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Umstrittene Inseln bergen Öl und Gas. | China und die USA rittern um die Macht im Westpazifik. | Wer kontrolliert die Handelswege?
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Hanoi/Peking/Wien. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts besaßen sie nur navigatorische Bedeutung für Seeleute, die auf der wichtigen Ost-West-Route zu stranden drohten: Die Spratly- und die Paracel-Inseln, eine Gruppe aus hunderten kleinen Atollen, Sandbänken und Felserhebungen im Südchinesischen Meer. Ein Großteil der zwischen China, Vietnam, Malaysia und den Philippinen liegenden rund 400 Eilande geht bei Flut unter, von den 12 Hauptinseln weisen nur sieben eine Ausdehnung von mehr als einem halben Quadratkilometer auf. Von Juli bis November rast der Taifun über sie hinweg. An Landwirtschaft ist nicht zu denken. Wohl deshalb auch ließ sich ein Vertreter des World Wildlife Fund (WWF) vor Jahren zu der Bemerkung hinreißen, die Inseln gehörten den Seeschildkröten und Seevögeln und nicht irgendwelchen Regierungen.
Die Anrainerstaaten sehen das allerdings anders: Sowohl China als auch die Mitglieder der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean - Vietnam, Philippinen, Malaysia und Brunei - erheben Anspruch auf die Meeresgebiete um die Eilande. Und das nicht nur der mehr als ansehnlichen Fischbestände wegen, die - der politischen Querelen sei in diesem Fall Dank - dort noch halbwegs intakte Laichplätze vorfinden, sondern vor allem aus zwei anderen Gründen: Weil im Südchinesischen Meer eine der geostrategisch wichtigsten Handelsrouten der Welt zwischen China und dem Indischen Ozean verläuft. Und weil - vor allem in der Nähe der besonders umstrittenen Spratlys - immense Öl- und Gasvorräte vermutet werden: Schmierstoff für die Wirtschaftsmaschine in den aufstrebenden Staaten Südostasiens.
China geht das Öl aus
Vor allem in China ist der Hunger nach Rohstoffen gewaltig - kein Wunder, neigen sich doch die Vorkommen dem Ende zu: Die Ölreserven im Gebiet von Daqing in der Mandschurei, bis jetzt Chinas Hauptfördergebiet, gehen in wenigen Jahren zur Neige. Auch deshalb hat China seine Ansprüche im Südchinesischen Meer als „nicht verhandelbar” bezeichnet.
Und die reichen weit: Die Volksrepublik hat bis zu einer „ersten Insellinie” (siehe Grafik) ein weit gestecktes Hoheitsgebiet beansprucht, das Peking direkt kontrollieren will. Bis auf Küstengebiete von Anrainerstaaten fällt fast das gesamte Südchinesische Meer darunter, das dann wirklich, seinem Namen gemäß, zu einer Art chinesischem „mare nostrum” würde, zu einem Territorialgewässer. Peking spricht das spätestens seit dem Abzug der 7. US-Flotte aus Subic Bay auf den Philippinen auch offen aus und erklärt seine Ansprüche, die weit über die durch UN-Seerecht zugesprochenen Gebiete hinausreichen, als „nicht verhandelbar”. Die Paracel-Inseln gelten de facto bereits als chinesisch. Vom demonstrativen Werben Chinas um die Asean-Nachbarstaaten knapp nach der Jahrtausendwende ist nicht mehr sehr viel übrig. Immerhin einigten sich Peking und die Asean-Staaten bei einem Treffen Ende Juli auf gemeinsame Richtlinien für eine „harmonische Zusammenarbeit”.
Anti-China-Demos
Pekings Territorialansprüche stoßen auf erbitterten Widerstand der Nachbarn. Vor allem Vietnam, das mit China seit Jahrhunderten in angespannten Verhältnissen lebt, stellt sich den chinesischen Forderungen entgegen und erhebt selbst Anspruch auf die Inseln. Gemeinsam mit den Philippinen wirft Hanoi Peking vor, seine Schiffe in dem umstrittenen Gebiet zu behindern. Erst Mitte Juli kam es in Vietnam zu heftigen, über Wochen andauernden antichinesischen Demonstrationen nach einem Zwischenfall mit zwei Schiffen. Hanoi ließ daraufhin in dem Gebiet Schießübungen mit scharfer Munition durchführen. Auch die philippinische Marine war im März zur Untermauerung der Ansprüche Manilas in See gestochen. Vietnam ließ zudem im Mai seine Parlamentswahlen auch auf dem Spratly-Archipel durchführen, wogegen China scharfen Protest einlegte.
Dass Hanoi, wenn es gegen China geht, sogar bereit ist, mit dem Ex-Kriegsgegner USA Übungen abzuhalten, zeigt, wie sehr man sich in Südostasien vor dem Aufstieg des Giganten China fürchtet. Nach dem bekannten Motto, wonach der Feind meines Feindes mein Freund ist, lehnen sich die kleineren Länder rund ums Südchinesische Meer zunehmend an Amerika an. Die USA, so das Kalkül, sollen sie davor beschützen, allein dem mächtigen Reich der Mitte ausgeliefert zu sein.
In Washington stößt man damit auf offene Ohren, aus Peking kommt schroffe Ablehnung: „China ist ein großes Land und andere Länder sind kleine Länder. Und das ist eben eine Tatsache”, sagte der chinesische Außenminister Yang Jiechi, an seinen Amtskollegen aus Singapur gewandt, auf einer Asean-Konferenz vor einem Jahr in Hanoi - zu jener Zeit also, „als China seine Zurückhaltung aufgab”, wie es die deutsche „Zeit” formulierte.
