Die aktuelle Kriminalitätsstatistik 2023 in Österreich bietet detaillierte Informationen zur Herkunft der Verdächtigen. Was sagen die Zahlen aus?
Wenn ich euch fragen würde: „Angehörige welcher Nation sind die kriminellsten in Österreich?“, was würdet ihr aus dem Bauch heraus sagen? Die Antwort darauf hat mich überrascht, aber dazu gleich mehr – zuvor ein kurzer Exkurs, wie man (nicht) an Zahlen dazu kommt.
- Kennst du schon?: Schon als Kind abgestempelt
Immer wieder einmal bin ich der Opposition im Nationalrat dankbar – aktuell ganz besonders der FPÖ. Denn unsere Bundesregierungen – Mehrzahl, weil das farbunabhängig bisher noch in jeder Legislaturperiode so war – sind von sich aus eher zurückhaltend, was das umfangreiche Zurverfügungstellen von Statistiken und Informationen betrifft, auch wenn diese Informationen in den Ministerien längst vorliegen. Und da sind parlamentarische Anfragen - praktisch ausschließlich ein Betätigungsfeld der Oppositionsabgeordneten -, die die Minister:innen binnen zwei Monaten beantworten müssen, recht hilfreich.
Vor ein paar Wochen hat Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) dem freiheitlichen Abgeordneten Hannes Amesbauer zwei spannende Anfragebeantwortungen zurückgeschickt. Es geht darin um Kriminalität in Österreich und um Fremdenkriminalität; über die Motive der Freiheitlichen für solche Anfragen werden viele von euch sicher ein eigenes Bild haben bzw. sich ein solches machen können, aber als Journalist ist das eine Goldader an spannenden und wichtigen Geschichten.
Mithilfe der Rohdaten kann man sich selbst ein Bild machen
Denn die polizeiliche Anzeigenstatistik, die das Innenministerium jährlich mit großer Pressekonferenz präsentiert – heuer war das Ende März – ist im Wesentlichen eine Auswahl an Informationen, die Polizei und Minister:innen in ihrem Sinn interpretieren: Welche Straftaten besonders anziehen, welche Stärken Österreich in der Verbrechensbekämpfung habe, wo es neue Möglichkeiten für die Polizei bräuchte – solche Themen sind es, die bei der Präsentation der Anzeigenstatistik immer gern mitkommuniziert werden.
Das ist nicht grundsätzlich verwerflich; aber angenehmer ist es für Journalist:innen und überhaupt die ganze Öffentlichkeit, mit den gesamten Rohdaten arbeiten zu können - um sich selbst ein Bild machen zu können, um vielleicht mit einem anderen Blick und Fokus auf die Anzeigen- und Verdächtigendaten zu schauen, als es der Minister oder die Ministerin und sein/ihr Haus tun.
Eigentlich gibt es diese Rohdaten auch – in dem „Statistik & Analyse“-Teil des jährlichen Sicherheitsbericht, den Innen- und Justizministerium jedes Jahr dem Parlament übermitteln müssen. Eigentlich. Denn die Ministerien (hier ist vor allem das Justizressort verantwortlich) sind regelmäßig in Verzug mit dieser Übermittlung. Auf der Webseite, auf der die Berichte veröffentlicht werden, ist aktuell erst der Sicherheitsbericht 2021 online, dem Parlament hat die Regierung vor einigen Wochen - immerhin Mitte April des übernächsten Jahres – den 2022er- Bericht geschickt.
Die Anzahl der angezeigten Straftaten nimmt 2023 zu
So, Exkurs zum real existierenden Transparenzweltmeister Österreich beendet. Zur Sache: Dank der Antworten auf Amesbauers Anfragen haben wir jetzt schon die Zahlen zu Anzeigen und ermittelten Tatverdächtigen für das Jahr 2023 – nicht in der standardisierten Form des Sicherheitsberichts, aber ziemlich umfassend, unter anderem mit Tabellen für alle Bundesländer, bei Ausländer:innen heruntergebrochen nach Aufenthaltsstatus usw.
