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Instrumentalisierte Nomaden

Von Saskia Blatakes

Raumvisionen

Die Hernalser Kulturinitiative Mo.e kämpft am Donnerstag vor Gericht um ihre Existenz. Die Investoren wollen die ehemalige Fabrikhalle räumen, die Stadt hält sich raus.


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Wien. "So vieles war verloren gegangen, war im Stich gelassen, zerstückelt worden... hier schien es wieder heil und ganz zu werden in dem Anblick, den er vor sich hatte. Da lag alles beschlossen in einer kleinen Gasse zwischen sechs Häusern, die dort einsam standen jenseits der leeren Weite des Exerzierplatzes. Anderswo brauste und tobte die Welt - hier bot ein stiller Hafen Schutz vor dem Chaos." So erinnert sich Schriftsteller und Holocaust-Flüchtling Frederic Morton an die Thelemanngasse, in der er geboren wurde. In seinem gleichnamigen Roman hat der nach Amerika Emigrierte sie in "Ewigkeitsgasse" umgetauft, sie hat ihn nie losgelassen. Auch im englischen Originaltitel "Forever Street" schwingt viel von dem Schmerz über die verloren gegangene Wiener Heimat mit.

Der ehemalige Bewohner und Autor Frederic Morton ist im vergangenen Jahr verstorben. Sein Großvater hatte hier in der ruhigen Seitengasse des Gürtels einst die k.u.k. Orden- und Medaillenmanufaktur Mandelbaum gegründet, 1939 wurde die Fabrik von den Nazis "arisiert". Sie ging in den neunziger Jahren in Konkurs, jahrelang stand sie leer.

Heute wird die ehemalige Fabrik mit ihren weitläufigen, dunklen Hallen und heruntergekommenen Kammern von der Kulturinitiative Mo.e genutzt. Seit sechs Jahren arbeiten hier Künstler in ihren Ateliers, Musiker spielen Experimentelles auf improvisierten Bühnen. Die Gründerinnen haben hier einen freien, für jeden offenstehenden Kunstraum geschaffen und sich viel mit der Geschichte des Gebäudes und der Bedeutung für das Grätzel in der Nähe des Brunnenmarkts befasst.

Die Geschichte des Kulturraums Mo.e ist eng verbunden mit der Geschichte der Fabrik Mandelbaum. Agnes Wächter, eine Tochter der ehemaligen Fabrikanten, studiert an der Akademie der Bildenden Künste und lernt dort die Gründerinnen Valerie Bosse und Hanna Menne kennen. Menne und Bosse hatten sich bei einem Studienaufenthalt in New York kennengelernt. Die dortige agile Kunst- und Kulturszene inspiriert sie. Sie sind beeindruckt von den vielen spontanen Initiativen, von der anpackenden, positiven Mentalität der New Yorker Kulturmenschen. "Wir haben gesehen, wie andere es anstellen, dass etwas Neues zustande kommt. Und zwar indem man nicht nur ans fertige Produkt denkt, sondern einfach beginnt," erinnert sich Bosse.

Ist das nun eine Hausbesetzung?

Zurück in Wien unterzeichnen die Freundinnen den Mietvertrag für die Thelemanngasse 4. Auf eigene Kosten und ehrenamtlich renovieren sie nach und nach die Räume, streichen sogar die Fassade neu - mit geliehenem Baugerüst und viel Idealismus. Von Anfang an ist klar, dass alle künstlerischen Disziplinen willkommen sein sollen. Ihr Ziel sind fließende Grenzen zwischen Kunst, Musik und Wissenschaft. "Auf keinen Fall durchkuratiert" sollte es sein, sagt die heutige Obfrau Alisa Beck. Es folgen turbulente Jahre mit wechselnden Besitzern und Vermietern. Doch die Macherinnen bleiben stoisch, träumen davon, das Gebäude von Grund auf zu sanieren, die Konzerthalle schalldicht zu isolieren und den Innenhof neu zu überdachen. Doch von den jeweiligen Besitzern gibt es keinerlei Unterstützung. Zuletzt übernimmt die im ersten Bezirk beheimatete Immobilienfirma Vestwerk das Gebäude. Die Investoren wollen das Haus sanieren, in luxuriöse Lofts umwandeln und im Eigentum weiterverkaufen. Dabei zahlen sie einen Preis, der weit unter dem Marktwert liegen dürfte: Für 870.000 Euro erwerben sie das Gebäude, das ein Wohnhaus und die weitläufige und verwinkelte ehemalige Fabrik umfasst. Zwischen Mo.e und Vestwerk habe es nur eine "Alibikommunikation" gegeben, so die Betreiberinnen. Man hatte ihnen angeboten, die Thelemanngasse 4 zu verlassen und stattdessen ein anderes Gebäude der Firma zwischenzunutzen. "Aber wir haben uns nie als temporär verstanden", so Bosse.

