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Bühne frei für falsche Ameisen & Co

Von Kerstin Viering

Wissen
Um so zu tun, als wäre sie eine Ameise, läuft die Spinne auf nur sechs statt acht Beinen.
© corbis/Paul Bertner

Nicht nur Menschen bringen Oscar-reife Leistungen. Auch im Tierreich gibt es begabte Schauspieler.


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Berlin. "And the winner is ... a human again!" Auch heuer werden bei der Oscar-Verleihung Menschen die Preise für die besten Darsteller einheimsen. Dabei ist die Schauspielkunst durchaus auch im Tierreich verbreitet. Und manche Arten stellen dabei erstaunliche Talente unter Beweis.

"Eine Oscar-reife Performance" bescheinigt Ximena Nelson von der University of Canterbury im neuseeländischen Christchurch etwa Spinnen der Gattung Myrmarachne. Diese Bewohner von tropischen Regenwäldern brillieren in einer Insekten-Rolle. Mit ihrem für Spinnen ungewöhnlich langen, schlanken und haarlosen Körper und ihrer schmalen Taille sehen sie nicht nur aus wie Ameisen. Sie machen die Illusion auch noch perfekt, indem sie auf nur sechs ihrer acht Beine laufen. Die anderen beiden halten sie winkend über den Kopf, als würde es sich um Insektenfühler handeln. Sie imitieren sogar die hektischen Bewegungsmuster von krabbelnden Ameisen. Mit diesem überzeugenden Auftritt schützen sich die achtbeinigen Schauspielerinnen vor anderen Spinnenarten, die Ameisen aus dem Weg gehen.

Meerestiere tarnen sich als Steine zum Schutz vor Feinden

Auch andere Tiere schlüpfen gerne in die Rolle einer wehrhaften oder ungenießbaren Art, um gefräßige Feinde abzuschrecken. Einen der talentiertesten Monster-Darsteller überhaupt hat Mark Norman von der University of Melbourne vor der Küste der indonesischen Insel Sulawesi entdeckt. Bei wissenschaftlichen Tauchgängen stießen er und seine Kollegen dort auf die Imitator-Krake Thaumoctopus mimicus. Sie verblüffte mit einem reichhaltigen Rollenrepertoire.

Normalerweise ist dieser Oktopus, der eine Spannweite von bis zu 60 Zentimeter erreicht, ein eher unscheinbarer Zeitgenosse. In gedeckte Brauntöne gehüllt, kriecht er über den Meeresgrund und steckt seine Arme in Löcher und Spalten, um nach Krebsen und anderen Leckerbissen zu fahnden. Wenn er sich aber bedroht fühlt, kann er verschiedene Gifttiere darstellen. Zum Beispiel Seezungen der Gattung Zebrias, die sich mit Giftdrüsen an der Basis ihrer Rücken- und Afterflosse verteidigen. In dieser Rolle legt der Oktopus alle acht Arme so an, dass er eine flache Plattfisch-Figur bekommt, und versetzt seinen Körper in wellenförmige Bewegungen.

Schwimmt Thaumoctopus mimicus dagegen direkt über dem Meeresboden und zieht die abgespreizten Arme hinter sich her, sieht er aus wie ein Feuerfisch mit drohend aufgestellten Giftstacheln. Und manchmal schiebt er sogar sechs Arme in ein Loch, streckt die beiden übrigen in entgegengesetzte Richtungen aus und macht damit schlängelnde Bewegungen. Das gelb-schwarze Streifenmuster, mit dem er bei so einem Auftritt seine Arme schmückt, schafft die Illusion einer giftigen Plattschwanz-Seeschlange. Weiters versucht er sich als Seeanemonen- oder Quallen-Darsteller. Forscher haben noch keinen anderen tierischen Schauspieler entdeckt, der in so viele verschiedene Rollen schlüpft.

Vögel geben vor, zu hinken, um Raubtiere zu täuschen

Die Flexibilität hat für die Verwandlungskünstler einen großen Vorteil. Sie können, je nach Situation, die erfolgversprechendste Inszenierung wählen. Wenn sie etwa von Anemonenfischen angegriffen werden, spielen sie eine Seeschlange, die Anemonen frisst. Andere Arten schlüpfen zur Tarnung in die Kostüme von Steinen, ungenießbaren Korallen oder Algen. Möglicherweise zwingt das Leben auf offenen Sand- und Schlammflächen die Imitator-Kraken zu derart raffinierten Verteidigungsstrategien.

Es ist wohl kein Zufall, dass Biologen ausgerechnet unter den Tintenfischen so viele begabte Schauspieler entdeckt haben. Da sie kein starres Skelett besitzen, sind sie besonders wandlungsfähig und können unterschiedliche Formen annehmen. Auch die Farbe, das Muster und die Textur ihrer Haut können sie in kürzester Zeit verändern.

Säugetiere und Vögel sind da deutlich weniger flexibel. Trotzdem geben auch sie durchaus eindrucksvolle Vorstellungen. Allerdings verändern sie statt ihres Aussehens meist ihr Verhalten, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Bei Vögeln ist die Rolle des falschen Kranken beliebt. Wenn sie einen Feind von ihrem Nest weglocken wollen, hinken sie ungeschickt in die andere Richtung oder lassen einen scheinbar gebrochenen Flügel hängen. Sobald sie in der Rolle der leichten Beute das Raubtier weit genug vom Nest weggelockt haben, flattern sie - kerngesund - davon. Ein solches Verhalten haben Biologen bei einer ganzen Reihe von Vogelarten beobachtet - von Regenpfeifern über Kraniche bis hin zu Uhus. Oft sind die Vorstellungen so überzeugend, dass auch die Wissenschafter sich täuschen lassen.

Schimpansen tun friedlich, um später Rache zu üben

Nicht jedes tierische Rollenspiel dient der Verteidigung. Manchmal stecken auch aggressive Absichten dahinter. Frans de Waal vom Yerkes National Primate Research Center in den USA ist überzeugt, dass Schimpansen in die Rolle des harmlosen Pazifisten schlüpfen, um Rache nehmen zu können. Im niederländischen Zoo Arnheim hat der Verhaltensforscher eine solche Strategie mehrfach beobachtet. Immer waren die Hauptdarstellerinnen erwachsene Weibchen, die ihre Gegner in einem Konflikt nicht zu fassen bekommen hatten. Mit einladenden Gesten und einer entspannten Körperhaltung lockten sie den zuvor Entkommenen heran. Doch kaum war der Kontrahent in Reichweite, griffen sie an.

Trotz solcher raffinierten Stücke ist selbst für unsere nächsten Verwandten kein Oscar in Sicht. Zwar war im Jahr 2004 ein Orang-Utan namens Bam Bam, der in einer Sitcom eine Krankenschwester gespielt hatte, für einen Emmy Award im Gespräch. Doch die American Academy of Television Arts and Sciences urteilte, dass die höchste Fernsehauszeichnung der USA Schauspielern vorbehalten sei, die eine Rolle nuancenreich interpretieren und in einen Dialog mit ihrem Publikum treten könnten. Und das sei eben nur Menschen möglich. Ob Bam Bam nur die falsche Rolle hatte?