Wie ticken die Bundesländer? Diesmal: Tirol zwischen Wohnungsnot und Dauerstau.
Unendliche Weite. So sieht es auf einem Tiroler Gipfel aus. Da Berge, dort Berge, hier und da mal eine freche Alpendohle. Sattes Grün im Sommer, sanftes Weiß im Winter. Durchatmen, Landschaft genießen, den Kühen Hallo sagen. Klingklang machen die Glocken. Wieso ist man eigentlich nicht öfter da? Diese Frage stellen sich viele und kommen dann eh: Tirol stemmt ein Viertel der Tourismus-Wirtschaft in Österreich.
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Das malerische Tirol der Almen und Bergbauern hat allerdings wenig mit dem Alltag der meisten Tiroler:innen zu tun. Auf die Weite der unverbauten Berge folgt im Tal die Kehrseite der Medaille.
Das flächenmäßig viertgrößte Bundesland in Österreich hat ein Platzproblem. Während etwa in Wien und dem Burgenland der Großteil der Fläche bewohnbar ist, hat Tirol für seine explodierende Einwohner:innenzahl kaum Platz. Denn nur zwölf Prozent der Fläche sind für Wohnraum und Ackerbau geeignet. Das ist bei weitem der geringste Flächenanteil in ganz Österreich. Sogar in Salzburg und Vorarlberg beträgt der Dauersiedlungsraum über 20 Prozent der Landesfläche.
Studieren und gleich wieder weg
Die Immobilienpreise in Tirol lassen dementsprechend erschaudern. Während man in Wien für ein Baugrundstück 1.000 Euro pro Quadratmeter hinblättert, sind es in Innsbruck im Durchschnitt 1.600 Euro. „Es gibt viele junge Menschen, die zu uns nach Innsbruck zum Studieren kommen. Aber die bleiben nicht da, wenn sie fertig sind“, erzählt der Universitätsprofessor Andreas Maurer, Leiter der Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. „Ein ausgebildeter Akademiker mit Masterabschluss kann sich die Stadt nicht mehr leisten.“ Eine Flucht von Tiroler:innen aus Tirol sieht Maurer aber nicht. Noch rette sich die junge Generation über familiären Altbestand ins Erwachsenenleben: Da wird ehemaliges Agrarland der Familie umgewidmet; dann gibt es ein Mehrgenerationenwohnen auf kleiner Fläche. „In Wien liegt der Städte- und Wohnungsbau sehr stark in der Kommune; in Tirol ist das ein sehr stark privatisierter Sektor“, sagt Maurer.
Die Enge ist auch bestimmend in der Wirtschaft: „Es gibt wenig Fläche, auf der man einen größeren Betrieb aufziehen könnte“, meint Maurer. Selbst wenn die Fläche geeignet aussieht (weil nicht alpin), so ist es Bauen oft verboten. Innsbruck selbst hat um sich herum einen Kreis aus Naturschutz-Zonen gelegt. Das FFH-Gebiet („Flora und Fauna-Habitat“) ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie für schützenswerte Regionen im ländlichen Bereich. „Innsbruck hat das sehr stark vorangetrieben, mit dem Wunsch, um sich herum einen immerwährenden Grüngürtel zu haben. Und jetzt kann die Stadt nicht mehr wachsen“, sagt Maurer. Jetzt kannibalisieren einander auf der vorhandenen Fläche nicht nur Tiroler:innen, Gästebetten und der Straßenverkehr. Auch die deutschen Steuerflüchtlinge mischen massiv mit, weiß Maurer. Allein in Innsbruck geht man von mindestens 7.000 leerstehenden Wohnungen aus.
Nadelöhr zwischen Norden/Süden und Osten/Westen
Die andere große Herausforderung in Tirol ist der Transit. Denn das Bundesland ist ein Nadelöhr im europäischen Verkehr auf den Achsen Nord/Süd sowie Ost/West. Davon profitiert Tirols Industrie, die stark auf Spedition und Kraftfahrzeuge ausgerichtet ist. Aber für die Bevölkerung ist der Transit auf der Straße eine massive Lärm- und Luftbelastung.
