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Georg Renner hat sich eine neue AMS-Studie über die Entwicklung von geflüchteten Syrer:innen am Arbeitsmarkt näher angesehen.
Vor drei Wochen habe ich an dieser Stelle über Migration und Beschäftigung geschrieben – über Syrer:innen, wie viele von ihnen in den vergangenen zehn Jahren nach Österreich gekommen sind und wie viele von ihnen Arbeit gefunden haben. Guter Einstieg zum zehnjährigen Jahrestag der Migrationskrise 2015, hatte ich mir damals gedacht.
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Das war es auch – nur habe ich, Asche über mein Haupt, damals noch nichts von der exzellenten Studie „Recent Arrivals in Austria: Neue Geflüchtete aus Syrien am österreichischen Arbeitsmarkt“ gewusst, die das AMS beim Österreichischen Institut für Internationale Politik und anderen Institutionen in Auftrag gegeben hat. Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und ihre Kolleg:innen haben damit eine Analyse verfasst, die etliche Probleme der österreichischen Integrationspolitik auf den Punkt bringt.
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Die Forscher:innen haben dabei eine Mischung aus qualitativen und quantitativen Methoden gewählt. Anders gesagt: Sie haben mehr als vier Dutzend Syrer:innen in unterschiedlichen Stadien ihrer Ankunft sowie 21 Expert:innen des AMS und anderer Institutionen befragt – und sie haben den Datenschatz des AMS durchforstet, um die Arbeitsmarktintegration von Menschen nachzuvollziehen, die in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind.
Du findest die ganze Studie hier zum Download. Ich finde sie sehr lesenswert, aber weil das streckenweise doch ein recht umfangreicher Ziegel ist, möchte ich hier zwei zentrale Erkenntnisse herausfiltern: Dass Deutschkurse für Migrant:innen zu langsam bzw. gar nicht wirken; und wie der Magnetismus von Wien die Herausforderungen durch die Asylzuwanderung vervielfacht.
Sprachbarrieren als großes Hindernis
Fangen wir mit den Deutschkursen an – und am besten gleich mit der wahrscheinlich deprimierendsten Statistik der Studie:
Wir sehen hier, dass jene Syrerinnen, die von Mitte 2022 bis Mitte 2024 nach Österreich gekommen sind – fast 9.000 Menschen – mehr als ein Drittel eineinhalb Jahre nach ihrer ersten Meldung beim AMS so gut wie keine Sprachkenntnisse erworben haben. Knapp die Hälfte steht auf Anfänger:innenniveau (A, A1, A2), den Fortgeschrittenen-Level B/B1/B2 (B1 heißt, dass man Alltagssituationen verstehen und besprechen kann) hat gerade einmal jede:r zehnte erreicht, vom Profi/Muttersprachler-Level C reden wir gar nicht erst.
Das ist nicht berühmt, um es vorsichtig auszudrücken. Ja, Deutsch ist eine schwer zu lernende Sprache, aber unter Arbeitssuchenden sollte der Spracherwerb allen politischen Bekenntnissen nach, höchste Priorität haben – und daran scheitert die Infrastruktur der Republik ziemlich. Ob man bei den (zum Großteil vom Integrationsfonds der Bundesregierung organisierten) Deutschkursen ansetzt – an denen befragte Teilnehmer:innen sowie Expert:innen in der Studie viel kritisieren -, beim AMS oder bei diversen Anreizsystemen, ist eine politische Folgefrage. Zufrieden kann man mit dieser Situation aber kaum sein.
In diesen Grafiken aus der Studie zeigt sich noch einmal das Ausmaß der Misere: Vertikal sind die AMS-Kund:innen nach Altersgruppen sortiert, horizontal nach Männern (links) und Frauen (rechts). Rot/rosa heißt keine bzw. unbekannte Deutschkenntnisse, orange/gelb level A, grün B, blau C. Der einzige Lichtblick, der sich hier sehen lässt: in der jüngsten Altersgruppe, den 15- bis 19-Jährigen, die in der Regel schon einige Zeit in Österreich zur Schule gegangen sind, ist der Anteil passabler Sprachkenntnisse hoch. Aber die Erwachsenenkurse sind eine gewaltige Baustelle.
Wien zieht Geflüchtete an – mit Folgen
Was uns zum zweiten Thema bringt: Dem Wiener Magnetismus. Bekanntlich kommen in Wien die allermeisten Migrant:innen an und bleiben auch hier, sobald sie Schutz und Aufenthalt zugesprochen bekommen. Hier in der Statistik nach Erst- und Letztkontakt mit dem AMS:
In den Bundesländern läuft es besser
Wir sehen, vor allem in der unteren Grafik, dass die Wien-Lastigkeit der Syrer:innen mit fortschreitender Zeit noch zugenommen hat: Waren von den 2015 und 2016 Angekommenen zuletzt „nur“ 60 Prozent in Wien, sind es von den 2022 bis 2024 Angekommenen rund 77 Prozent.
- Für die Anziehungskraft der Metropole machen die Autor:innen der Studie auf Basis ihrer Befragungen folgende Faktoren aus:
- vorhandene Community, vor allem Freund:innen und Familie
- wahrgenommenes Kurs- und Integrationsangebot
- Höhe der Sozialleistungen
- weitere Faktoren wie Wohnungsmarkt, öffentlicher Verkehr, Modalitäten des Asylverfahrens und Infrastruktur
Es gibt zu allen vier Themen spannende Einlassungen in der Studie – aber auffällig ist, dass mit diesem Fokus auf Wien der Zustrom an Migrant:innen genau dorthin geht, wo sie nicht so schnell Arbeit finden. Ich finde diese Statistik ausnehmend aufschlussreich:
Wir sehen hier: praktisch überall anders – besonders in Oberösterreich, dem Industrie-Bundesland Nummer eins hierzulande, – sind jene Syrer:innen, die 2015 und 2016 gekommen sind, schneller und länger in Beschäftigung als in Wien. „Im Bundesländervergleich erwiesen sich Syrer in Oberösterreich als besonders erfolgreich in der Aufnahme der Erwerbstätigkeit. Dies dürfte wohl auch mit den Arbeitsmarktbedingungen vor Ort (Industrie) zusammenhängen. AMS-Kund:innen in Wien lagen im Vergleich W-OÖ-ST-Restösterreich an letzter Stelle bei der Aufnahme der Erwerbstätigkeit, gemessen in Beschäftigungstagen“, heißt es in der Studie.
Ich will den Parteien nicht vorgreifen, welche Schlüsse sie aus diesen Daten ziehen – bisher beschränkten sich die Reaktionen auf den anekdotischen Bericht über den Einzelfall einer Syrerin, die absichtlich ihren Deutschkurs verpatzt hatte. Aber die erwähnten allgemeinen Trends könnten durchaus in die eine oder andere Debatte hineinspielen – über die Sozialhilfe neu zum Beispiel.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
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