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70 Millionen Soldaten

Von Christian Hoffmann

1914

Im Rückblick erscheint es auch hundert Jahre danach unfassbar, dass die Menschheit ein Ereignis wie den Ersten Weltkrieg überhaupt geschehen lassen konnte. Ein paar Fakten.


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Bis zum Ersten Weltkrieg beherrschten die europäischen Mächte einen großen Teil der Welt. Mit dem Krieg sollte diese Ära zu Ende gehen, die internationalen Kräfteverhältnisse begannen sich zu verschieben. 70 Millionen Soldaten und 40 Staaten waren an dem Geschehen beteiligt. Ungefähr 17 Millionen Menschen verloren ihr Leben (zehn Millionen Soldaten, sieben Millionen Zivilisten).

Hintergrund der weltweiten Katastrophe waren die Gegensätze innerhalb Europas. Auf der einen Seite standen Rivalitäten zwischen Deutschland und Frankreich sowie die immer aussichtloseren Bemühungen in Österreich-Ungarn, den übernationalen Kaiserstaat zusammenzuhalten. Frankreich bemühte sich nach den Niederlagen im 19. Jahrhundert, seine Position in Europa wieder zu stärken und setzte auf ein Bündnis mit Russland, das seinerseits ein Scheitern seiner Balkanpolitik befürchtete, während Großbritannien lange Zeit eine unklare Position zu diesen  kontinentalen Gegensätzen einnahm.

Zu diesen Rivalitäten, die zu allerlei kleineren Kriegen geführt hatten, kamen eine hartnäckige Aufrüstung auf allen Seiten sowie verwickelte Bündnissysteme und Beistandspflichten zwischen den europäischen Mächten, die in kurzer Zeit aus einem vermeintlich beschränkten militärischen Konflikt, wie es ihn innerhalb Europas immer wieder gegeben hatte, den bis dahin größten Krieg in der Geschichte der Menschheit machen. Dabei werden sich dann, sobald der Krieg in Gang ist, die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und das Osmanische Reich) sowie die Triple Entente (Großbritannien, Frankreich und Russland) gegenüberstehen.

Sarajevo

Das Attentat am 28. Juni 1914, bei dem der Student Gavrilo Princip den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie tötet, steht am Anfang einer Kette von Ereignissen, deren Folge vermutlich keiner der Beteiligten abzuschätzen vermag. Am 23. Juli stellt Österreich Serbien ein unerfüllbares Ultimatum und erklärt am 28. Juli offiziell den Krieg. Indessen bekräftigt Deutschland seine Bündnistreue gegenüber Österreich, Russland und Frankreich tun dasselbe in Bezug auf Serbien. In kürzester Zeit folgen weitere Kriegserklärungen, unter anderem: am 1. August Deutschland an Russland, am 3. August Deutschland an Frankreich, am  12. August Großbritannien an Österreich-Ungarn,  2. bis 5. November Russland, Großbritannien, Frankreich an die Türkei.

Bis Oktober 1914 scheinen die Deutschen im Westen erfolgreich zu sein. Sie greifen dabei auf einen alten Plan des Generals Alfred von Schlieffen zurück, der für einen solchen Fall eine defensive Taktik im Osten und einen raschen Vormarsch im Westen vorsah. Fünf deutsche Armeen dringen in Frankreich vor und kommen erst nach einer Schlacht am Fluss Marne zwischen 6. und 9. September des Jahres 1914 zum Stehen.

Außerdem werden in diesem Sommer zunächst die russischen Truppen in Ostpreußen zurückgedrängt, während die österreichisch-ungarischen Truppen in Galizien an der russischen Übermacht scheitern. Von Dezember 1914 bis April 1915 tobt die erbitterte Winterschlacht in den Karpaten.

Der Stellungskrieg

An der Front im Westen Deutschlands entstand nach der Marneschlacht nach und nach ein 700 Kilometer langes System von Stellungen, die keine der beiden Seiten durchbrechen konnte. Im Verlauf des Jahres 1915 wurde an verschiedenen Stellen erbittert gekämpft, ohne dass sich eine nennenswerte Veränderung der Lage ergeben hätte. Dabei setzten am 22. April des Jahres 1915 bei Ypern in Flandern deutsche Truppen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Giftgas ein.