Zurückhaltung ist dahin
Das betont vorsichtige Understatement in der Außenpolitik Chinas, das einst der Reformer Deng Xiaoping vorgab, ist in der letzten Zeit - seit der Finanzkrise 2008, mindestens seit 2010 - einem zunehmenden Streben nach Hegemonie gewichen. Jiechi verbat sich auf der Konferenz schroff jede amerikanische Einmischung im Südchinesischen Meer, erklärte das Gewässer zu Pekings „Kerninteresse” und lehnte jedwede Internationalisierung ab. US-Außenministerin Hillary Clinton bot sich ihrerseits demonstrativ als Vermittlerin an - und fügte hinzu, dies liege „im nationalen Interesse” der USA. Nach den verlustreichen Kreuzzügen von Ex-Präsident George W. Bush im islamischen Raum will sich Washington wieder stärker der Sicherung seiner Macht im Pazifik widmen.
Eine Kraftprobe bahnt sich zwischen den beiden globalen Rivalen USA und China an, die wirtschaftlich so eng aneinandergekettet sind. Dabei scheint ebenso wie im Wirtschaftsleben zunehmend klar, dass China die kommende Großmacht darstellt und auch im Westpazifik von einem neuen amerikanischen Jahrhundert, von dem noch die neokonservativen Berater von Bush träumten, keine Rede sein kann. Zwar liegen die chinesischen Verteidigungsausgaben - das Pentagon schätzt sie auf über 150 Milliarden Dollar - trotz jährlicher Zusatzinvestitionen von rund 12 Prozent immer noch weit unter den 708 Milliarden Dollar, die die USA im Jahr 2011 für Rüstung ausgeben. Doch wer weiß, wohin die US-Schuldenkrise noch führt?
China rüstet auf
Der Trend spricht jedenfalls klar für die „Volksbefreiungsarmee”, die es sich aufgrund voller Kassen leisten kann, die Streitkräfte in hohem Tempo zu modernisieren. Dabei kauft Peking hochwertiges Rüstungsgut nicht mehr nur zu, sondern entwickelt auch selbst konkurrenzfähige Waffen: etwa den Tarnkappen-Kampfjet J-20, dessen Erstflug im Jänner just in dem Moment stattfand, als US-Verteidigungsminister Robert Gates in Peking weilte. Gates hatte 2009 gemeint, ein solcher Jet stünde China frühestens 2020 zur Verfügung. Bereits 2008 offenbarten Satellitenbilder eine geheime chinesische U-Boot-Basis auf der Insel Hainan, Chinas Tor ins Südchinesische Meer. Sie soll auch eine sogenannte „De-Magnetisierungsanlage” besitzen, wodurch die Boote nur schwer zu orten wären. Vor allem aber ließ China ballistische Anti-Schiffs-Raketen entwickeln, die eine gesamte amerikanische Flugzeugträgerflotte auf Grund schicken könnten. Militärexperten gehen davon aus, dass die voluminösen Kolosse bei der gegenwärtigen Entwicklung der Waffentechnik ein leichtes Ziel für solche Raketen wären. Dennoch lässt es sich China nicht nehmen, selbst einen Flugzeugträger zu entwickeln, seitdem man von der Ukraine das sowjetische Schiff „Warjag” erwarb und auseinandernehmen ließ.
Am Mittwoch ist der Flugzeugträger, der nun angeblich nach einem Admiral des 17. Jahrhunderts „Shi Lang” benannt wurde, zu seiner ersten Probefahrt aufgebrochen. Die USA reagierten beunruhigt und wollten von China wissen, „warum es so eine Ausrüstung benötigt.” Vor einem Monat hatte Peking lediglich erklärt, das Schiff solle für „wissenschaftliche Forschung, Experimente und Training” genutzt werden. Die Konstruktion aus Sowjetzeiten kam ohne Motor und Elektrik nach China. Die Wiederinstandsetzung soll Gerüchten zufolge nur Vorbereitung für den Bau eigener Flugzeugträger gewesen sein, die einstige „Warjag” würde demnach bloß zur Ausbildung dienen.
„AirSea Battle”
Dass Peking technologisch einen Sprung gemacht hat, wurde auch kürzlich sichtbar, als ein chinesisches Tauchboot eine Tiefe von über 5000 Metern erreichte und damit die USA übertraf. Die reagieren mit Nervosität - und einer neuen Militärdoktrin namens „AirSea Battle”, deren Name frappant an das „AirLand Battle”-Konzept erinnert, das die sowjetischen Panzerarmeen in Europa im Ernstfall hätte stoppen sollen. Von den strategischen Optionen eines Generals Douglas Mac Arthur, der 1950 im Koreakrieg noch damit liebäugelte, gegen China mit Atombomben vorzugehen, ehe er von Präsident Harry Truman abgesetzt wurde, ist man heute aber weit entfernt.
Das Gesetz des Handelns gibt China vor: Die „zweite Insellinie”, bis zu der sich Peking die Dominanz sichern will, liegt in heute klar amerikanisch kontrolliertem Gebiet. Freilich: Palau und Guam sind alles andere als US-Küstengewässer; der Wiederaufstieg Chinas ist insofern eine Rückkehr zur ererbten ostasiatischen Großmachtrolle.
Ob diese friedlich oder blutig verlaufen wird, wird auch an der Fähigkeit Chinas liegen, jenen Ländern, die - von Japan bis zu den Philippinen - die Dominanz Pekings fürchten, Perspektiven jenseits von Unterordnung anzubieten. Da diese Länder zahlreich sind und die Verhältnisse innerhalb Chinas stets unberechenbar, kann das pazifische Machtspiel noch überraschende Wendungen nehmen.
Fortsetzung auf Seite 6