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Linzer Stahlstadt und Oberösterreichs Drang zur Stabilität

6 Min
Wie tickt Oberösterreich? Versuch einer Erklärung zwischen Stahlstadtkindern und Stabilität.
© Illustration: WZ

Heimat, Industrie und Innovation: Das viertgrößte Bundesland setzt auf Beständigkeit.


„Stahlstadtkinder, immer im Duell“ singen Willi Warma in ihrer Hymne auf Linz. Rotzig, gegen das enge Klima in der Stadt der 1980er-Jahre. Im scharfen Kontrast die berühmteste Zeile aus der oberösterreichischen Landeshymne: „Dahoam is dahoam, wannst net fort muaßt, so bleib.“ (Die nebenbei aus der Feder des handfesten Antisemiten Franz Stelzhammer stammt.)

Oft bleibt da zum Ausbrechen keine Alternative. Die Lieder beschreiben das Land in seinen Extremen. Stahlstadt und Heimat, Berg und Stadt, Bauernhof und Industrie. Oberösterreich halt.

Stabilität, Anständigsein und Beständigkeit fast bis zum Extrem, das sind oberösterreichische Werte. Daran sollte man sich halten, auch in der Politik.

Fünf Landeshauptleute, sieben Päpste

Und Stabilität ist schon mal gleich organisatorisch verankert: Sechs Jahre dauert hier die Legislaturperiode, seit 1945 gab es nur fünf Landeshauptleute; immer von der ÖVP, im Schnitt 16 Jahre im Amt. Päpste gab es seitdem sieben.

Die Städte rot, das Land schwarz – und über allem: Konsens, Proporz und Voest. In Politik, Kultur, Wirtschaft. Wie tickt so ein Land?

Anruf an der Linzer Uni, die so autofreundlich erreichbar ist wie jeder Supermarkt am Ortsrand und die Shopping-Center vor Linz und Wels. Die Politologin Carmen Walenta-Bergmann erklärt: „Oberösterreich ist eines von nur zwei Bundesländern, wo es noch ein Proporzsystem gibt.“ Die Regierung besteht dann schon mal, wie im Moment, aus vier Parteien. „Das Hauptargument ist, dass die Kommunikation zwischen den Parteien so viel besser funktioniert. Und tatsächlich hat es in Oberösterreich ein sehr positives Image und steht nicht zur Diskussion.“

Wenn Reibung nicht der Treiber ist, was dann? Industrie, Tourismus, Innovation – das mache Oberösterreich für Walenta-Bergmann aus. Gerade die Industrie präge das Land immer noch, ermögliche Innovation an Unis und Forschung.

Auch wenn die Stahlstadt weniger grau ist als in den 1970er- und 1980er-Jahren, da ist sie wieder: die Industrie, die Stahlstadtkinder im Duell.

Bei allem Drang nach politischer Stabilität, es verändert sich etwas in Oberösterreich in den letzten Jahren: „Es gibt schon instabile Punkte, wenn man sich zum Beispiel die Entwicklung der Stadt Wels anschaut. Wo seit 1946 immer die SPÖ an der Macht war und dann plötzlich 2015 ein FPÖ-Bürgermeister gewählt wurde."

Und auch die Corona-Jahre hatten politisch massive Auswirkungen, 2021 hat es die Partei MFG (Menschen – Freiheit – Grundrechte) auf Anhieb in den Landtag geschafft.

„Noch sehr viele Menschen vom Auto abhängig“

Oberösterreich ist ein Autoland. „In Oberösterreich sind im Vergleich zu anderen Bundesländern noch sehr viele Menschen vom Auto abhängig.“ Auch wenn die schnelle Westbahn-Strecke das Bundesland durchzieht, ins Mühlviertel oder Innviertel ist man als Pendler:in nur allzu oft aufs Auto angewiesen.

Und während andere Bundesländer gern gegen Wien wettern, gibt man sich in Linz weniger aufmüpfig und vermeidet die Oppositionshaltung. Bei Nationalratswahlen wähle man oft im nationalen Mittel, sagt die Politologin Walenta-Bergmann. Als Mittelland, so ganz ohne Duell.

Schwarz-grün, schwarz-blau

Das Bundesland war schon öfter Experimentierfeld. Seit 2015 (und wohl noch bis zumindest 2027) regiert hier eine schwarz-blaue Koalition – Jahre vor der schwarz-blauen Renaissance im Bund. Landeshauptmann Thomas Stelzer koaliert mit FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner. Davor kam es zur ersten schwarz-grünen Landesregierung, mit einem gewissen Rudi Anschober als grünem Landesrat.

