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Wie sich ein Bürgermeister dem Hausärzt:innenmangel stellte

6 Min
Österreichische Hausärzt:innen kämpfen mit den finanziellen Kosten, ihre Praxis zu modernisieren und auf dem neuesten Stand zu halten.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Veraltete Praxen, hohe Ordinationskosten, keine finanzielle Unterstützung: Es ist nicht leicht, eine Hausarztstelle nachzubesetzen. Doch es ist möglich: Teesdorf geht mit einem ungewöhnlichen Beispiel voran.


„Servus!“, „Grüße Sie!“, Grüß Gott!“, „Hallo!“: Peter Adamcik kommt vor lauter Zurückgrüßen im Supermarkt kaum zum Einkaufen. Jeder kennt ihn, und er kennt beinahe alle Bewohner:innen der kleinen Gemeinde. Mitsamt ihren Leiden und Krankheiten. Denn seit annähernd 30 Jahren ist er der Hausarzt in Teesdorf. Doch nun geht er in Pension. Er ist 62 und möchte das Leben mit seinen Enkelkindern genießen. Den Bürgermeister hatte er schon vorgewarnt, dass die Nachbesetzung seiner Praxis schwierig werden könnte.

Es ist Zeit, dass eine junge Ärztin oder ein junger Arzt seine Praxis in der Gemeinde Teesdorf im Bezirk Baden in Niederösterreich übernimmt. Leichter gesagt als gefunden. „Es war ein ganz großes Problem, einen Nachfolger, eine Nachfolgerin für diese kleine Gemeinde zu finden“, sagt Bürgermeister Hans Trink im Gespräch mit der WZ. Die Stelle wurde über die Ärztekammer ausgeschrieben, niemand hat sich gemeldet. „Die Einnahmen eines Hausarztes sind nicht so hoch“, meint er, und wären somit kein Anreiz gewesen. Trink hat herumtelefoniert, ob jemand einen Arzt oder eine Ärztin kennt, der/die Interesse hätte. Ohne Erfolg.

Vom Spital in die eigene Praxis

Dann ist dem Bürgermeister eingefallen, dass in der Spinnerei, einem Wohnblock in Teesdorf, eine Ärztin zu Hause ist. Er hat sie angerufen und „die Situation erklärt und angeweint“. „Das kann ich gut, das liegt mir“, fügt er lachend hinzu. Berna Öztatiklier war eigentlich Fachärztin der Gynäkologie in Eisenstadt. „Der Anruf des Bürgermeisters überraschte mich“, sagt die heutige Allgemeinmedizinerin, „ich habe zwei Tage für die Entscheidung gebraucht.“ Eine eigene Praxis bedeute, ihre eigene Chefin zu sein. Als angestellte Fachärztin in einem Spital sei es eine ganz andere Art zu arbeiten. Öztatiklier kam zudem gerade aus der Karenz und war in Elternteilzeit. „Die Nachtdienste im Spital auf der Gynäkologie waren sehr hart“, erinnert sie sich im Gespräch mit der WZ. Deshalb fiel ihr die Entscheidung nicht schwer.

Hohe Kosten, um Ordination zu erhalten

2018 übernahm sie die Praxis, 2021 baute sie Öztatiklier auf eigene Kosten aus. Das Angebot aus dem Kassenvertrag erweiterte die Allgemeinmedizinerin etwa um Stoßwellentherapie, Dunkelfeldmikroskopie – eine besondere Blutuntersuchung, um den Zustand einzelner Organe, Organsysteme und Körperregionen zu erkennen – oder um einen therapeutischen Laser. Zusätzlich gibt es eine Heilmasseurin und eine Wundmanagerin. „Eine kleine Klinik“, sagt Trink mit leichtem Stolz in der Stimme.

Ein finanzielles Zuckerl der Gemeinde

Und wie ist es finanziell überhaupt möglich, diese Praxis zu führen? „Die Nebenkosten sind sehr hoch, um eine Ordination zu betreiben. Allein die EDV, die monatlich bezahlt wird, kostet ein Vermögen, dazu Personal-, Praxis- und Betriebskosten“, sagt Öztatiklier. „Ich bin nichts ohne mein Personal.“ Und Bürgermeister Trink war sich dessen bewusst: „Aus diesem Grund wurde die Miete befristet erlassen, und nun unbefristet verlängert.“ Immerhin seien dies seit dem Umbau insgesamt 217 Quadratmeter „mit einem Quadratmeterpreis von rund zehn Euro pro Monat“. Ein besonderes Zuckerl, damit Teesdorf eben nicht mit einem Hausärzt:innen-Mangel zu kämpfen hat. Wobei: Die Praxis befindet sich im Gemeindehaus von Teesdorf, es brauchte lediglich einen Beschluss des Gemeinderats für den Erlass der Miete.

