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Fragliches Lebensziel Frühpension

Von Herbert Hutar

Wirtschaft

Viele fühlen sich noch zu jung für die Pension. | Mitarbeiter über 50 punkten mit Erfahrung. | Kündigungen aufgrund des Alters anfechtbar. | Wien. Herr Müller ist 55, arbeitet seit vielen Jahren in seiner Firma, und er ist mit seiner Leistung ebenso zufrieden wie sein Abteilungsleiter. Schließlich hat er alle Umstrukturierungen mitgetragen, eigene Ideen eingebracht und Fortbildungskurse besucht. Nur selten war er im Krankenstand.


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Eines Tages steht auf seiner Gehaltsabrechnung ganz unten ein Satz, der ihn stutzen lässt: "Mit automatischer Post wurde eine Anfrage an die PVA übermittelt mit der Bitte, Herrn Müller mitzuteilen, wann sein frühestmöglicher Pensionsantritt erfolgen kann. Herr Müller wird ersucht, die Antwort in der Personalabteilung vorzulegen."

Herr Müller aber denkt nicht an Pension, fühlt sich am Arbeitsplatz gut aufgehoben und meint, jetzt müsste doch der Abteilungsleiter ein beruhigendes Wort finden. Der tut das aber nicht, weil er von dem Satz auf der Gehaltsabrechnung von Herrn Müller nichts weiß. Denn die Gehaltsabrechnung ist seit Jahren voll automatisiert, einschließlich der Pensionierung von Mitarbeitern.

Herrn Müller macht die Arbeit nun nicht mehr so viel Spaß. "Die brauchen mich nicht mehr, und keiner redet mit mir", denkt er sich. Im Lauf der Monate werden die Kreuzschmerzen, die er fallweise hatte, häufiger und ärger. Dann kommt der Brief von der PVA mit dem frühestmöglichen Pensionsantritt.

Herr Müller lässt sich die Abschläge auf die Pension ausrechnen, das Ergebnis macht ihn wütend. Das Verhältnis zum Abteilungsleiter wird gespannt. Viel zu spät sprechen die beiden miteinander, die Pensionierungsmaschinerie läuft bereits auf vollen Touren. Also ab in die Frühpension.

Das Alter als unerlaubte Diskriminierung

Wer die Nerven und die Unterstützung der Gewerkschaft oder sonst einer Rechtsschutzversicherung hat, kann die Kündigung vor dem Arbeitsgericht anfechten. Robert Palka, Anwalt in Wien mit den Schwerpunkten Arbeits- und Vertragsrecht, erklärt: "Das Interesse der Dienstgeber ist gering, pensionsberechtigte Mitarbeiter länger zu beschäftigen als unbedingt nötig." Die meisten Fälle enden mit einem Vergleich, berichtet Palka.

Das Alter allein als Kündigungsgrund aber sei immer mehr umstritten und könne eine unerlaubte Diskriminierung darstellen, auch wenn es in einem Kollektivvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgehalten sei. Einige große Unternehmen, vor allem im öffentlichen Bereich, hätten schon Änderungen vorgenommen.

Das Alter als unerlaubte Diskriminierung: Ein heißes Thema unter Arbeitsrechtlern, nicht nur in Österreich. Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete unlängst unter dem Titel "Renitenter Rentner" von einem Mann, der trotz Betriebsvereinbarung nicht in Rente gehen will, weil er sich gesund fühlt und keine Pensionsabschläge in Kauf nehmen will. Sein Fall liegt in Luxemburg beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Nur ein Drittel normale Alterspensionisten

Der Innsbrucker Arbeitsrechtler Universitätsprofessor Gustav Wachter betont, dass die in Österreich nicht seltenen Zwangspensionierungen von Frauen mit 60 und von Männern mit 65 Jahren mit Blick auf das Grundrecht auf Nichtdiskriminierung überaus problematisch und in vielen Fällen mangels einer ausreichenden Rechtfertigung rechtswidrig sind. Gemäß Artikel 21 der Europäischen Grundrechtecharta sind nämlich Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts und Alters, verboten.

Bei knapp 49.000 neuen Alterspensionen im Jahr 2009 entfiel laut Sozialministerium nur ein Drittel auf die normale Alterspension, zwei Drittel gingen in eine vorzeitige Alterspension. Davon entfiel wiederum der größte Teil mit knapp 22.000 auf die "Hacklerregelung". Viele drängen auch in die Frühpension, weil sie bald Verschlechterungen fürchten.

Nach einer vom ÖVP-Seniorenbund in Auftrag gegebenen GfK-Studie "Generation 60 plus" hängen nur rund 30 Prozent den Job gern und freiwillig vorzeitig an den Nagel. Fast zwei Drittel vertreten darin die Ansicht, dass ältere Menschen in die Pension gedrängt werden.

Gesundheitliche Probleme, Stress und Überlastung lassen viele das Handtuch werfen, vermutet der Sozialwissenschaftler Reinhard Raml im Ifes-Institut. Vor allem Arbeiter und Menschen mit geringer Ausbildung lassen das erkennen. Auffallend sei das Zusammentreffen von Unzufriedenheit mit dem Chef einerseits und Bluthochdruck, Verdauungsproblemen und Kreuzschmerzen andererseits.

Das Ifes-Institut erstellt den Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer Oberösterreich. Und darin sieht Raml schon früh alarmierende Anzeichen: Rund 45 Prozent aller Beschäftigten können sich nicht vorstellen, dass sie das Regelpensionsalter an ihrem jetzigen Arbeitsplatz schaffen, der Anteil dieser Pessimisten steigt von 39 Prozent bei den Jungen (15 bis 29 Jahre) bis auf 48 Prozent bei den Älteren (ab 50 Jahre).