Überregional hat in letzter Zeit vor allem die Affäre rund um das Linzer Brucknerhaus und die Verstrickung von Bürgermeister Klaus Luger für Aufsehen gesorgt. Luger musste zurücktreten, nachdem öffentlich wurde, dass er dem späteren Brucknerhaus-Chef Dietmar Kerschbaum die Hearing-Fragen vorab übermittelt hatte. Kerschbaum wurde wiederum wegen des Verdachts der Misswirtschaft entlassen. In Linz wird deswegen am 12. Jänner ein neuer Bürgermeister gewählt. „Und auch in Linz könnte die Dominanz der SPÖ nach der Brucknerhaus-Affäre enden“, meint Walenta-Bergmann. Die Causa könnte sich auch auf das Nationalratswahl-Ergebnis in Stadt und Land auswirken.

Blaues Kernland

So wichtig Oberösterreich als Wählerbundesland für die ÖVP ist, ist es für die FPÖ mittlerweile zum Kernland geworden: „Bei der EU-Wahl hatte die ÖVP in etwa genauso vielen Gemeinden die Mehrheit wie die FPÖ, und nur in sehr wenigen führte die SPÖ.“

Für die Freiheitlichen war Oberösterreich immer wichtig, Jörg Haider ist hier geboren, hier gibt es eine solide Basis. Jedes Jahr finden in der Rieder Jahnturnhalle die Aschermittwoch-Reden statt. Bei der EU-Wahl war die FPÖ deutlich stärkste Kraft im Bundesland, vor allem das Innviertel ist blaues Kernland geworden. Doch auch die FPÖ hat das Prinzip der Stabilität in Oberösterreich verinnerlicht, tritt weniger ruppig als Herbert Kickl im Bund auf.

Corona, Innovation, was noch? Da sind die endlosen Einfamilienhaussiedlungen, Zersiedelung, Bodenversiegelung. Das sei ein weiteres Thema, betont Walenta-Bergmann, das in den letzten Jahren polarisiere. Heimat also. Und die Frage: Wie darf sie aussehen?


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Infos und Quellen

Genese

Sebastian Pumberger ist gar nicht aus Oberösterreich, auch wenn das oft nicht geglaubt wird. Auch in der WZ-Redaktion. Er hat lediglich oberösterreichischen Migrationshintergrund. Seine Sommer hat er als Kind auf einem Bauernhof im Mühlviertel verbracht. Seitdem kennt er die lokale Limo und den Schnupftabak des Bauern. Doch so wirklich kennen tut er Oberösterreich bis heute nicht. Es ist ein kompliziertes Land.

Daten und Fakten

  • Nationalratswahl 2019 in Oberösterreich: ÖVP 36,8%, SPÖ 22,1%, FPÖ 17,5%, Grüne 13,7%, Neos 7,3%,

  • Europawahl 2024 in Oberösterreich: ÖVP 24,9%, SPÖ 22,8, FPÖ 27,8%, Grüne 10,2%, Neos 8,8%

  • Landespolitik: Seit den Landtagswahlen 2015 regiert Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) mit der FPÖ um Manfred Haimbuchner.

  • Einwohner:innen und Größe: 1,533.948 Einwohner:innen zählte die Statistik Austria mit Stichtag 1. Juli 2024, nur in Wien und Niederösterreich leben mehr Menschen. Viertgrößtes Bundesland ist Oberösterreich nach der Größe: 11,982.77 km2 groß, in 18 Bezirke und 438 Gemeinden unterteilt. Nur Niederösterreich hat mehr Bezirke und Gemeinden.

  • Arbeitslosenzahlen: Auch hier gute Mitte. Mit einer Arbeitslosenquote von im Jahr 2023 im Schnitt 3,5 Prozent liegt Oberösterreich auf Platz vier.

  • Tourismus: Mit 8,689.401 Nächtigungen im Jahr 2023 liegt Oberösterreich auf dem 7. Platz, nur Niederösterreich und das Burgenland können weniger Tourist:innen anziehen.

Gesprächspartnerin

Carmen Walenta-Bergmann, Politologin an der Uni Linz

Prominente Oberösterreicher:innen

  • Adolf Hitler

  • Conchita Wurst

  • Andreas Goldberger

  • Valie Export

Quellen

Das Thema in der WZ