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Auf Raumpatrouille mit Frau K.

Von Solmaz Khorsand

Raumvisionen

Seit 25 Jahren ist Jutta Kleedorfer in der Stadt Wien die Frau für Zwischennutzung. Wer einen Raum braucht, wendet sich an sie. Porträt einer professionellen Türklopferin.


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Wien. "Kennen Sie die Kleedorfer vom Magistrat?" "Sie müssen unbedingt mit Jutta Kleedorfer sprechen!" Wer sich in Wien mit dem Thema Zwischennutzung beschäftigt, kommt an einer Frau nicht vorbei: Jutta Kleedorfer, Projektkoordinatorin für Mehrfachnutzung in der MA18, dem Magistrat für Stadtentwicklung und Stadtplanung. Seit 25 Jahren beschäftigt sich die gebürtige Deutsche mit der knappen Ressource Raum und wie sie alle damit versorgen kann, die bei ihr anklopfen. Und es sind viele, die anklopfen. Bis zu zehn Anfragen hat die Raumplanerin pro Woche. Sei das für ein Atelier, einen Proberaum für ein Theaterstück, eine Kostümwerkstatt, ein Start-up-Büro oder ein Café. Mal suchen die Nachfragenden nach etwas Langfristigem, mal reichen ihnen auch nur ein paar Monate, um sich einmal auszuprobieren. Günstig soll es sein. Und unkompliziert.

Kleedorfer beginnt zu suchen. Auch vor Ort. Seit Jahren fährt die rüstige 63-Jährige die Stadt mit ihrem Fahrrad ab. In jede Gasse biegt sie ein auf der Suche nach den nächsten un- oder unternutzten Quadratmetern. Man weiß ja nie. In der Regel rät sie ihren Kunden, sich selbst einmal genauer umzusehen und zu erforschen, wem das heruntergekommene Kellerlokal oder das leere Lager mit den großen Fenstern zur Straße in ihrem Lieblingsviertel denn gehört. Sie sollen sich doch ein bisschen mit den Hausbesorgern unterhalten. Herausfinden, wo der Schuh drückt und wie offen man denn für etwas anderes, etwas Neues wäre. Denn nichts anderes tut sie. Herumfragen.

Gelegentlich ruft auch ein Vermieter oder ein Bezirkspolitiker bei ihr an, um sich von Kleedorfer den Sanctus zu holen. Kann man den jungen Leuten auch wirklich vertrauen, die da unten in meinem Keller ein bisschen Musik machen wollen? Ruinieren die mir eh nicht die Bude? Und vor allem: Gehen sie auch wieder, wenn ihre Zeit abgelaufen ist? "Das ist die größte Sorge der Vermieter", erzählt Kleedorfer.

Sie weiß, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Sie hören nicht Zwischennutzung, sie hören Besetzung à la Pizzeria Anarchia in der Mühlfeldgasse im 2. Bezirk. "Was mache ich, wenn die nicht wieder gehen, Frau Kleedorfer?‘ ‚Ja, wir werden uns sehr bemühen, bisher ist es bei allen Zwischennutzungsprojekten auch gelungen. Ja, aber sie können mir das nicht garantieren", spielt Kleedorfer immer wieder kehrende Situationen nach.

Das macht die 63-Jährige gern. Dialoge nacherzählen, um dem Gegenüber zu veranschaulichen, wie es in der Praxis tatsächlich aussieht. Mit viel Mimik und Gesten. Die deutsche Sprachmelodie hat sie sich nach 40 Jahren in Österreich immer noch bewahrt.

"Sie san ja nicht von da." Das hört sie oft. Es gefällt ihr, weil es die Leute umso mehr vor den Kopf stößt, dass sich eine Deutsche in der Materie offenbar besser auskennt als einer der "Ihrigen", wenn sie erklären muss, wie die Anrainer schon prophylaktisch über den Lärm eines potenziellen neuen Lokals schimpfen, welcher Innenhof denn nun tatsächlich geschlossen ist und welcher Hauseigentümer aus Spekulationsgründen die Erdgeschoßzone seiner Immobilie verkommen lässt. "Mir taugt das gut, ein bisschen fremd zu sein, aber mich auch irrsinnig gut auszukennen. Da muss erst einer kommen mit einer Gasse, die ich nicht kenne", sagt sie und lacht.

