Die ÖVP verliert eine Wahl nach der anderen. Doch ÖVP-Chef Nehammer hat das Vertrauen der Partei. Wie lang noch?
Und wieder hat die ÖVP verloren. Nach einem Minus von 11,19 Prozentpunkten bei der Nationalratswahl verlor sie in Vorarlberg 5,2 Prozentpunkte. Das nächste Debakel droht in der Steiermark. Bei den steirischen Landtagswahlen in wenigen Wochen erwartet die Volkspartei erneut ein zweistelliger Verlust. Wie lassen sich diese Pleiten erklären?
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Nach der Nationalratswahl sprach ÖVP-Chef Karl Nehammer von einer Aufholjagd, nachdem die Partei in Umfragen zuvor noch schlechter dastand. Ein gewagtes Argument, doch er kam damit durch. Nur, wie lang funktioniert diese Erzählung? Wie oft kann die ÖVP noch verlieren, bis Nehammer infrage gestellt wird?
Karl Nehammer wurde Ende 2021 Bundesparteiobmann der ÖVP, ein Posten, der als Schleudersessel gilt. Nehammer ist in zwei Jahrzehnten bereits der siebte ÖVP-Chef – und jener, der die größten Abstürze bei Wahlen in der Parteigeschichte zu verantworten hat. Kann er die Pleiten vergessen machen?
Kaum Optionen
„Für Nehammer geht es nun darum, dass die ÖVP in Vorarlberg und dann in der Steiermark auch weiterhin den Landeshauptmann stellt“, meint die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle zur WZ, „und dass er selbst Bundeskanzler bleibt.“
In Vorarlberg ist die ÖVP trotz der Verluste und dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der Partei auf dem ersten Platz geblieben, die Chancen stehen also gut. In der Steiermark liegt die FPÖ in Umfragen auf Platz eins, eine ÖVP-SPÖ-Mehrheit könnte knapp werden und damit der Landeshauptmann weg sein.
SPÖ-Chef Andreas Babler und Nehammer kennen einander nicht.Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle
Und auch auf Bundesebene sind Nehammers Optionen limitiert.
Eine Koalition mit der FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl schließt er aus. Bleibt nur die Dreierkoalition mit der SPÖ, die selbst instabil ist – und einer Kleinpartei. Ein schwieriges Unterfangen. „SPÖ-Chef Andreas Babler und Nehammer kennen einander nicht“, erklärt Stainer-Hämmerle. Und die Frage stellt sich, ob Babler in ein paar Monaten überhaupt noch Parteiobmann ist.
Die Kampagne des PR-Beraters
In der vergangenen Woche startete PR-Berater und SPÖ-Mitglied Rudolf Fußi eine Kampagne, um der Partei, die er in einem „erbärmlichen Zustand“ sieht, zu einem neuen Parteivorsitzenden zu verhelfen. Die Kampagne läuft bis Ende Dezember. Finden sich 14.000 Stimmen aus vier Bundesländern, findet die Wahl statt.
Doch auch wenn es keine Wahl gibt und Babler bleibt, werden die Verhandlungen zwischen ihm und Nehammer kein leichtes Unterfangen.
Politologe Peter Filzmaier sieht ein inhaltliches Dilemma. Die Positionen der beiden liegen in wirtschaftlichen Fragen weit auseinander. Babler fordert Vermögenssteuern, Nehammer ist dagegen. Babler setzt auf Solidarität, Nehammer auf Freiheit. „In einer wirtschaftlich guten Lage könnten sie sich bei Sachthemen abtauschen“, erklärt der Politologe.
Warum soll es eine Koalition mit der SPÖ geben?
Doch die Lage ist schlecht. Österreichs Wirtschaft wird 2024 erneut schrumpfen. Damit dauert die Rezession das zweite Jahr an – eine Entwicklung, die es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gab. Eine brüchige Koalition wird das kaum auffangen können. „Ein Verwaltungs-Regierungsprogramm wird nicht reichen“, sagt Filzmaier.
Nehammer braucht eine positive Erzählung für eine Koalition mit der SPÖ.Politologe Peter Filzmaier
„Nehammer braucht eine positive Erzählung, warum es diese Koalition mit der SPÖ geben soll“, erklärt er. „Auch gegenüber den eigenen Leuten in der ÖVP.“ Sie sind es schließlich, die in den nächsten Monaten auf der Straße, in Bierzelten und in Wirtshäusern unterwegs sein werden, um die Bürger:innen in den Gesprächen von der ÖVP zu überzeugen.
Denn mit dem Wahlreigen geht es nach der Steiermark munter weiter. Im Jänner wird der Landtag im Burgenland gewählt, am 26. Jänner folgt die Gemeinderatswahl in Niederösterreich – jenem Bundesland, in dem die ÖVP mit der FPÖ koaliert.
Der Einfluss der blauen Befürworter:innen
Es ist ein schwarz-blaues Modell, das es ebenso in Oberösterreich und in Salzburg gibt. In der Bundespartei gibt es viele Befürworter:innen für eine Koalition mit der FPÖ. Die ÖVP sei der FPÖ inhaltlich näher, argumentieren sie. Zudem konnte die ÖVP den Erfolgslauf der FPÖ schon zweimal in Koalitionen stoppen. 2002 wurde die FPÖ unter Jörg Haider entzaubert, 2019 stolperte HC Strache über die Ibiza-Affäre. Je mehr die FPÖ also gewinnt, desto größer wird der Einfluss der Befürworter:innen in der ÖVP werden.
Die FPÖ selbst kann auf Zeit spielen. Mit jeder gewonnenen Wahl steigen die Parteiförderungen, die Anzahl der Sitze in den Landesparlamenten und die Macht der Partei. „Die FPÖ könnte in bis zu sechs Bundesländern mitregieren und ihr Personal aufbauen“, sagt Stainer-Hämmerle, „eine ideale Vorbereitung für eine Koalition im Bund.“
Und Kickl weiß, je länger die ÖVP mit der SPÖ verhandelt und vielleicht dann doch scheitert, desto stärker wird die Position der FPÖ sein, wenn die ÖVP auf sie angewiesen sein wird. Dann wird Nehammer allerdings nicht mehr ÖVP-Parteichef sein.
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Genese
Wie wirken sich die hohen Verluste der ÖVP auf Parteiobmann Karl Nehammer aus, fragte sich WZ-Redakteur Bernd Vasari und begann zu recherchieren.
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Der Standard: Dossier Nationalratswahl
Die Presse: Eins, zwei oder drei: Was für welche Koalition spricht
Profil: Vier gegen Kickl