausgewirkt hat. Denn immer, wenn der kleine Bub mit Trisomie 21 da war, wurde der größte Rowdy in der Gruppe plötzlich lammfromm. „Das hat mir die Pädagogin einmal erzählt, was für einen Unterschied es gemacht hat, wenn mein Sohn gefehlt hat“, berichtet Sonja.

Dass Kinder mit Down-Syndrom etwas Besonderes an sich haben, davon ist auch Alexandra Csar überzeugt. „Das ist eine ganz eigene Ausstrahlung. Sie können schon auch aufdrehen zwischendurch, aber sie bringen sehr viel Ruhe in die Gruppe hinein.“ Sie koordiniert selbst eine Vorzeigeeinrichtung: Dank eines gewonnen Fördercalls des „Licht ins Dunkel“-Jubiläumsfonds konnten die Kinderfreunde in Wien-Favoriten einen Leuchtturmkindergarten aufbauen, der in Sachen Inklusion alle Stück’ln spielt. Während ein Regelkindergarten bei gleicher Größe um die 20 Mitarbeiter:innen hat, sind es hier 31. Eine Logopädin ist ebenso im Haus wie eine Ergotherapeutin, eine Sozialarbeiterin oder eine Psychologin. Dazu kommen Kooperationen mit der nahen FH Wien, der Bundesbildungsanstalt für Elementarpädagogik und anderen einschlägigen Ausbildungsstätten, „die offenbar nur darauf gewartet haben, dass wir sie fragen“, sagt Csar.

Kinder mit Trisomie 21 bringen sehr viel Ruhe in die Gruppe hinein.
Alexandra Csar, Koordinatorin im Leuchtturmkindergarten der Kinderfreunde in Wien-Favoriten

Das Ergebnis sind Gruppen, in denen Kinder mit und ohne besondere Bedürfnisse unbefangen miteinander spielen. Denn gerade im Kindergarten und da besonders in den sogenannten Familiengruppen fällt eine verzögerte Entwicklung nicht so stark auf. Abgesehen davon, dass etwa viele Kinder mit Down-Syndrom auch einen ganz regulären Kindergartenplatz nehmen könnten, weil sie gar keine besondere Betreuung bräuchten. Doch die Diagnose Trisomie 21 dürfte per se abschrecken. Dabei liegt es im Ermessen der jeweiligen Einrichtung, ob sie sich solche Integrationskinder auch ohne Sonderpädagogik zutraut.

Jeder investierte Euro kommt achtfach zurück

Tatsächlich ist im Leuchtturmkindergarten der Kinderfreunde der Betreuungsbedarf höher, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Entsprechend teuer ist das Projekt, das als Modell dient und die Politik überzeugen soll, dass es sich lohnt, Geld in noch viel mehr inklusive Kindergärten zu stecken. Csar kann eine Feststellung der Sozialpartner aus dem Jahr 2022 nur bestätigen: „Jeder in die Elementarbildung investierte Euro kommt achtfach zurück. Mindestens.“ Und je früher Kinder mit Behinderung mit „normalen“ Gleichaltrigen zusammengebracht werden, desto förderlicher ist das für ihre Entwicklung.

Der Mangel an Inklusionsplätzen ist auch eine Armutsfalle für die Betroffenen. Denn ohne nachgewiesenen Betreuungsplatz können sich die Eltern, die sich daheim um ihre Kinder kümmern müssen, nicht einmal arbeitslos melden. Und ohne nachgewiesenes Einkommen bekommen sie keinen Betreuungsplatz. Ein Teufelskreis. Auch deshalb nimmt eine laufende Petition aller großen Kindergartenträger die Politik in die Pflicht, „das Recht des Kindes auf Bildung umzusetzen, durch kostenlose und flächendeckende elementare Bildung für jedes Kind und bestens ausgebildete Fachkräfte, die Kinder in ihrer Entwicklung entsprechend begleiten und fördern“.

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Immerhin verspricht der aktuelle Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) eine Verbesserung. Auf Anfrage der WZ lässt er durch seinen Sprecher ausrichten: „Wir werden in einigen Wochen Neues dazu kommunizieren. Ja, wir sind intensiv damit beschäftigt, Rahmenbedingungen und Strukturen für einen Ausbau des inklusiven Platzangebots zu schaffen.“ Rund tausend Kinder warten darauf.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.


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Infos und Quellen

Genese

Wie jedes Jahr bekam WZ-Redakteur Mathias Ziegler ein Info-Mail im Vorfeld des Wiener Opernballs, in dem das aktuelle Debütant:innenpaar mit Trisomie 21 präsentiert wurde, das der Verein „Ich bin O.K.“ für die Eröffnung stellt: Fiona Wolf und Niklas Kern haben bei den Special Olympics bereits Goldmedaillen errungen. Wie aber steht es abseits dieses Glamour-Ereignisses um die Situation von Menschen mit Trisomie 21? Dieser Frage ist Mathias Ziegler nachgegangen – und im Kindergarten gelandet, wo laut dem Verein Integration Wien derzeit fast tausend Kinder mit Behinderung (nicht nur Down-Syndrom) auf einen Inklusionsplatz warten.

