Zum Hauptinhalt springen

Kernöl, Kommunismus und Koalitionen

5 Min
Steiermark, Land des Kürbiskernöls. Für einen Liter benötigt man etwa drei Kilogramm Kürbiskerne. Diese werden aus ca. 35 Kürbissen gewonnen.
© Illustration: WZ

Mit einer zunehmend diversifizierten Wählerschaft steht die Steiermark vor einer politisch ungewissen Zukunft. Vor den kommenden Wahlen könnten die Steirer:innen die nationale Polit-Bühne neu definieren.


Den Grazer Schlossberg soll einst der Teufel vom Himmel geworfen und somit einen nicht unwesentlichen Teil zum Bild der steirischen Hauptstadt beigetragen haben. Heute thront auf seiner Spitze der Grazer Uhrturm.

Denken die Österreicher:innen an die Steiermark, Österreichs zweitgrößtes Bundesland, denken sie an Kürbiskernöl, Weinberge in der Südsteiermark, Gebirgsketten in der Obersteiermark und eben den Uhrturm. Außerdem wird die Steiermark gern das „grüne Herz Österreichs genannt“. Nicht ohne Grund: Etwa 60 Prozent der Steiermark sind Forstgebiet.

Graz, das Pendlerparadies

Die Steiermark ist ein Land der Pendler:innen: In Graz gehen 201.000 (Stand 2023) Menschen einer Beschäftigung nach. Etwa 95.145 davon pendeln aus der Steiermark nach Graz ein. Etwa 38.000 Grazer:innen pendeln aus der steirischen Hauptstadt in die umliegenden Bezirke, um dort zu arbeiten. Das macht stolze 6,5 Millionen gependelte Straßenkilometer pro Tag rund um Graz – das mit 466 Kilometern zweitlängste Autobahn- und Schnellstraßennetz Österreichs wird also gern und viel genutzt. Wenig verwunderlich ist demnach, dass es in sechs Bezirken bereits mehr zugelassene Autos als Einwohner:innen gibt. Graz trägt den wenig charmanten Spitznamen „City of Dust“, eine Anspielung auf die schlechte Luftqualität. Diese ist neben der Industrie und der geografischen Kessellage auch auf das hohe Verkehrsaufkommen zurückzuführen.

Neben Wien und Innsbruck ist Graz ein Magnet für Student:innen – auch aus dem Ausland. An den steirischen Universitäten (Uni Graz, Montanuniversität Leoben, TU Graz und MedUni Graz) studierten im Wintersemester 2023/24 knapp 41.000 Student:innen. Im selben Semester studierten in Graz etwa 9.000 Studierende ohne österreichische Staatsbürgerschaft, der Großteil davon aus Deutschland. Insgesamt 2.661 Studiengänge an neun Hochschulen gibt es in der Steiermark.

Politisch war die Steiermark immer in zwei Lager geteilt: Die ÖVP und SPÖ durften sich stets über eine große und treue Stammwählerschaft freuen. „ÖVP und SPÖ sind auch heute noch die großen Parteien in der Steiermark und teilen sich die Regierungsverantwortung auf. Dabei sind sie bedacht, vom ‚steirischen Klima‘ zu reden“, sagt Katrin Praprotnik, Politikwissenschaftlerin an der Universität Graz, zur WZ. Die Wahlbeteiligung in der Steiermark war im Vergleich zum Bund immer sehr hoch, auch wenn sie in der jüngeren Geschichte gesunken ist, „denn die Landesebene kann nicht ganz frei von dem agieren, was auf der Bundesebene passiert.“

Alte Freunde auf Landesebene

Obwohl die FPÖ viele Stimmen anzieht, treten ÖVP und SPÖ in der Steiermark geschlossen auf und wollen auch weiterhin zusammenarbeiten. „Das gibt es so auf Bundesebene nicht mehr“, sagt Praprotnik. Aber auch in der Steiermark ist eine Entwicklung zur Pluralisierung bei den Parteien zu beobachten.

Dass Graz – mit etwas mehr als 300.000 Einwohner:innen Österreichs zweitgrößte Stadt – anders als das ländliche Gebiet wählt, ist wenig überraschend. „Städte wählen generell anders. Zuletzt hatten die Grünen zehn Prozentpunkte mehr Stimmen als im bundesweiten Ergebnis“, vergleicht Praprotnik das Ergebnis Nationalratswahl 2019 bundesweit und das Ergebnis Bezirk Graz Stadt.

Die Bürgermeisterin mit der offenen Tür

Mit Elke Kahr hat Graz ihre erste Frau und erste Kommunistin als Bürgermeisterin. Sie lag 2021 mit 29,3 Prozent vor der ÖVP und den Grünen. Im Wahlkampf setzte sie auf Themen wie leistbares Wohnen, als Bürgermeisterin bietet sie Bürgersprechstunden an, die jede:r besuchen kann. Heuer wurde sie zur „World Mayor 2023“ gekürt. „Die steirische KPÖ agiert sehr autonom von der Bundes-KPÖ. Vergangenes Jahr im Herbst gab es erstmals einen gemeinsamen Bundestag von der KPÖ Österreich und der KPÖ Steiermark“, sagt Praprotnik. „In Graz hat die Partei die Reputation, sich um die Alltagssorgen der Menschen zu kümmern. Kahr spendet auch seit Jahren einen Teil ihres Gehalts.“ Das Thema leistbares Wohnen hat auch bei den Bürgermeisterwahlen in Salzburg gut gezogen.

