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Gesellschaftlichen Wandel aktiv gestalten

Von Philipp Kerschbaum

Gastkommentare
Philipp Kerschbaum arbeitet als Raumplaner in Wien und hat seine Diplomarbeit im Bereich der räumlichen Transformationsforschung an der TU Wien verfasst.
© privat

Nicht nur Naturkatastrophen zeigen, dass plötzlich auftretende Ereignisse aufgeschobene Maßnahmen beschleunigen können.


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Vor kurzem jährte sich die Publikation des Berichts "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome zum 50. Mal. In diesem wurden erstmals einer breiten Öffentlichkeit die vorhersehbaren Folgen des grenzenlosen Konsums natürlicher Ressourcen aufgezeigt und so der Grundstein der Reflexion über nachhaltigere Lebens- und Wirtschaftsformen gelegt. 50 Jahre später sind die Kernaussagen des Berichts aktueller denn je, befeuert von den mittlerweile alltäglich sicht- und (noch bedeutender) spürbaren Folgen des rasanten Wandels von jenen klimatischen Bedingungen, die gemeinhin als "normal" angesehen werden. Waren die Veränderungen einen Großteil der vergangenen 50 Jahre zu gering, um einen Wandel anzustoßen, so scheint nun ein sozialer Kipppunkt erreicht, an dem die Sorge vor dem, was kommen könnte, größer wird als die Stimmen, die den Status quo und damit auch den gewohnten (oftmals nicht-nachhaltigen) Lebensstil verteidigen.

Angesichts dieser späten Erkenntnis und aufgrund des langen Zuwartens scheint sich das Möglichkeitsfenster, in dem ein Wandel noch aktiv angestoßen und flexibel geplant werden kann, langsam zu schließen. Die Hochwasserkatastrophen der vergangenen Jahre etwa zeigen beispielhaft, dass Kommunen als Folge dessen immer öfter angehalten sind, schnell in ihre Krisenfestigkeit zu investieren - oftmals aufgeschobene Maßnahmen werden zu Notfallmaßnahmen, die nicht mehr gemeinsam unter Beteiligung der Bevölkerung, sondern aus akuter Not zum Schutz von heute auf morgen umgesetzt werden müssen.

Aber nicht nur Naturkatastrophen zeigen, dass plötzlich auftretende Ereignisse aufgeschobene Maßnahmen beschleunigen können. Jahrelang wurde die Abhängigkeit von einzelnen Energielieferanten ohne Alternativen verfestigt, jetzt müssen plötzlich immense Anstrengungen getätigt werden, um Lösungen zu finden, die es vor einiger Zeit scheinbar nicht wert waren, breit diskutiert zu werden. Diese Beispiele zeigen, dass ein umfassender Wandel unausweichlich ist - es stellt sich nur die Frage, inwiefern dieser aktiv gestaltet werden kann, oder ob man sich wohl oder übel damit abfinden muss, sich im Dauerkrisenmodus an diesen anzupassen.

Nachhaltigkeit ja, aber bitte ohne große Veränderungen

Diese Entwicklungen zeigen erstens, dass das Aufzeigen von systemischen Schwachstellen und die Warnung vor zu erwartenden Konsequenzen in Nicht-Krisenzeiten alleine nicht ausreichen, um einen umfassenden Wandel anzustoßen (wie etwa die Warnung vor den Abhängigkeiten im Bereich der Energieversorgung). Zweitens, dass bereits eingetretene oder (im Idealfall) drohende Katastrophen unpopulären Maßnahmen plötzlich einen rasanten Aufschwung verleihen können. Anders als in den vergangenen 50 Jahren prägen heute multiple Krisen unseren Alltag.

Vor allem für jüngere Generationen scheint die "Zukunft" keine schönere und bessere Welt mehr zu bedeuten, sondern Problemherde, deren Lösung nicht in Sichtweite und nicht durch individuelle Anstrengung zu erreichen ist. Aktuelle Diskussionen werfen oft die Frage auf, wie Nachhaltigkeit in unseren (nicht-nachhaltigen, weil notwendigerweise Ressourcen fressenden) Lebensalltag integrierbar ist, ohne diesen maßgeblich zu verändern. Zu wertvoll erscheinen die Errungenschaften westlicher Lebensstile, und zu groß scheint der Verlust an Lebensqualität, würde man davon ablassen.

Wir befinden uns in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite stehen die Wohlstandsgaranten, die ein "gutes" Leben ermöglichen, und auf der anderen Seite steht die augenscheinliche Nicht-Nachhaltigkeit moderner westlicher Lebensstile. Das alles eingebettet in ein demokratisches System, das jedem Bürger, jeder Bürgerin Freiheiten gewährleisten, die einerseits wichtige gesellschaftliche Errungenschaft sind, andererseits aber auch Barrieren für die Umsetzung sinnvoller Maßnahmen darstellen (man denke nur an Fassadenbegrünungen in Wohnbauten, für die die Zustimmung aller Eigentümer benötigt wird).

Das Leben wird nicht schlechter, sondern schlicht anders

Ängste vor Wohlstandsverlust und Skepsis gegenüber Neuem spielen dabei eine wichtige Rolle und müssen bei der Erarbeitung konkreter Maßnahmen mitbedacht werden. Hierbei muss etwa die Angst genommen werden, dass durch nachhaltige Lebensweisen das Leben nicht schlechter, sondern schlicht anders wird, und dieses andere Leben auch aufregend und bereichernd sein kann. Gleichzeitig differenzieren sich Lebensstile und Vorstellungen vom "guten" Leben immer stärker aus. Es ist augenscheinlich, dass ein gesellschaftlicher Wandel nicht alleine vom Individuum auszugehen hat, sondern gemeinsam erprobt werden muss und diese gesellschaftliche Heterogenität zu berücksichtigen hat.

Mit der Transformationsforschung hat sich in den vergangenen Jahren ein Forschungszweig herausgebildet, der sich damit auseinandersetzt, wie Wandel aktiv gestaltet und umgesetzt werden kann. Experimentieren und die Zusammenarbeit verschiedener Akteure und Bevölkerungsgruppen spielt dabei eine wichtige Rolle. So können beispielsweise Car-Sharing-Modelle erprobt, gemeinsam Grünräume in der Nachbarschaft errichtet und betreut oder aber der Energieverbrauch gemeinschaftlich koordiniert werden. Neben der konkreten Problemlösung können der Austausch und das Kennenlernen untereinander, das Lernen voneinander und das gemeinsame Ausprobieren, Scheitern und Erfolge feiern als Bausteine zum Anstoß von gesellschaftlichem Wandel gesehen werden.

Neue Formen des Alltagslebens erproben und reflektieren

Als zentrale Aufgabe einer an (sozial-ökologischer) Nachhaltigkeit orientierten Politik sehe ich es, verschiedene Orte (lebendige öffentliche Räume, Förderung von Medien und Diskurs, Bürgerinnen- und Bürgerräte) zu schaffen, in dem neue Formen des Alltagslebens erprobt und gemeinsam reflektiert werden können, um so gemeinsam nachhaltigere gesellschaftliche Strukturen zu ermöglichen. 50 Jahre nach dem Bericht des Club of Rome ist es noch nicht zu spät, den Wandel anzustoßen. Ganz im Gegenteil scheint nun ein Momentum gekommen zu sein, um gemeinsam an einer nachhaltigen Welt zu arbeiten. Dieses muss weiter aktiv ausgenutzt werden, ehe weitere gesellschaftliche Bereich in den Dauerkrisenmodus schlittern und statt aktiven Wandels nur noch Anpassung möglich ist.