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Die ehemaligen IS-Anhängerinnen Maria G. und Evelyn T. sind seit zwei Monaten wieder in Österreich. Wie können sie erfolgreich in die Gesellschaft (re-)integriert werden? Die WZ hat mit dem Terrorismusexperten Thomas Schmidinger gesprochen.
Als am 1. März eine Maschine aus dem nordirakischen Erbil in Wien landet, betreten Maria G. aus Salzburg und Evelyn T. aus Wien wieder österreichischen Boden. Zehn Jahre zuvor haben sie sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) angeschlossen – nun kehren sie mit ihren Kindern zurück. Während Evelyn bald danach zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt wird, wartet Maria noch auf ihren Prozess.
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Mithilfe von Deradikalisierungsarbeit sollen die beiden Frauen wieder in die Gesellschaft integriert werden. Aber wie kann das erfolgreich gelingen? Und sind die österreichischen Maßnahmen auf diesem Gebiet ausreichend? Wir haben bei einem Experten nachgefragt, der die Frauen persönlich kennt.
Deradikalisierung braucht Struktur
Der auf den Nahen Osten spezialisierte Politologe Thomas Schmidinger hat maßgeblich bei der Auffindung von Maria G. mitgeholfen und ist als Zeuge für sie aufgetreten. Auch mit Evelyn T. hat er im kurdischen Internierungslager gesprochen. „Die beiden Fälle zeigen eher, wie man es nicht machen sollte“, kritisiert er Österreichs Vorgehen im WZ-Interview. Bei der Rückholung, die fast sechs Jahre gedauert hat, sei wertvolle Zeit verspielt worden: „Besonders in Bezug auf die Kinder, die keinerlei Schuld tragen. Das erschwert die psychotherapeutische Betreuung und die Integration ins Bildungssystem.“ Aus dem Außenministerium heißt es dagegen, dass man seit 2019 angeboten habe, die Söhne von Maria G. zurückzuholen. Das habe sie stets verweigert.
Deradikalisierung ist laut Schmidinger ein komplexer, vielschichtiger Prozess mit vielen Einflussfaktoren. „Grundsätzlich gilt: Eine Reintegration gelingt umso besser, je eher die Betroffenen wieder gesellschaftlichen Anschluss finden – beruflich wie emotional.“ Es brauche daher psychosoziale Begleitung, ein stabiles soziales Umfeld ohne extremistische Bezüge und berufliche Perspektiven durch eine Ausbildung. Eine vollständige Garantie für eine dauerhafte und anhaltende Deradikalisierung gäbe es aber nicht: „Niemand ist davor gefeit, in bestimmten Lebenslagen in extremistisches Denken abzurutschen. Wichtig ist es, die Wahrscheinlichkeit zu verringern.“
Rückholung statt Risiko
Ein wachsendes Sicherheitsrisiko stellen laut Schmidinger die inhaftierten österreichischen IS-Kämpfer in den syrischen Gefängnissen dar, welche bislang nicht zurückgeholt wurden. „Sie sitzen oft jahrelang ohne Urteil unter extrem schlechten Bedingungen mit anderen Extremisten ein.“ Kommen sie durch Flucht oder politische Veränderungen zurück, könne Österreich ihnen die Einreise nicht verwehren. Werde ihnen die Haftzeit in Syrien angerechnet, drohe Straflosigkeit – und damit gebe es keine Möglichkeit zur Überwachung oder Deradikalisierung. Der Experte spricht sich daher für eine kontrollierte Rückholung aus: „Gerade die gefährlicheren Personen wären hierzulande besser überwach- und behandelbar als unter unkontrollierten Bedingungen in Syrien.“ Offizielle Zahlen zu den österreichischen IS-Kämpfern gibt es nicht, viele verraten vor Ort nicht, welche Staatsbürgerschaft sie ursprünglich hatten.
