Österreich verschwendet Boden. Der würde gegen die Klimakrise helfen. Wie, erklärt Bodenkundler Martin Gerzabek im Interview.
Die Vögel zwitschern, es riecht nach frisch gemähtem Gras. Der Türkenschanzpark ist sattgrün, die vergangenen Tage hat es viel geregnet. Zwischen den Bäumen taucht Martin Gerzabek auf. Er arbeitet nur ein paar Schritte entfernt an der Universität für Bodenkultur. Gerzabek ist ausgewiesener Bodenexperte. Aber warum sind Böden eigentlich so wichtig?„Böden sind die Basis für das Leben der Menschheit auf dem Planeten Erde“, sagt Gerzabek.
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Wie wirkt sich die Klimakrise auf die heimischen Böden aus?
In Ostösterreich werden Trockenperioden zunehmen. Nach einer Studie der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit wird die Bodenfruchtbarkeit bis 2050 in vielen Regionen Österreich sinken. Das hängt zum allergrößten Teil von Wasser ab. In Ostösterreich wird die Bodenfruchtbarkeit fallen, weil es zu trocken wird. Die Studie rechnet für diesen Raum mit 48 Prozent weniger Erträgen. Das ist gewaltig, weil wir dort derzeit die fruchtbarsten Böden haben – wenn wir nicht gegensteuern. Wir müssen uns sehr schnell anpassen, einerseits bei der Bewässerung, aber auch bezüglich alternativer Pflanzen. Manche Landwirte haben angefangen, massiv Hirse anzubauen. Die Bandbreite reicht von Erdnüssen bis hin zu Olivenhainen.
Welche Funktionen hat der Boden?
Boden hat viele Funktionen. Er hat eine Produktionsfunktion, also Land- und Forstwirtschaft. Er bietet Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Wir haben in einem Gramm Boden durchschnittlich eine Milliarde Mikroorganismen. Er reinigt Regenwasser, filtert Schadstoffe und baut sie ab. Boden speichert Kohlenstoff. Er ist eine Rohstoffquelle. Wir entnehmen Sande, Schotter, Erze aus dem Boden und zerstören ihn dabei. Wir bauen Straßen oder Häuser auf dem Boden. Wenn ich diese Funktion priorisiere, brechen alle anderen Funktionen weg.
Österreich ist dafür bekannt, dass viel Boden versiegelt wird. Was passiert mit einem Boden, wenn ein Parkplatz darauf gebaut wird?
Dann gibt es keine Produktion, keinen Lebensraum, keine Filterung, keine Speicherung von Wasser. Letzteres ist eine wahnsinnig wichtige Funktion im Zusammenhang mit der Bodenversiegelung. Je weniger Fläche man hat, die Wasser speichert, desto weniger Wasser verdunstet. Durch Verdunstung kühlt die Luft ab. Dieser Vorgang ist in Zeiten des Klimawandels unbedingt notwendig. Der zweite Effekt: Je weniger Fläche wir zur Verfügung haben, desto weniger Wasser kann bei Starkregen aufgenommen werden. Wir müssen uns entscheiden: Entweder wollen wir alle Ökosystemfunktionen haben – dann müssen wir möglichst viele Böden bewahren. Oder wir betonieren alles zu – dann müssen wir uns etwas anderes überlegen, wie wir das Klima regulieren und mit Naturgefahren wie Muren umgehen.
Das heißt, der Boden spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise?
Absolut. Im Boden ist mehr als doppelt so viel CO2 gespeichert als in der Luft. Viel unbebauter Boden ist gut für das Klima. Die einzige Lösung für das Klimaproblem ist das allerdings nicht.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 werden Straßen und Häuser auch in Zukunft Felder fressen. Die landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche könnte in Österreich um weitere 12,5 Prozent abnehmen. Welche Folgen hat das?
Wir sind schon jetzt keine Selbstversorger mehr. Wir sind vom Ausland abhängig und müssen Nahrungsmittel importieren. In Krisensituationen wird das zum Problem. Die Frage, die sich für Österreich stellen muss: Können wir im Notfall die Bevölkerung mit den Grundnahrungsmitteln versorgen? Wir müssen diskutieren, ob wir bestimmte Flächen in der Landwirtschaft vorrangig für die Nahrungsmittelproduktion festlegen. Dort dürfte dann keine Straße, kein Supermarkt gebaut werden. Außerdem haben wir derzeit 40.000 Hektar leerstehende Industriehallen, Gewerbeimmobilien und Häuser in Österreich. Diese Flächen werden nicht genutzt. Dort könnten wir unsere Häuser bauen, statt auf den wertvollen Ackerböden.