Gesprächspartner:innen

Daten und Fakten

Bei Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, und nach dem englischen Arzt John Langdon Haydon Down (1828 bis 1896) benannt, haben die Betroffenen in jeder Körperzelle 47 statt 46 Chromosomen (die Chromosomen enthalten die Erbinformationen der Mutter und des Vaters, die sogenannten Gene). Das Chromosom 21 kommt also dreimal statt nur zweimal vor (daher auch der Name). Das wird entweder vererbt oder passiert rein zufällig. Das Down-Syndrom ist keine Krankheit, sondern eine genetisch bedingte Veranlagung für verschiedenste körperliche und geistige Besonderheiten. Das zusätzliche Chromosom führt je nach Ausprägung zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen und geistigen Beeinträchtigungen, die von nur leichten Einschränkungen bis zu schwerer Behinderung reichen (Herzfehler, Seh- oder Hörstörungen, Fehlbildungen im Verdauungstrakt, Erkrankungen der Schilddrüse, Autoimmunerkrankungen oder schwaches Immunsystem: Die Betroffenen sind anfälliger für Infektionen. Beispielsweise sind sie anfälliger für eine Lungenentzündung oder eine Mittelohrentzündung, erhöhtes Risiko für Leukämie, erhöhte Neigung für Alzheimer-Demenz, psychische Störungen wie Autismus, Probleme mit den Knochen und Gelenken, Fehlbildungen der Wirbelsäule). Die durchschnittliche Lebenserwartung mit Trisomie 21 beträgt etwa 60 Jahre, Tendenz steigend; etwa jede:r zehnte Betroffene erreicht das 70. Lebensjahr. Bereits bei jungen Betroffenen kann es zu Symptomen einer Alzheimer-ähnlichen Demenz kommen. Trisomie 21 zeigt sich oft durch eine verhältnismäßig kleine Körpergröße und eine besondere Gesichtsform (mandelförmige, schräg stehende Augen, kleiner Kopf, kleine Mundhöhle mit großer Zunge). Viele Kinder mit Down-Syndrom lernen später sitzen, gehen oder sprechen als Gleichaltrige.

Trisomie 21 kommt bei etwa einem von 600 Neugeborenen vor. Sie entsteht im Zuge der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Die genauen Ursachen dafür sind bis heute nicht geklärt.

Das Down-Syndrom selbst kann nicht behandelt werden – es bleibt lebenslang bestehen. Aber eine individuelle Förderung, etwa mit Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie oder Heilpädagogik, kann Betroffenen schon ab den ersten Lebensjahren helfen, sich bestmöglich zu entwickeln und später ein möglichst eigenständiges Leben zu führen. Und natürlich müssen physische Folgeschäden entsprechend behandelt werden, etwa durch entsprechende Operationen, Medikamente oder Hör- und Sehhilfen.

In der derzeitigen Gesetzgebung wird das Down-Syndrom gleichgesetzt mit einer Schwerstbehinderung. Somit besteht aktuell die Möglichkeit, einen Embryo mit der Diagnose Down-Syndrom bis zur Geburt abtreiben zu können. Das Institut für Ehe und Familie weist in diesem Zusammenhang auf eine Studie des European Journal of Human Genetics, die nahelegt, dass in Europa mutmaßlich jedes zweite Kind mit Down-Syndrom abgetrieben wird, Tendenz steigend. In konkreten Zahlen werden in Europa jährlich im Durchschnitt etwa 8.000 Kinder mit Trisomie 21 geboren, also 10,1 auf 10. 000 Lebendgeburten. Ohne elektive Schwangerschaftsabbrüche wären es jährlich rund 17. 300 (also 21,7 auf 10.000 Lebendgeburten). Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die oft durchgeführte Nackenfaltenmessung beim Screening im Mutterleib nur einen Hinweis auf eine mögliche Trisomie 21 geben kann, aber keinen hundertprozentigen Nachweis darstellt. Bei der Fruchtwasserpunktion kann das Down-Syndrom relativ zuverlässig diagnostiziert werden, allerdings besteht ein gewisses Risiko, durch diese Untersuchung eine Fehlgeburt auszulösen. Tragische Berühmtheit erlangte das „Oldenburger Baby“ namens Tim, das im Jahr 1997 seine Spätabtreibung in der 25. Schwangerschaftswoche (Diagnose: Down-Syndrom) unerwartet überlebte und – nun erst recht mit schwersten Behinderungen – noch 21 Jahre alt wurde. Tim lebte bei einer Pflegefamilie; seine leiblichen Eltern erstritten 13.000 Euro Schmerzengeld von der Klinik, weil sie laut eigener Aussage nicht über die Möglichkeit eines solchen Ausgangs der Abtreibung informiert worden waren. Seine leibliche Mutter lernte Tim nie kennen.

Manche indigenen Stämme in Südamerika betrachten Neugeborene mit Down-Syndrom nicht als Belastung, sondern als göttliches Geschenk. Ihre Familien dürfen ganz nahe beim Schamanen wohnen, weil ihnen eine direkte Verbindung zu den Göttern zugeschrieben wird.

Quellen

Das Thema in anderen Medien