Im Gesamtbild zeigt sich – das wussten wir schon aus der Minister-PK -, dass die angezeigten Straftaten 2023 gegenüber 2022 deutlich, um acht Prozent, zugenommen haben – wir liegen jetzt wieder im Trend leicht steigender Kriminalität, der 2019 begonnen, während der Pandemiemaßnahmen aber pausiert hat:
Ein guter Teil der Steigerung geht dabei auf die Zunahme von Computerdelikten und dort insbesondere auf die Ausweitung der Straftatbestände für die sexualbezogenen Darstellungen Minderjähriger zurück – aber heben wir uns die Auswertung der Delikte (in der Anfragebeantwortung finden sich detaillierte Zahlen zu jedem Tatbestand) – für ein andermal auf und schauen wir uns die ermittelten Tatverdächtigen an. Achtung: Diese Statistik erfasst Verdächtige in aus Sicht der Polizei weitgehend geklärten Sachverhalten – das ist nicht so präzise wie die Verurteiltenstatistik, spiegelt aber bestimmte Trends in der Kriminalität wider.
Hier sehen wir, dass die Anzahl ausländischer Täter:innen in Österreich in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Bereits bekannt ist, woher die meisten ausländischen Straftäter:innen in Österreich kommen:
Während im Inland regelmäßig über kriminelle Syrer:innen und Afghan:innen (wir hatten hier schon einmal etwas) diskutiert wird, kommt mir vor, dass die Kriminalität der Rumän:innen, Deutschen und Serb:innen in Österreich weit weniger Raum in der Debatte einnimmt. Eventuell hat die FPÖ auch deswegen versucht, die Zahlen in Relation zu stellen und Karner um Kriminalitätshäufigkeitszahlen gebeten. Ich will euch das Ergebnis nicht vorenthalten.
Unser Komorerproblem
Folgende Statistik zeigt also die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, nämlich wie viel Prozent der in Österreich gemeldeten Bevölkerung einer bestimmten Staatsbürgerschaft im Vorjahr als Verdächtige einer Straftat ermittelt worden sind (um die Liste kurz zu halten, habe ich nur Nationalitäten mit einer Häufigkeitszahl über zwanzig Prozent verwendet):
Es würde mich nicht überraschen, wenn wir demnächst das Komorerproblem auf Österreichs Straßen diskutieren würden.
Aber Scherz beiseite: Diese Statistik wird natürlich durch Nationen verzerrt, von denen so wenige Menschen in Österreich leben, dass ein einzelner Verdächtiger gleich viel bewegen kann. Mit 1.1.2023 war zum Beispiel nur ein:e Staatsbürger:in der Komoren in Österreich gemeldet, aber die Polizei hat zwei Verdächtige ermittelt (es können ja auch im Ausland ansässige Menschen in Österreich straffällig werden), was eine Häufigkeitsrate von 200 Prozent bedeutet.
Lassen wir einmal die kleinen Bevölkerungsgruppen weg. Wenn ich nur Nationen hernehme, von denen mindesten 10.000 Menschen in Österreich leben – die Zahl habe ich willkürlich gewählt- , schaut das Verhältnis so aus:
Wir sehen: Abgesehen von der Kategorie „ungeklärte Staatsangehörigkeit“ – allein davon lebten Anfang 2023 mehr als 15.000 Menschen in Österreich – finden sich vorn in der Liste nicht nur die klassischen Asylherkunftsländer, sondern auch Tschechien, die Slowakei (beide wohl auch ein Fall grenzüberschreitender Kriminalität) und die Niederlande.
Das soll die offensichtlichen Probleme bei der Integration nicht kleinreden – Amesbauer sieht in der Anfragebeantwortung übrigens einen Beleg, „dass bestimmte Migrantengruppen besonders negativ in den Kriminalitätsstatistiken in Erscheinung treten“ und dass „die Umsetzung des freiheitlichen Konzepts der ‚Festung Österreich‘ mit dem klaren Ziel eines Asylstopp angesichts dieser Zahlen längst überfällig“ sei - aber Kriminalität ist ein weites Feld mit weit mehr als nur einem Ansatz, wie man ihr begegnen sollte.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte. Diese Woche hat ihn parlamentarische Anfrage an das Innenministerium besonders beschäftigt.