Von den Frühpensionen profitieren aber nicht zuletzt die Arbeitgeber: Ältere und teure Mitarbeiter werden in Pension geschickt, für die braucht nicht mehr das Unternehmen - einschließlich der Lohnnebenkosten - aufzukommen, deren Unterhalt bezahlt dann die Pensionsversicherungsanstalt. Personalabbau über die Frühpension ist für die Arbeitgeber die billigste und bequemste Lösung.

Die Präsidenten Christoph Leitl von der Wirtschaftskammer und Veit Sorger von der Industriellenvereinigung predigen dennoch landauf landab, das Pensionsalter oder zumindest das Pensionsantrittsalter müsse hinaufgesetzt werden. Ziemlich drastisch bezeichnete daher SPÖ-Pensionisten-Verbandspräsident Karl Blecha Leitls Forderung nach weiteren Abschlägen für Frühpensionisten als "puren Zynismus".

Ob der bisher ungebrochene Trend zur Frühpension eher ein freiwilliger oder ein von den Arbeitgebern erzwungener ist, lässt sich in Zahlen kaum festmachen. Etliche Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträge begünstigen einen möglichst frühen Pensionsantritt.

"Das verborgene Gold in Unternehmen"

Umfragen und Studien bescheinigen älteren Menschen aber wesentlich mehr Arbeitsfreude, Arbeitsethos und auch Fähigkeiten, als es dem Klischee entspricht. Aus der Untersuchung von GfK "Arbeit und Beruf in Österreich" geht hervor: Über 50-jährigen Menschen ist "sinnvolle und befriedigende Arbeit" nicht nur "wichtig bis sehr wichtig", sondern auch wichtiger als jüngeren Jahrgängen. Entsprechend sagen die Älteren deutlicher als die Jüngeren, sie seien bereit, für die Arbeit auch private Opfer zu bringen.

AK und ÖGB werben in einer Studie für "das verborgene Gold im Unternehmen", womit ältere Arbeitnehmer gemeint sind. Eine der Kernaussagen: Die körperliche Leistungsfähigkeit zwischen 20 und 65 Jahren nehme zwar ab, die psychische aber bleibe gleich und die geistig-soziale Leistungsfähigkeit nehme sogar zu. Besonnenheit, das Erfassen von Zusammenhängen sowie Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis seien die großen Pluspunkte der Älteren. Allerdings seien die Betriebe aufgerufen, die Arbeit altersgerecht zu organisieren und zu gestalten, damit die Vorteile eines idealen Altersmix auch in der Produktivität sichtbar werden.

Derzeit würden Ältere bei der Fortbildung und bei gesundheitsfördernden Maßnahmen im Betrieb zu wenig eingebunden. Immer noch seien negative Vorurteile in den Betrieben bestimmend, zum Beispiel Leistungsschwäche. Diese Vorurteile werden auch von den Führungskräften weitergetragen, kritisieren die Studienautoren, auch dort sei anzusetzen.

Die Zahl der Arbeitslosen ist im August in Österreich dank der anspringenden Konjunktur im Jahresabstand um 8,5 Prozent zurückgegangen. Das ist der Durchschnitt. In der Altersgruppe 50 plus ist die Arbeitslosigkeit aber nur um knapp drei Prozent gesunken. Diese Tendenz deckt sich mit einer Studie des AMS zur Beschäftigungsmöglichkeit Älterer aus den Jahren zuvor: Nur knapp sieben Prozent aller neuen Arbeitsverhältnisse kamen den über 50-Jährigen zugute. Nur ein Fünftel der 112.000 Betriebe, die 2009 neue Beschäftigte eingestellt haben, haben auch Ältere eingestellt.

Aber der Arbeitsmarkt kippt: 2015 werden erstmals mehr Menschen in Pension gehen als neue, junge Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt nachrücken, so der ÖVP-Seniorenbund. Und er hat - wie auch andere - ein Belohnungsmodell für längeres Arbeiten zur Hand. Dieses Modell setzt allerdings erst mit 65 für Männer und mit 60 für Frauen an, also beim Regelpensionsalter. Nur: So weit kommen die meisten nicht.

AltersgerechteArbeitsplätze gefragt

Gertrude Aubauer, ÖVP-Seniorensprecherin im Nationalrat, regt unter anderem einen Seniorenpool beim AMS an, wo sich ältere Menschen lange vor ihrer möglichen Pension auf altersgerechte Arbeitsplätze weiter vermitteln lassen können. Aubauer hebt das Modell des schwedischen Maschinen- und Lkw-Herstellers Scania hervor, bei dem die Arbeitszeit für Ältere stärker gekürzt werde als der Lohn, die Differenz zahle das Unternehmen.

Von einer Kostenbeteiligung der Arbeitgeber ist im Belohnungsmodell der Wirtschaftskammer keine Rede, nur von möglichen Vereinbarungen, bei denen die PVA einen Teil der Belohnung für längeres Arbeiten an die Arbeitnehmer zahlen soll, einen Teil an die Arbeitgeber als Unterstützung. Unter dem Strich erspare sich die PVA ohnehin einiges, weil sie ja keine Pension in einem solchen Fall auszahle. Sozialminister Rudolf Hundstorfer hat daran gedacht, Frühpensionisten mit 250 Euro pro Monat das Weiterarbeiten schmackhaft machen, später aber erklärt, dieser Vorschlag sei noch zu wenig ausdiskutiert.