Stichwort entsiegeln. Wenn man einen Supermarkt-Parkplatz entsiegelt, wie lange dauert es, bis wieder eine Blumenwiese darauf wächst?
Das kommt ganz darauf an, wie man den ursprünglichen Zustand eines Bodens wiederherstellt. Die Frage ist, woher ich das Material bekomme. Wenn ich fruchtbaren Oberboden (der oberste, nährstoffreiche Anteil vom Boden, Anmerk.) bekomme und ihn dorthin schütte, dann kann ich relativ rasch diese Blumenwiese haben. Der fruchtbare Oberboden ist aber endlich. Wenn ich alle Flächen entsiegeln würde, die man entsiegeln kann, dann haben wir sicher nicht genug Material dafür.
Und wenn man keine neue Erde aufträgt?
Dann dauert es sehr lange, bis daraus wieder ein Boden mit all seinen Funktionen wird. Man darf sich das nicht so vorstellen: Wir nehmen die Straße weg und dann haben wir wieder einen perfekten Boden. Pro Jahr entstehen nur wenige Millimeter neuer Boden.
Österreich will bis 2040 klimaneutral werden. Wir brauchen auch Böden für Windräder und Photovoltaikanlagen. Ist das ein weiterer Stressfaktor für den Boden?
Der Ausbau von Windrädern und Photovoltaik wird uns Fläche kosten. Jedes Windrad braucht 2000 Quadratmeter Fläche. Und die Photovoltaik-Anlagen sehe ich kritisch, wenn sie die einzige Nutzung einer Wiese sind. Es muss Stromproduktion und eine landwirtschaftliche Pflanzenproduktion auf derselben Fläche gleichzeitig geben. Man kann die Paneele auch so installieren, dass die Landwirt:innen mit dem Traktor darunter fahren können oder, dass eine Beweidung durch Schafe möglich ist. Wir können nicht einfach so viel Fläche aus der Produktion von Nahrungsmittel nehmen.
Boden ist heiß begehrt. Wird es künftig einen Kampf um den Boden geben?
Den gibt es jetzt schon. Ob Landwirtschaft, Infrastruktur, Rohstoffe: Das ganze System ist rein wirtschaftlich getrieben. Der Boden ist aber nicht nur für Straßen, Parkplätze und Häuser da. Er ist für die Umwelt und das Klima von großer Bedeutung. Wir müssen deshalb weg davon, den Boden aus rein wirtschaftlicher Perspektive zu betrachten.
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Infos und Quellen
Genese
Wir bewegen uns auf Gehsteigen, fahren auf Straßen, laufen über Wiesen. Doch wir machen uns keine Gedanken über das, was eigentlich unter uns ist: der Boden. Vom Bodenverbrauch haben viele schon einmal etwas gehört. Doch der Boden erfüllt noch viele weitere Funktionen, als nur Bauland zu sein. Funktionen, die wichtig für Umwelt und Klima sind. Zeit, einen Bodenexperten zu Wort kommen zu lassen.
Gesprächspartner
Martin Gerzabek, 62, ist Ökologe und promovierter Bodenkundler. Er hat Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien studiert. Von 2010 bis 2018 war er Rektor der Boku. Er ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er hat mehr als 500 wissenschaftliche Publikationen.
Daten und Fakten
Unter Bodenverbrauch versteht man den Verlust an biologisch produktiver Fläche. Versiegelung bedeutet zusätzlich, dass auch kein Wasser von der Oberfläche direkt in das Grundwasser gelangen kann.
In Österreich werden rund zwölf Hektar Land pro Tag "verbraucht".
Fünf bis sechs Hektar werden pro Tag versiegelt.
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Flächenverbrauch auf netto 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren.
Quellen
BEAT-Studie: Bodenbedarf für die Ernährungssicherheit in Österreich (pdf)
Offener Brief der Fachgruppe Bodenverbrauch von Science for Future Österreich an die Bundesregierung