)
Eine Studie als Wahlkampf-Futter und die Rolle des Finanzministeriums.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Seit Tagen sorgt eine angebliche "Studie" des Finanzministeriums für Schlagzeilen in fast allen namhaften Medien. Seit dem Wochenende sorgt sie für ebenso große Verwunderung. Sukkus der Studie: Die Abwanderung von Konzernen aus Österreich hat zwischen 2008 und 2012 ganze 70.000 Jobs gekostet. Die "Wiener Zeitung" unterzog diese Einschätzung, die sowohl ÖVP-Chef Michael Spindelegger als auch ÖVP-Finanzministerin Maria Fekter gegenüber mehreren Medien vertraten, einem Faktencheck und fand heraus, dass weder die Industriellenvereinigung noch Headquarters Austria oder die Betriebsansiedlungsagentur ABA (Austrian Business Agency) sie teilen.
Alle drei sprachen vielmehr von einer leichten Zunahme an internationalen Firmen in Österreich und werteten die 70.000 verlorenen Jobs und den rapiden Standortverfall als viel zu hoch gegriffen. Selbst ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner warnte zwar in einer Aussendung vor falschen Signalen durch Steuerideen und vor wachsender Konkurrenz. Doch gleichzeitig stellte er fest: "Die Ansiedlungsstatistiken der vergangenen Jahre zeigen einen positiven Trend und gute Rahmenbedingungen." Alles andere hätte auch gewundert, meinte er doch noch Ende Februar: "Der Standort Österreich ist nach wie vor ausgesprochen attraktiv."
Doch keine "Studie"?
Bleibt die Frage nach der Methodik der Studie aus dem Finanzministerium, die zu dem düsteren Befund kommt. Die "Wiener Zeitung" hat seit Donnerstag keine näheren Angaben zu Quellen und Methodik bekommen - trotz wiederholter Nachfrage bei der ÖVP, im Finanzministerium oder den ebenfalls mit der Ansiedelungs-Thematik beschäftigten Stellen wie Wirtschaftsministerium, Wirtschaftskammer oder Industriellenvereinigung. Die Existenz einer methodischen Studie konnte ebenfalls nicht bestätigt werden.
Genannt werden vom Finanzministerium beispielhaft Konzerne wie IBM, Nokia, Nespresso, der Pharmariese Novartis oder Heineken. Dass sich im Gegenzug etwa Firmen wie BMW, Metro oder Mitsubishi neu in Österreich ansiedelten, blieb unerwähnt.
Mega-Multiplikator?
Eine Erklärung für die hohe Zahl an verlorenen Jobs wäre, dass der Fokus rein auf Firmen liegt, die abwanderten. Nimmt man jedoch die erwähnten Beispiele von Heineken bis Nespresso, ergibt das bloß rund 2000 Jobs, die durch die Abwanderung wegfielen. Der Sprecher von Michael Spindelegger wies vergangene Woche darauf hin, dass auch Lieferanten miteinbezogen seien. Um das zu errechnen, verwendet man in der Wirtschaftsforschung üblicherweise einen "Multiplikator" von zwei bis höchstens drei. Das heißt, die Zahl der verlorenen Jobs würde auf rund 6000 klettern. Aber 70.000?
Die zweifelhafte Studie aus dem Finanzministerium unterfüttern die Argumente der ÖVP gegen Steuerideen, die Konzerne "vertreibe". Prompt hagelte es von SPÖ und Grünen Proteste gegen den "Missbrauch" des Ministeriums zu Wahlkampfzwecken.
Die SPÖ will Vermögen und Erbschaften besteuern. Setzt sie sich im Herbst etwa bei der Erbschaftssteuer durch, wären die Auswirkungen auf den Standort hier begrenzt, da Ausnahmen für Firmenübergaben vorgesehen sind. Das wahre Match tobt um die Gruppenbesteuerung. Die hat die SPÖ zuletzt wiederholt kritisiert, weil sie zu hohen Steuerausfällen führt (450 Millionen Euro pro Jahr laut Rechnungshof).
Attraktiver als Prag
Zur Gruppenbesteuerung meint Siegl: Der vorteilhafte Unternehmensbesteuerung ist "nur bei einer Minderheit der Projekte von Relevanz - aber wenn, dann ein gewichtiges Argument". Die ABA wirbt mit vier Standortfaktoren: neben der Unternehmensbesteuerung mit der Qualität der Arbeitskräfte, der Stabilität des Landes sowie der Südosteuropakompetenz. Siegl: "Osteuropa punktet mit deutlich niedrigeren Arbeitskosten und mit niedriger Unternehmensbesteuerung, aber das Netz des Flughafens oder die Qualität der Dienstleister können noch immer nicht mit dem Raum Wien mithalten. In Summe ist Wien für Headquarter-Funktionen noch immer attraktiver als Prag, Bratislava oder Budapest."