Natürlich gibt es die Überlegung, zumindest einen Teil auf die Schiene zu verlagern. Das ist der berühmte Brenner-Basis-Tunnel. Aber während Tirol und Italien motiviert sind, weigert sich Deutschland, die Gleise für die Anbindung zu legen. Die deutschen Nachbarn – Bayern und Baden-Württemberg – sind laut Maurer beide Auto-Bundesländer (in Bayern sind die Werke von Audi, VW und MAN), in Baden-Württemberg ist die Heimat von mehr als 1.000 Zulieferfirmen für Autoteile). „Die sehen nicht ein, wieso sie der eigenen Industrie Konkurrenz machen sollen.“ Maurer erinnert aber auch daran, dass der Transit ein zum Teil hausgemachtes Schicksal ist: „Die Brennerautobahn ist ja auch mal gebaut worden, und zwar nicht von den Niederländern, den Deutschen oder den Italienern, sondern von der konservativen Tiroler Regierung in den 1960er Jahren."
Tirol und die Parteien
Transit wäre ein Thema, bei dem eine transnationale Verständigung Sinn hätte. Bayern, Baden-Württemberg und Tirol werden seit Jahrzehnten von der jeweiligen konservativen Landespartei dominiert. „Aber die Europäische Volkspartei ist beim Thema Verkehrspolitik massiv gespalten“, sagt Maurer; es läuft auf eine Pattstellung zwischen Norden und Osten gegen Zentral- und Südeuropa hinaus.
Tirol intern ist die Landes-ÖVP ebenfalls in zwei Lager aufgeteilt – die Wirtschaftskammer auf der einen und der besonders starke Bauernbund auf der anderen Seite. Während die WKO gerne proeuropäisch auftritt, hält der Bauernbund traditionell dagegen. „So einen Spagat müssen die anderen Parteien in Tirol nicht machen“, sagt Maurer. Apropos Interessenvertretungen: In Tirol ist sogar der Präsident der Arbeiterkammer, Erwin Zangerl, von der ÖVP.
Die SPÖ hat grundsätzlich einen schweren Stand, da das Land historisch sehr landwirtschaftlich geprägt ist. Die Sozialdemokratie ist nur in den Städten stark – allerdings nicht mehr in Innsbruck, denn dort wählen die Student:innen mehrheitlich grün.
Tirols Grüne sind laut Maurer aber mit ihrem Wiener Gegenpart nicht vergleichbar. Die Tiroler:innen kommen aus der „Naturschutz und Umweltecke, die fokussieren auf die Themen wie Verkehr, Transit und Überlastung der Tourismusregionen“ – während die Grünen in der Hauptstadt auf Themen wie Geschlechterbeziehung und Migrationspolitik setzen.
Da die Tiroler ÖVP viele konservative Kräfte bindet, hat die FPÖ in Tirol eher weniger Chancen, meint Maurer, die sprechen eher nur die Abgehängten an.
Die urbanen Neos haben in Tirol noch gar keine Nische gefunden.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
ÖVP: 45,8 % - SPÖ: 13 % - FPÖ: 14,7 % - Neos 8,9 % Grüne 14,7 % - Jetzt 1,7 %
In Tirol sind mittlerweile 776.000 Menschen gemeldet, knapp 100.000 mehr als 2001.
Die Siedlungsdichte ist hoch: Tirol hat 493,3 Einwohner:innen pro Quadratkilometer, der österreichische Durchschnitt ist 281,1.
Das vergleichsweise reiche Bundesland hat eine Arbeitslosenquote von nur 3,9 Prozent (Österreichs Durchschnitt waren 6,4 Prozent im Jahr 2023). Das Bruttoeinkommen in Tirol ist aber um 128 Euro im Monat geringer als der österreichische Durchschnitt.
Der Durchschnittspreis eines Baugrundstücks in Innsbruck beträgt 1.622,4 Euro pro Quadratmeter; in Wien sind es 1.018 Euro.
Der Tourismus ist für 4,5 Milliarden Euro an Wertschöpfung verantwortlich. Er macht knapp 13 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. (WKO Statistik Tirol)
Gesprächspartner
Andreas Maurer ist Leiter der Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.
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