Das liberale Kifferholland als Vorbild

Unkonventionell sei sie, heißt es in der Branche. Eine ohne Maulkorb. Seit 1991 arbeitet Kleedorfer nun für die Stadt Wien. Doch an das Beamtentum hat sie sich selbst nach 25 Jahren noch nicht so richtig gewöhnt. Kleedorfer weiß um ihre unorthodoxe Art und kokettiert damit. "Ich bin nicht so ein hierarchischer Typ. Wenn man das nicht bei Zeiten gelernt hat, dann lernt man das auch später schlecht", erzählt sie, "ich war damals schon 37 Jahre alt, als ich hier angefangen habe. Zu dem Zeitpunkt ist man innerlich schon gefestigt und hat nicht dieses ständige: Was sagt der Chef dazu?"

Ursprünglich ist die gelernte Sozialarbeiterin aus dem deutschen Wuppertal 1972 nach Wien gekommen, um Tierärztin zu werden. Doch das Studium war damals für Ausländer gesperrt. Kleedorfer schrieb sich auf der Universität für Bodenkultur ein: Landwirtschaft, eine reine Männerdomäne - die mit Frauen nichts anfangen konnte. "Frau Kollegin, was wollen Sie denn hier? Sie haben doch keine Landwirtschaft zu Hause und Sie sind eine Frau. Das hat doch keinen Sinn", wurde ihr damals gesagt. Zu sentimental seien Frauen für die Landwirtschaft. Höchstens zu gebrauchen für die Geflügelzucht, das war das Einzige, das Mann zarten Frauenhänden vorbehaltlos anvertrauen wollte. Kleedorfer hatte kein Interesse an Hühnern. Sie schrieb sich ein für einen neu gegründeten Studiengang an der Technischen Universität: Raumplanung.

Dabei ist sie geblieben. Anfangs arbeitete sie zum Thema Mehrfachnutzung von Schulhöfen und orientierte sich an Beispielen aus den Niederlanden. So kannte sie es aus Deutschland. "Dieses frühere liberale Kifferholland war kein Vorbild für das seriöse Österreich. Dann bin ich auf die Schweiz gekommen, die anders argumentieren", erzählt sie. Ineffizient war das Wiener Konzept für die Schweizer.

"Am Vormittag leistet ihr euch dieses öffentliche Grundstück, dann ist es zu, am Nachmittag leistet ihr euch einen Sportplatz und dann auch noch einen Park. Was ist das für ein ökonomischer Blödsinn in Wien?", gibt Kleedorfer die Schweizer Kritik wieder und ist in ihrem Element der Nachsynchronisation. So begann eines ihrer ersten Projekte, die Mehrfachnutzung von Schularealen. So sollten Sportplätze nach Schulschluss am Nachmittag auch von den Anrainern benutzt werden können. Ein Kampf war es, die Schulverwalter dafür zu gewinnen. Schule für Schule. Bezirk für Bezirk. Vielerorts ist es ihr gelungen. Oft wurde ihr die Frage gestellt. "Würde es ihnen gefallen, wenn dauernd Fremde bei Ihnen durch den eigenen Garten gehen?" In diesen Situationen muss Kleedorfer immer lachen. Seit Jahrzehnten lebt sie im 7. Bezirk in einer Wohngemeinschaft. Schon mit ihren zwei Töchtern hat sie lieber mit einer Freundin und deren drei Kindern gelebt, als mit dem Kindsvater, einem Philosophen. "Die Männer sind nur zu Besuch gekommen, weil ihnen das zu anstrengend war mit den Kindern", sagt sie. Die Kinder sind längst ausgezogen. Doch sie lebt noch in der Wohngemeinschaft. Räume zu teilen ist für sie keine theoretische Angelegenheit, sondern gelebte Realität in den eigenen vier Wänden.

Neue Agentur übernimmt Arbeit

Seit 1998 betreut sie nun als Koordinatorin das Projekt "mehrfach-einfach." Bald wird ihre Aufgabe eine andere Stelle hauptamtlich übernehmen. Die Agentur "Kreative Räume" kümmert sich seit Oktober darum, Nutzer und Vermieter an einen Tisch zu bringen und Räume zu finden, so wie es im rot-grünen Übereinkommen der Stadtregierung bereits 2010 vereinbart worden waren. Nach sechs Jahren wird die Serviceagentur - mit den Budgets von den Büros der Stadträte von Kultur, Stadtentwicklung und Wirtschaft - nun ihre Arbeit aufnehmen. Jutta Kleedorfer ist guter Dinge. In zwei Jahren wird sie in Pension gehen. Und sie will sicher sein, dass auch dann jeder seinen Quadratmeter findet, um sich auszutoben.