Neue Generation, alte Ideologie
Das Problembewusstsein für Radikalisierung sei bei Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Lehrer:innen und anderen Berufsgruppen, die damit in Berührung kommen, heute größer als vor 2014, meint Schmidinger. Sie hätten zumindest grundlegende Schulungen und Workshops durchlaufen. Dennoch gäbe es Luft nach oben: „Präventionsarbeit sollte als fester Bestandteil in die Lehrerausbildung integriert werden.“ Bestehende Institutionen hätten sich ebenfalls professionalisiert und weiterentwickelt: „Die Beratungsstelle Extremismus ist definitiv besser aufgestellt als noch vor zehn Jahren.“
Im Strafvollzug habe es in den letzten Jahren ebenfalls Fortschritte gegeben, etwa durch Fallkonferenzen, in denen alle beteiligten Institutionen Schutzmaßnahmen für gefährliche Personen abstimmen. Bereits 2017 lieferte Schmidinger gemeinsam mit Kriminalsoziologin Veronika Hofinger in einer Studie diesen Lösungsvorschlag, 39 mutmaßliche Dschihadisten haben sie hinter Gittern befragt. „Es braucht jedoch eine neue wissenschaftliche Bestandsaufnahme, um die heutige Lage beurteilen zu können – besonders im Gefängnis“, meint der Experte.
Zurückgekehrte ehemalige IS-Anhänger:innen erachtet Schmidinger jedenfalls nicht als das Hauptsicherheitsproblem: „Die größere Gefahr geht von der Szene in Österreich aus, die sich weiterentwickelt hat und erneut eine jüngere Generation von Dschihadisten anspricht.“
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Thomas Schmidinger, österreichischer Politologe und Sozial- und Kulturanthropologe mit den Schwerpunkten Kurdistan, Dschihadismus, Naher Osten und Internationale Politik
Daten und Fakten
Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist eine dschihadistische Terrororganisation, die 2014 ein selbsternanntes Kalifat in Teilen Syriens und des Iraks ausrief. Er entstand aus Al-Qaida im Irak und nutzte extreme Gewalt, um Gebiete zu kontrollieren und eine radikale Interpretation des Islam durchzusetzen. Der IS verübte Massenmorde, Anschläge auf der ganzen Welt und versklavte unzählige Menschen – diese Taten wurden als Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Durch internationale Militärinterventionen verlor er bis 2019 sein gesamtes Territorium, bleibt aber als Untergrundbewegung aktiv. Heute agiert der IS vor allem durch Schläferzellen, Online-Propaganda und Ablegergruppen in verschiedenen Regionen der Welt.
Die Salzburgerin Maria G. war 17 Jahre alt, als sie sich 2014 dem Islamischen Staat (IS) anschloss. Sie ging nach Syrien, heiratete einen IS-Kämpfer und bekam zwei Söhne. Seit 2020 war sie im kurdischen Gefangenenlager Roj für IS-Frauen in Nordostsyrien.
Die Wienerin Evelyn T. lernte mit 16 Jahren ihren späteren Mann über gemeinsame Bekannte kennen. Sie hegte schon damals Sympathien für den IS und folgte ihm 2016 in die damalige IS-Hochburg Raqqa, wo sie ein Jahr später einen Sohn bekamen. Kurz nach der Geburt ergab sich das Paar den alliierten Kräften der Freien Syrischen Armee (FSA). Evelyns Mann wurde im Irak mutmaßlich zum Tod verurteilt, sie selbst kam mit ihrem Sohn ebenfalls ins kurdische IS-Gefangenenlager Roj, wo sie sieben Jahre festsaß.
Quellen
Der Standard: Zwei ehemalige IS-Anhängerinnen zurück in Österreich
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Profil: Podcast - Die Mädchen des IS
Kleine Zeitung: Beratungsstelle sieht Lücken bei Extremismus-Prävention
ORF Wien: DERAD vermisst langfristige Finanzierung
Der Standard: Wo Deradikalisierung in Österreich Lücken hat