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Ex-Präsident Brasauskas als "Bindemittel"

Von Jakob Lemke

Politik

Vilnius - Dass eine Nachfolgepartei der kommunistischen Einheitspartei mit einer großen sozialdemokratischen Neugründung verschmilzt, hat in den osteuropäischen Reformstaaten Seltenheitswert. Am Samstag ist es in Litauen so weit. Die Ex-Kommunisten von der Litauischen Demokratischen Arbeiterpartei (LDDP) und die Litauische Sozialdemokratische Partei (LSDP) wollen ihre Vereinigung auf einem gemeinsamen Sonderparteitag besiegeln.


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"Es entspricht dem Willen der Menschen", sagt Ceslovas Mickevicius, Generalsekretär der LSDP. Im Kopf dürfte er dabei vor allem Wahlergebnisse haben. Solange beide Parteien getrennt angetreten waren, fuhren sie zusammengerechnet gerade 20 Prozent der Wählerstimmen ein. Bei den Parlamentswahlen im Herbst 2000 kandidierten beide Gruppierungen erstmals als Bündnis und wurden mit

32 Prozent der Stimmen gleich Wahlsieger, was aber nicht für eine Regierungsbeteiligung reichte. Als eine "rationale Entscheidung" bewertet Ramunas Vilpisauskas den Zusammenschluss. Interessanter findet der Chefanalytiker des renommierten litauischen "Free Market Institute", "warum eine solche Entwicklung nicht in anderen Ländern passiert ist". Meist hänge dies mit den "Ambitionen der Parteiführer zusammen", meint er.

In Litauen fungiert vor allem Algirdas Brasauskas als Bindekraft. Der 68 Jahre alte Ex-Präsident führt als moralische Autorität im Lande bei Umfragen regelmäßig die Beliebtheitslisten an. Ganz väterlich sagt er nun: "Ich glaube, ich kann wieder nützlich für unser Land sein." Er strebe keine Karriere an, sagt er, wohlwissend, dass er mit Sicherheit zum Vorsitzenden der neuen Partei gewählt werden wird. Brasauskas hatte die Kommunistische Partei schon geführt, als Litauen noch eine Sowjetrepublik war. Als Brasauskas dann nach der von ihm maßgeblich mitbetriebenen Loslösung von Moskau den Präsidentenposten übernahm, legte er die Parteizugehörigkeit ab.

Jetzt verwirklicht Brasauskas seinen "Lebenstraum", wie er die neue Verbindung nannte. Die Arbeiterpartei bringt umfangreichen Besitz als Mitgift in die Politehe ein, und die Sozialdemokraten den unverbrauchten Namen nebst jungen Gesichtern. Regionale Hochburgen kann man künftig gemeinsam nutzen. Und das Schattenkabinett besteht nun fast ausschließlich aus bekannten Politikern. "Wenn die Regierung weiter macht wie jetzt, müssen wir für alles bereit sein", sagt Ceslovas Jursenas, bisher Chef der Arbeiterpartei.

Bereits im Februar werde man ein alternatives Regierungsprogramm vorstellen. Obwohl die Mitte-Rechts-Regierung unter Rolandas Paksas erst 100 Tage im Amt ist, hat sie schon einen Minister und einige Abstimmungen verloren. Premier Paksas agiert nur mit einer Minderheit im Parlament und muss sich zudem beinahe komplett auf unerfahrene Abgeordnete und Kabinettsneulinge stützen.

"Natürlich bereiten sich die Mannen unter Brasauskas nun auf die Macht vor", sagt Kestutis Petrauskis, stellvertretender Chefredakteur des litauischen Nachrichtenmagazins "Veidas". Mit mehr als 10.000 Mitgliedern und einem breiten Stamm erfahrener Funktionäre werden die neuen Sozialdemokraten zur größten politische Kraft in Litauen. Intern schätzt man das Wählerpotenzial auf über 40 Prozent. Schon jetzt nutzt die neue Macht im Land ihre große Erfahrung, um die Koalition ein ums andere Mal öffentlich vorzuführen.