Im Mai des Jahres 1915 entstand im Süden eine weitere Front, da sich Italien mit der Entente verbündete und Österreich den Krieg erklärte. Doch gelang den italienischen Truppen nach der Schlacht am Isonzo kein Durchbruch nach Norden, womit eine starre Frontlinie vom Stilfser Joch an der Schweizer Grenze bis an die Adria reichte.
Im Jahr 1916 blieb die Lage im Wesentlichen unverändert. Britische und französische Truppen unternahmen im Juli am Fluss Somme einen Vorstoß, der zu der verlustreichsten Schlacht in der Geschichte der Menschheit führte. Bis 15. September ließen dort etwa 624.000 alliierte Soldaten und ungefähr 420.000 Deutsche ihr Leben. Die Front hatte sich dabei gerade einmal um dreißig Kilometer verschoben.
Im Osten unternahm jedoch die russische Armee eine von General Alexei Brussilow geplante Offensive mit einer neuen Taktik, mit deren Hilfe es gelang, die vierte k.u.k Armee zu vernichten und bis an die rumänische Grenze vorzudringen, einer der größten Geländegewinne im Zuge des Kriegs.

Das Ende

Für die Bevölkerung der Kriegsländer war indessen die Lage beinahe unerträglich geworden, die anfängliche Begeisterung für den Krieg hatte sich gelegt. Im Winter des Jahres 1916 brachen bereits Unruhen aus. Die Zivilbevölkerung in Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland hungerte. Die Behörden, die organisatorisch mit dem Krieg überfordert waren, konnten die Nahrungsmittelversorgung nicht mehr sicherstellen. In Deutschland betrugen beispielsweise die Tagesrationen für Erwachsene nur noch 1000 Kilokalorien pro Tag. Auch in Österreich-Ungarn begann die Bevölkerung aufzubegehren. Deutlicher Ausdruck des Unmuts war das Attentat des Sozialisten Friedrich Adler am 21. Oktober, bei dem er Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh ermordete. Bei vielen Gelegenheiten begannen Soldaten zu meutern und zu desertieren.

Am 6. April 1917 traten schließlich die USA in den Krieg ein, womit erstmals ein europäischer Krieg von einer außereuropäischen Macht entscheidend beeinflusst wurde. Auf der anderen Seite war  Russland in einer heiklen Lage: Nach einer Revolution im März (nach russischem Kalender im Februar) forderten immer mehr Menschen die Beendigung des Krieges. Die deutsche Regierung, die hoffte, aus dieser Entwicklung Nutzen zu ziehen, versuchte die Revolution zu unterstützen und ermöglichte die Reise von Wladimir Iljitsch Lenin aus dem Schweizer Exil nach Russland. Anfang November, im russischen Kalender Anfang Oktober, fand auch tatsächlich eine Revolution statt, in deren Folge Russland den ersten Friedenschluss anbot.

Doch gerieten die Mittelmächte trotz der vorläufigen Beruhigung der Lage im Osten an der Westfront in die Defensive. Außerdem ging im Jänner des Jahres 1918 von den Rüstungsbetrieben in Wiener Neustadt eine Streikwelle aus, der auch in Deutschland Massenproteste und Streiks folgten, bei denen ein allgemeiner Frieden gefordert wurde. Zwar starteten die Mittelmächte zwischen März und Juli noch mehrere Offensiven, doch nach der zweiten Schlacht an der Marne zwischen 15. und 18. Juli, die von Historikern später als der Wendepunkt des Kriegs gesehen werden sollte, schien ihre Lage aussichtslos. Die österreichisch-ungarische Monarchie begann sich aufzulösen. Am 6. Oktober fanden sich Kroaten, Serben und Slowenen zu einem eigenen Nationalrat zusammen, in Ungarn war es am 25. Oktober so weit, am 28. Oktober wurde die Tschechoslowakei ausgerufen und am 30. Oktober konstituierte sich der Staat Deutschösterreich.

Österreich hatte der letzten Offensive an der südlichen Front nichts mehr entgegenzusetzen. Am 3. November kam es offiziell zum Waffenstillstand, am 11. November verzichtete Kaiser Karl auf seinen Einfluss auf die Regierung, womit ein Schlussstrich unter die Habsburgermonarchie gezogen wurde. Am 11. November 1918 unterzeichnete Deutschland in einem Wald in der Nähe der französischen Stadt Compiègne den Waffenstillstand, wenig später, am 28., verzichtete auch noch Wilhelm II. im Exil  formell auf die deutsche Krone.