In Steyrermühl wurde am 30. Juni das österreichweit letzte Papier für Tageszeitungen produziert. Nun stellt das Unternehmen auf Verpackungen um. Die Arbeitsplätze sind damit gesichert. Ein Besuch in der Fabrik.
Eine Fabrikshalle, 60 Kilometer südlich von Linz. Schnellen Schrittes führt Ernst Spitzbart durch die Anlage, bis er vor dem Juwel der Papierfabrik im oberösterreichischen Steyrermühl stehen bleibt. Vor dem Geschäftsführer türmt sich ein Ungetüm aus Schläuchen, Walzen und tropfenden Wasserrinnen, 120 Meter lang und mehrere Meter hoch. Das Ungetüm mit dem Namen PM4 gilt als eine der leistungsstärksten Maschinen für die Produktion von Zeitungspapier. 40 Tonnen Zeitungspapier pro Stunde kann die Maschine herstellen. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
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Doch die beste Maschine nützt nichts, wenn die Zeichen der Zeit in eine andere Richtung deuten. Mit dem Erfolg des Smartphones begann der Niedergang der Tageszeitungen. Der haptische Reiz, der Geruch von Papier, das Rascheln beim Aufschlagen der Zeitung wich einer kurzen Wischbewegung auf dem Touchscreen. Das wirkte sich auf die Auftragslage in Steyrermühl aus. „Ab 2008 sank der Bedarf an Zeitungspapier“, sagt Spitzbart.
Im Unterschied zu anderen Papierfabriken in Österreich, die ihre Maschinen stilllegten, übte man sich in Steyrermühl in Geduld. Umsonst. „Wir haben auf die Talsohle gewartet, doch sie kam nicht“, sagt Spitzbart. Stattdessen ging es konstant bergab. Bis es nicht mehr ging. Am 30. Juni wurde die PM4 abgeschaltet, ein halbes Jahr früher als geplant. Sie war die letzte Maschine, die in Österreich Zeitungspapier herstellte. Die Produktion wandert nun nach Deutschland.
Eigentümer zieht die Konsequenzen
„Das Leseverhalten hat sich völlig verändert“, sagt Spitzbart. Er schüttelt den Kopf und gesteht: „Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber sogar die großformatige Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ wird mittlerweile auf dem Smartphone gelesen.“ Die Papierfabrik Steyrermühl gehörte zuletzt dem finnischen Konzern UPM-Kymmene, der die Konsequenzen zog und die Anlage verkaufte.
Übernommen wird Steyrermühl ab Jänner von der Heinzel Group aus Laakirchen, dem zwei Kilometer entfernten Papierhersteller und ewigen Konkurrenten. Die beiden Unternehmen wurden nach Inkraftreten des Staatsgrundgesetzes im Jahr 1867 gegründet. Mit dem Gesetz wurde damals die Pressezensur aufgehoben. Die Laakirchner Papierfabrik eröffnete noch im selben Jahr, Steyrermühl ein Jahr später. 1869 nahm Steyrermühl zwei Papiermaschinen in Betrieb und setzte vor allem auf Zeitungspapier, Laakirchen folgte 1874 mit einer Papiermaschine und spezialisierte sich vorerst auf Braunholz- und Packpapiere.
Die größte Fabrik in der Monarchie
Um die Jahrhundertwende hatte Steyrermühl die Nase vorne als größte Papierfabrik in der gesamten k&k-Monarchie. Zudem gründete das Unternehmen einen Verlag mit sieben Tageszeitungen, darunter das auflagenstarke „Neue Tagblatt“, für das Autoren wie Hermann Hesse oder Peter Rosegger schrieben.
Beide Unternehmen durchlebten zwei Weltkriege, Großbrände und Überschwemmungen, sowie wirtschaftliche Krisen und wechselnde Eigentümer. Sie setzten auf Zeitungspapier, Verpackungspapier, Klopapier, Transparentpapier und Colorpapier für Magazine. Mehrmals wollte der eine den anderen aufkaufen. Vergeblich. Nur einmal waren beide Unternehmen in einer Firma vereinigt. Für einen Tag im Jahr 1970. Man zerstritt sich schnell und ging wieder getrennte Wege.
Papier für Amazon und Zalando
Bis heute. Der Erfolg des Smartphones schmälerte den Bedarf an Zeitschriften- und Zeitungspapier. Beide Fabriken wurden von dieser Entwicklung mit voller Wucht getroffen. Doch im Unterschied zum abwartenden Steyrermühl richtete man sich in Laakirchen mit großen Investitionen neu aus und setzte auf den neuen Trend. So lasen die Menschen zwar weniger Tageszeitungen und Magazine, bestellten dafür aber umso häufiger online bei Amazon, Zalando & Co. Das dafür benötigte Verpackungspapier sollte nun aus Laakirchen kommen. 2017 stellte das Unternehmen seine Produktion auf Wellpappenrohpapier um. Es war die richtige Entscheidung.