„Auf steirischer Ebene dürften die Kommunisten davon profitieren, dass die Berührungsängste mit ihnen verlorengegangen sind. Bei der Nationalratswahl am 29. September spekuliert die KPÖ damit, die Vier-Prozent-Hürde zu knacken oder mit einem Direktmandat in den Nationalrat einziehen zu können – welches ihnen der Wahlkreis Graz und Umgebung verschaffen könnte. Es wäre im Österreich-Vergleich ein 'billiges' Direktmandat“, erklärt Praprotnik. Das sei zwar schwierig, weil Kleinparteien in der Regel nicht über Direktmandate in den Nationalrat kommen, aber die KPÖ hat hier eine regionale Hochburg.

Die Steiermark bleibt politisch unberechenbar

In der Steiermark wird noch in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt. Dem Bundestrend folgend, wird dieser vermutlich bunter und von Kleinparteien geprägt werden. Was das für die Regierungsbildung heißt? „Aktuell gibt es positive Koalitionsaussagen seitens ÖVP und SPÖ, dass sie so weitermachen möchten wie bisher. Aber rein rechnerisch ergeben sich weitere Varianten. Bei anderen Landtagswahlen hat man gesehen, dass ÖVP und FPÖ gemeinsame Koalitionen eingegangen sind – und wenn ich jetzt auf die Umfragen blicke, könnte der Steiermark ein politisches Erdbeben bevorstehen.“ In den Umfragen sinkt die ÖVP stark ab, die SPÖ hält sich, hat aber die FPÖ im Rücken und diese hat reelle Chancen auf den ersten Platz. Laut Praprotnik wäre das für das steirische Parteiensystem eine große Neuerung – insbesondere wenn ÖVP und SPÖ gemeinsam keine Mehrheit mehr hätten. Wie die Steirer:innen 2024 wählen werden, bleibt also spannend.

Die Sage rund um den Grazer Schlossberg endet damit, dass der wütende Teufel ein Loch in den Grazer Hausberg, den Schöckel, schlägt, durch welches er in die Hölle fährt. Bleibt zu hoffen, dass es ihm enttäuschte Politiker:innen nach den Stimmenauszählungen im September und November nicht gleichtun.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Daten und Fakten

  • Nationalratswahl 2019: ÖVP: 38,9 %, SPÖ: 19,2 %, FPÖ: 18,5 %, Grüne: 13 %, NEOS: 7,1 %, JETZT: 1,7 %, KPÖ: 1,3 %, Wandl: 0,4 %

  • Bei der Nationalratswahl 2019 gab es in der Steiermark 965.659 Wahlberechtigte.

  • Historisch spielte die Steiermark eine zentrale Rolle in der Verteidigung des Habsburgerreichs gegen die Osmanen und die ungarische Krone. Die Region war ein Bollwerk und prägte lange Zeit die Grenzlandschaft des Reichs. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Agrarzeitalters begann eine langsame, aber tiefgreifende Transformation. Die Eisen- und Stahlindustrie, einst Rückgrat der steirischen Wirtschaft, trat in den Hintergrund, das Land musste sich neuen Herausforderungen stellen. Graz, die Landeshauptstadt, entwickelte sich zu einem Zentrum für Kultur und Wissenschaft, während im Umland die Landwirtschaft modernisiert wurde.

  • Die Steiermark ist mit einer Fläche von etwa 16.400 km2 und etwa 1,2 Millionen Einwohner:innen flächenmäßig das zweit- und nach Einwohner:innenzahl das viertgrößte Bundesland Österreichs. Sie gliedert sich in sieben Regionen, 13 politische Bezirke und 286 steirische Gemeinden.

  • Die Steiermark ist ein beliebtes Ziel für Tourist:innen – unter den Österreicher:innen ist sie sogar das beliebteste Urlaubsziel. 2021 gab es 8,944.444 Nächtigungen.

  • Der durchschnittliche Preis pro Quadratmeter Bauland liegt in der Steiermark bei 66 Euro. Ein Haus kostet pro Quadratmeter rund 2.027 Euro. Eine Eigentumswohnung liegt pro Quadratmeter durchschnittlich bei 2.126 Euro. Am teuersten kommt potenziellen Käufer:innen eine Immobilie im Bezirk Graz mit durchschnittlich 3.564 Euro pro Quadratmeter, am günstigsten ist es im Murtal mit 1.487 Euro pro Quadratmeter.

  • Seit 1929 ist das Dachsteinlied, das mit den Worten „Hoch vom Dachstein an …“ beginnt, die steirische Landeshymne. Obwohl in der ersten Strophe auf die Untersteiermark Bezug genommen wird, die mittlerweile nicht mehr zum Bundesland gehört, wurde der Text bis heute unverändert beibehalten.

Gesprächspartnerin

Prominente aus der Steiermark

  • Peter Rosegger (1843-1918) war ein zu Lebzeiten international bekannter Schriftsteller und Dichter.

  • Andreas Gabalier (*1984) ist für seinen Genre-Mix aus Volksmusik, Schlager und Rock’n’Roll bekannt. Der Musiker ist seit Anfang der 2000er-Jahre im deutschsprachigen Raum bekannt.

  • Arnold Schwarzenegger (*1947) gehört zu den bekanntesten Exporten der Steiermark. Er emigrierte in die USA und arbeitete dort als Bodybuilder, Schauspieler und Politiker.

  • Elfriede Jelinek (*1946) ist Autorin und Trägerin des Nobelpreises für Literatur.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien