Zum Hauptinhalt springen

Idylle mit Invaliden

Von Christina Böck

1914
Gliedmaßen? Geht auch ohne! Das suggeriert dieses Plakat der Invalidenfürsorge.
© Wien Museum

Das Wienmuseum zeigt den Wiener Weltkriegs-Alltag.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wie kleide ich mich fesch in teuren Zeiten?" Heute mag es zynisch klingen. Aber das war eine Frage, die Frauen während des Ersten Weltkriegs beschäftigte. Und so gab es in Zeitschriften allerlei Schnittmuster unter diesem Titel oder zum Thema "Anzüge für Krankenpflegerinnen können bei aller Einfachheit auch kleidsam sein". In diesem Satz steckt schon viel, was den Kriegsalltag in Wien von 1914 bis 1918 ausmachte. Diesen Alltag abseits vom Frontgeschehen dokumentiert die Ausstellung "Wien im Ersten Weltkrieg". Vor genau 100 Jahren, im Oktober 1914 flaute die erste Kriegsbegeisterung bereits ab. Da trafen schon verwundete Soldaten in Wien ein, erste Todesnachrichten wurden zugestellt und auch die Flüchtlinge - 200.000 sollten es im Lauf des Krieges in Wien werden - ließen nicht mehr lange auf sich warten.

Ambivalent ist schon der Eingang zur Ausstellung: Lebensgroß wird man da von einer jubelnden Menge empfangen ("von Begeisterung durchglüht"), doch gleich daneben stellen sich ebenso überdimensioniert die Massen um Lebensmittel an.

Jesus und der Kaiser

Ein Plan zeigt, wo - an 39 Stellen - in Wien Lazarette eingerichtet worden sind. Auf Postkarten sind die Heilsbringer Kaiser Franz Joseph und Jesus Christus gleichwertige Besucher am Krankenbett. Plakate der Invaliden-Fürsorge zeigen, dass es auch ohne Gliedmaßen möglich ist, eine Maschine zu bedienen, und Postkarten verheißen eine idyllische Zukunft als armloser Sämann.

Die Exotik der streng religiösen jüdischen Flüchtlinge aus Galizien beflügelte zwar Künstler, wie diverse Darstellungen zeigen, brachte aber die Wiener auf. Der Polizeibericht - Zitate aus wöchentlichen Lageberichten sind über die Ausstellung verteilt und wirken als Gegengewicht zur Propaganda - meldet, dass die Bevölkerung eine "unangenehme Invasion" beklagt. Tatsächlich werden viele galizische Flüchtlinge 1915 auf Betreiben des Wiener Bürgermeisters wieder in ihre zerstörten Dörfer zurückgeschickt, da sich die "Lage so günstig gestaltet". 1916 müssen sie wieder fliehen.

Ein Kapitel der Ausstellung widmet sich den Wiener Kindern im Krieg. Da gibt es Fotoalben mit stolzen Einträgen: "Patriotische Kriegsmetallsammlung: Meine Gruppe mit reicher Beute". Es gibt Postkarten, die die Unschuld der Kinder zur Kriegsverherrlichung ausnützen und dabei hart an der Grenze zur Karikatur schrammen: Wie jene mit einem kleinen Mädchen unter einem fast aus dem Bild gefallenen Kaiserporträt, mit dem schlichten Titel "Ich hab dich lieb".

Kinder mussten auch in Schul-Gemüsegärten ihren Beitrag zur Versorgung leisten. Die Anordnung zum Gemüseanbau ("insbesondere Kartoffeln") wurde via Anschlag nicht nur an die Hernalser Bevölkerung herangetragen. Währenddessen informierte sich die Frau des Hauses in Magazinen, wie sie "wildgewachsenes Gemüse" richtig zubereitet. Das ist natürlich längst nicht mehr ihre einzige Beschäftigung: Auf Postkarten sind Schaffnerinnen, Sanitäterinnen, Briefträgerinnen und Brotverkäuferinnen reichlich kess porträtiert - der Ersatz für männliche, aber abwesende Arbeitskraft.

Mär von der Wiederkehr

Den Wandel der Stimmung zeigen nicht nur die Polizeiberichtzitate, sondern auch die Plakate, die zur Zeichnung von Kriegsanleihen auffordern. Erst sind es noch heroische Ritter in mittelalterlicher Montur, an der Feindesspeere abprallen. Bei der letzten Anleihe wird unumwunden damit geworben: "Je mehr die Mittel zur kraftvollen Wehr, umso früher die Wiederkehr". Dass die Wiederkehr nur allzu oft nicht passierte, gehörte natürlich auch zum Alltag. Da zeigt die Schau einerseits die verzweifelt machende Bürokratie der Suche nach Verschollenen - andererseits die ganz profanen Auswirkungen: wie die Schnittmuster für Trauerkleidung. Ein Kontrapunkt zum glänzenden Rekrutenstrauß, den man beim Eintritt in die Armee erhielt - er sah aus, als würde man auf einen Ball gehen. Und nicht in einen elenden Tod.

Mehr zum Thema Erster Weltkrieg im Dossier. Ausstellung
Wien im Ersten Weltkrieg
Wien Museum
bis 18. 1. 2015