Die neue Praxis in Teesdorf.
Der Teesdorfer Bürgermeister Hans Trink (v. r.) und Hausärztin Berna Öztatiklier mit ihrem Team bei der Eröffnung der umgebauten Praxis.
© Fotocredit: Gemeinde Teesdorf

Doch nicht überall läuft es so reibungslos: Der Umbau bzw. Neubau einer Praxis ist teuer. Viele Gemeinden werben mit Unterstützungen bei Mieten, Erneuerungen, um überhaupt noch Ärzt:innen in abgelegenere Gegenden zu bekommen. Doch das kann schief gehen, wie eine Ärztin, die anonym bleiben möchte, berichtet. Alles sei fixiert gewesen. Der Bürgermeister persönlich habe ihr Zugeständnisse und Versprechungen gemacht. Dann kam der Gemeinderatsbeschluss und auf einmal hieß es: „Das müssen Sie jetzt doch alles selbst bezahlen.“ Die Stelle in Niederösterreich war bis dahin schon drei Jahre unbesetzt. Ein Kompromiss wurde auf privater Ebene gefunden: Die Besitzerin der Immobilie bezahlte den Umbau, die Ärztin die Miete.

Keine Förderung für Modernisierung

Mit keinem Zuckerl kann Miriam K. (der Name wurde von der Redaktion geändert) rechnen. Auch sie ist Allgemeinmedizinerin in Baden bei Wien. Miriam teilte sich die Ordinationszeiten mit einer Hausärztin, die im Dezember in Pension geht. Die Praxis wird nicht weiterbetrieben, weil der Besitzer eine andere Verwendung dafür hat. Sie nimmt allen Mut zusammen und baut sich eine neue Praxis im Erdgeschoss ihres Elternhauses. Finanzielle Unterstützung bekommt sie dafür nicht. Auch für den Umbau einer alten Praxis hätte sie nichts bekommen. „Es gibt zwar seit kurzem ein Starterpaket mit besseren Krediten, aber Unterstützung bekommen wir keine“, sagt sie zur WZ. Nicht einmal beim obligatorischen Parkplatz bei der neuen Praxis sei die Gemeinde ihr entgegengekommen. Dafür muss die Allgemeinmedizinerin eine Ablöse von 15.519 Euro zahlen. Ein Nebenposten angesichts des Kredits für die gesamte Praxis.

Ein Umbau ist nicht verpflichtend. Ein barrierefreier Umbau wird lediglich empfohlen. Dennoch wollen die meisten jüngeren Ärzt:innen einen barrierefreien Zugang und eine Praxis, in der man sich wohlfühlt. Für viele ein Dilemma. In einer Chatgruppe von Ärzt:innen ging es deshalb rund: „Hat irgendjemand eine Förderung bekommen?“, war das Hauptanliegen.

Es ist gerade etwas im Umbruch.
Ärztin Miriam K.

Auch in Wien sieht es nicht anders aus. Eine Hausärztin in Penzing bestätigt, dass sie keine finanzielle Unterstützung für die Renovierung einer in die Jahre gekommenen Praxis bekommen habe. Das gehe alles auf eigene Kosten. Dabei habe sie noch das Glück gehabt, bereits vorhandene Räumlichkeiten übernommen zu haben. „Oft findet man ja gar nichts“, sagt sie. Gerade in Wien wäre das derzeit besonders schwer. In ländlicheren Gebieten sei das anders. Dort würden Ärzt:innen händeringend gesucht, dafür würde dann auch in einigen Fällen Geld bereitgestellt werden.

Wenn es um finanzielle Unterstützung geht, verweist die Ärztekammer die Ärzt:innen an die jeweiligen Gemeinden. So gibt es in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Anschubfinanzierungen für schwer nachzubesetzende Kassenstellen. Doch: „Es ist gerade etwas im Umbruch“, sagt Ärztin Miriam K. Denn ab 2024 soll es Förderungen für Gruppenpraxen geben. „Darüber hinaus soll es die von Bundeskanzler Nehammer besonders geförderten 100 Kassenstellen geben, mit denen eine gewisse Anschubfinanzierung verbunden sein soll“, heißt es von der Ärztekammer. Der praktischen Ärztin aus Baden hilft das finanziell wenig. Immerhin sei es aber ein Schritt in die richtige Richtung, meint auch sie.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

Daten und Fakten

  • Die Gesundheitsreform wird Mitte Dezember 2023 im Nationalrat beschlossen und soll am 1. Jänner 2024 in Kraft treten.

Quellen

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