In Steyrermühl kämpfte man einstweilen mit den Auswirkungen des Smartphone-Booms. 2017 musste die Maschine für die Herstellung von Magazinen eingestellt werden und Mitarbeiter wurden entlassen. Nun wurde die PM4 für die Herstellung von Zeitungspapier eingestellt. Sinnbildlich für diese Misere war auch noch die Umbenennung der anliegenden Autobahnabfahrt von Steyrermühl auf Laakirchen West, dem Ort der Konkurrenzfirma, die künftig das Sagen hat.
Semmeln, Brot und Reis
Die Ausrichtung hat das Laakirchner Unternehmen bereits bestimmt: In Steyrermühl soll nun auch Verpackungspapier hergestellt werden. Die PM4 wird dafür im nächsten halben Jahr umgebaut. Statt Zeitungspapier wird sie künftig Sackpapier, etwa für Semmeln, Brot oder Reis produzieren.
Ernst Spitzbart steht in seinem Büro und blickt aus dem Fenster. Die Landschaft breitet sich vor ihm aus. In der Ferne erhebt sich der imposante Traunstein, davor liegen die sattgrünen Wälder, aus denen das Holz für die Papierfabrik stammt. Sein Blick schweift nach links, hinunter auf die rauchenden Schlote der Heinzel Group. „Das ist die Nachbarpapierfabrik“, sagt Spitzbart. Die Nachbarpapierfabrik, die Steyrermühl ab Jänner übernehmen wird.
Spitzbart gibt sich zuversichtlich „Wir waren zwar Konkurrenten, aber es gab immer wieder gute Zusammenarbeit“, streicht er hervor. Man gründete eine gemeinsame Tochterfirma für einen Biomassekessel, der betriebliche Abfälle wiederverwertet, betreibt eine gemeinsame Deponie in Laakirchen. Das Wichtigste sei jedoch, dass durch die Übernahme die 400 Arbeitsplätze gesichert werden und die Papierfabrik in Steyrermühl weiterbesteht.
Seit 103 Jahren in der Fabrik
Der Geschäftsführer verbrachte sein ganzes Leben in Steyrermühl. „Meine Familie ist hier seit 103 Jahren beschäftigt“, erzählt er. Als kleiner Junge ging er in den Betriebskindergarten und erlebte die Hochzeit des Werks mit mehr als 1.000 Beschäftigten. „Wir haben in der Sandkiste die Berufe unserer Väter in der Fabrik übernommen“, erinnert er sich. Vor 42 Jahren startete er sein Arbeitsleben im Werk als Maschinenschlosser. Er war dabei, als 1990 die weltweit größte Papiermaschine PM4 installiert wurde und ist seit 2015 Geschäftsführer.
Die Zukunft des Unternehmens sieht er optimistisch. „Unsere Papiertechniker haben die Voraussetzungen für die Fertigung von Verpackungen“, sagt er. Auch neue Mitarbeiter:innen werden bereits gesucht. Steyrermühl wird zudem weiterhin seine Lehrwerkstätte betreiben, in der in sieben Lehrberufen ausgebildet wird.
Nur die Umbenennung der Autobahnabfahrt liegt ihm noch im Magen. Wie es sich anfühlt, wenn er in Laakirchen West abfährt? Spitzbart überlegt, dann sagt er: „Veränderung ist notwendig, auch wenn man sich von liebgewonnenen Dingen verabschieden muss.“
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteur Bernd Vasari geht gerne in Kaffeehäuser, fährt oft mit der Bahn und kennt viele Menschen, die am Tagesgeschehen hoch interessiert sind. Dabei fiel ihm auf, dass Zeitungen immer unwichtiger geworden sind, dass ein Popcorn-Effekt eingetreten ist, bei dem gedruckte Medien plötzlich uninteressant wurden. Wer Nachrichten konsumiert, liest immer seltener in Zeitungen. Apps und Kanäle ersetzen Papier, in den Kaffeehäusern bleiben die Zeitungen unangetastet liegen, und auch die WZ stellte ihre gedruckte Form aufgrund von sinkenden Leser:innenzahlen ein. Vasari stellte sich die Frage, wer überhaupt noch Zeitungspapier produziert. Dabei fiel ihm auf, dass es nur noch eine Maschine in ganz Österreich gibt, die nun am 30. Juni abgestellt wurde – zufällig am selben Tag, an dem sein Arbeitgeber, die WZ, die Printzeitung einstellte. Er machte sich auf den Weg nach Steyrermühl und kam mit einer Reportage zurück.
Gesprächspartner
Ernst Spitzbart, Geschäftsführer der Papierfabrik Steyrermühl