Die Wahlkampfspenden für die Schlacht um den US-Kongress brachen diesmal alle Rekorde.
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Los Angeles/Washington D.C. Vielleicht ist ja am interessantesten, wer im Rahmen des Wahlkampfs um die Zusammensetzung des nächsten US-Kongresses diesmal nicht auffiel. Die National Rifle Organization (NRA) zum Beispiel. Zurückhaltung ist eine Zier, für die die als Grassroots-Organisation getarnte Standesvertretung der globalen Feuerwaffenindustrie an und für sich noch nie bekannt war. Vor zwei Jahren gab sie noch satte 54 Millionen Dollar - und das ist nur die offizielle Zahl - dafür aus, die republikanischen Mehrheiten im Abgeordnetenhaus und im Senat zu festigen und Donald Trump ins Weiße Haus zu befördern. 2018? Bisher schlagen die amtlich verbuchten Wahlkampfspenden der NRA für die Midterms mit schlappen elf Millionen Dollar zu Buche. Auch wenn Ende der Woche, wenn abgerechnet wird, vielleicht noch die eine oder andere Million dazukommen wird - die letzten Wahlkampftage waren bisher traditionell ihre Domäne - im Grunde und im Kontext der aktuellen Ereignisse eine Lächerlichkeit.
Auch wenn noch keine endgültigen, bis ins Letzte nachprüfbare Zahlen vorliegen, stand bereits am Wahltag fest, dass es sich bei den Midterms 2018 um die teuersten US-Kongresswahlen aller Zeiten handelt. Laut den letzten Schätzungen der renommierten Non-Profit-Organisation Center for Responsive Politics in Washington D.C. lagen die Wahlkampfausgaben zusammen gerechnet bei sagenhaften 5,2 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Noch vor zwei Jahren waren es nur 4,4 Milliarden. Wie es so weit kommen konnte, liegt indes an zwei Faktoren, die gegensätzlicher nicht sein könnten.
Erstens, und das ist diesmal die wirkliche Überraschung: die sogenannten kleinen Leute. Noch nie zuvor haben Kandidatinnen und Kandidaten für eine bundesweite Wahl derart viel Geld von individuellen Spendern eingenommen wie 2018.
Die kleinen Leute und die Milliardäre
Was Bernie Sanders vor zwei Jahren im Rahmen der Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei vormachte, ist mittlerweile für Polit-Frischlinge wie für Amtsinhaber von Maine bis Kalifornien zur Norm geworden. Das landesweit prominenteste Beispiel für diese Entwicklung stellt Robert "Beto" O’Rourke dar, der es schaffte, mit seinem bis zuletzt aussichtslos scheinenden Kampf gegen Ted Cruz um einen der Senatssitze von Texas, dem Inbegriff der konservativen Hochburg, landesweit die Herzen und Gemüter zu bewegen. Obwohl der ölreiche Bundesstaat im Süden der USA seit 1970 keinen Demokraten mehr mit einer Berufung ins Oberhaus betraut hat, strich O’Rourke allein an Kleinspenden aus dem ganzen Land 32 Millionen Dollar ein - nur knapp weniger als die Hälfte seines gesamten Wahlkampfbudgets. (Die Schlacht um Texas gilt bereits jetzt als der teuerste Senatswahlkampf aller Zeiten - kombiniert sollen Cruz und O’Rourke rund hundert Millionen Dollar ausgegeben haben.)
Der zweite Faktor: ein paar Hände voll endgültig von der Leine gelassener, spendenfreudiger Milliardäre. Ein Grund, warum sich etwa die NRA dieser Tage eher kleinlaut gibt, besteht darin, dass ihr das erste Mal ein ebenbürtiger Gegner gegenübersteht. Mike Bloomberg, der langjährige Bürgermeister von New York (2002-2013) und spätestens seit dem Massaker von Sandy Hook glühender Verfechter von Einschränkungen im Zugang zu Schusswaffen, hat im Zuge der Midterms 120 Millionen ausgegeben - alle für Kandidaten der Demokraten, die sich genau für dieses konkrete politische Ziel aussprechen.
Auf der gleichen Wellenlänge, wenn auch mit anderen Mitteln, findet sich der Kalifornier Tom Steyer, der seine Milliarden im Technologie-Business machte und sich auf die Mobilisierung von College-Studenten konzentriert. Beiden werden Ambitionen nachgesagt, 2020 gegen Präsident Trump in den Ring zu steigen.
Auf der anderen Seite der politischen Skala finden sich indes die üblichen Verdächtigen: die Gebrüder Koch, die die libertäre Strömung innerhalb der Konservativen repräsentieren; die Uihlein-Familie, deren Mitglieder sprichwörtlich so weit rechts stehen, dass es in ihrem Haus keine Wände mehr gibt; und die Vegas-Connection, vertreten durch den greisen Casino-Magnaten und Entrepreneur Sheldon Adelson. Letzterer fiel kurz vor dem Wahlgang unter anderem mit einer großzügigen Spende für Mark Harris auf. Dieser, ein konservativer Kandidat in North Carolina, ist unter anderem der Meinung, dass der einzige Weg der Rettung für Juden und Muslime in der Konvertierung zum Christentum besteht.
Urteil mit immenser Sprengkraft
Was eine derartige Entwicklung langfristig mit dem politischen System eines Landes macht, ist eine andere Frage. Zurückzuführen ist der Geldwahnsinn auf einen einzigen, einsamen Spruch der konservativen Mehrheit am Obersten Gerichtshof von 2010. Nicht umsonst hatten Trumps Gegner im Präsidentschaftswahlkampf vor zwei Jahren darauf hingewiesen, dass seine Wahl die unter dem Kürzel "Citizens United" in die Rechtsgeschichte eingegangene Entscheidung für Generationen zementieren würde - was durch die Ernennung der erzkonservativen Richter Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh nun genau der Fall ist.
Erst jetzt kommt die immense Sprengkraft des damaligen Urteils - das in seiner Essenz besagt, dass Unternehmen in puncto Wahlkampfspenden die gleichen Rechte haben wie natürliche Personen und ihnen dementsprechend niemand verordnen könne, welchem Politiker sie wie viel Geld zahlen - voll zur Geltung. Auch wenn der strukturelle Vorteil, den die traditionell der Arbeitgeberseite zugetanen Republikaner daraus schöpfen, bei dieser Wahl aufgrund der außergewöhnlichen Rahmenbedingungen nicht voll zum Tragen kam, braucht es keine prophetischen Fähigkeiten, um zu sehen, was er für die Zukunft bedeutet.
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