Für die Mo.e-Macherinnen werden die neuen Besitzer zum Verhängnis, denn der Mietvertrag mit dem vorigen Besitzer ist im vergangenen Jahr abgelaufen. Aber ans Aufhören denken die Kulturschaffenden nicht. Sie entscheiden sich, den Mietvertrag anzufechten. Das Räumungsverfahren läuft, schon Ende 2015 hätten sie das Gebäude räumen müssen. Ist das nun eine Hausbesetzung? Nein, denn die beginnt immer mit einem Hausfriedensbruch, einem Eindringen in ein fremdes Eigentum. Wir haben einen Mietvertrag, sagen die Mo.e-Macherinnen. Vestwerk sieht das anders. Doch auch auf wiederholtes Nachfragen der "Wiener Zeitung" will sich die Immobilienfirma nicht zu der Causa äußern.

Ob es sich um einen befristeten oder unbefristeten Vertrag handelt und ob die Befristung formal korrekt zustande kam, darüber wird also jetzt vor Gericht gestritten. Mo.e-Anwalt ist Harald Karl von der Leopoldstädter Agentur Pepelnik und Karl. Der Ausgang des Verfahrens sei noch "völlig offen", so der Verteidiger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Entscheidet das Gericht gegen die Kulturschaffenden, werde der Gerichtsvollzieher das Gebäude in der Thelemanngasse 4 räumen - "mit oder ohne Polizei". Es wäre das Ende des Hernalser Kulturraums. Zwischen Vestwerk und den Mietern des Wohnhauses läuft ein separates Verfahren. Es ist der bekannte Kampf zwischen Alteingesessenen und Luxussanierern, wie er in Wien mittlerweile in allen Bezirken ausgefochten wird. Der Streit vor Gericht, die Weigerung, auszuziehen und die Initiative für tot zu erklären, ist für Meck und Bosse auch eine politische Aktion. Das wird nicht von allen Mitwirkenden des Mo.e mitgetragen. Viele Künstler, die im Dunstkreis des Vereins arbeiten, wollen sich nicht positionieren. Aus Angst, sich Feinde zu machen. Aus Angst, Sponsoren zu vergraulen. Junge Künstler, die dabei sind, sich auf dem Wiener Kunstmarkt zu etablieren, sind abhängig von Fördergeldern und Gönnern in Galerien und Behörden. Manche wollen auch einfach nichts wissen von den politischen Scharmützeln und sich lieber auf sich und die eigene Kunst konzentrieren.

Allein gelassen von der Stadt

"Nein, das kann nicht weg", lautete das Motto der Mo.e Eröffnung vor zwei Wochen. Als Antwort auf die nicht gestellte, rhetorische Frage: "Ist das Kunst? Oder kann das weg?" Es schwingt Trotz mit und Enttäuschung über die fehlende Unterstützung und das Nicht-Honorieren des Engagements für die kulturelle Belebung des Grätzels. Von der Stadt fühlt sich das Mo.e alleingelassen. Es habe zwar immer wieder Fördergelder für künstlerische Projekte gegeben, aber als es brenzlig wurde, zog man sich zurück. "Wir schätzen das Mo.e und was sie tun und fördern sie auch", heißt es aus dem Büro von Kulturstadtrat Andreas Mailath Pokorny. Es handle sich hier um "Privatangelegenheit um ein Mietverhältnis".

Die realen Folgen der Debatte um Leerstands- und Zwischennutzung zeigt sich am deutlichsten hier, im prekären Untergrund. Seitens der Stadt, des Bezirks und der MA7 tue man gerne so, als handle es sich bei dem Kulturraum um eine Zwischennutzung, sagen die Betreiberinnen. Künstler seien doch ohnehin nomadisch, da sei eine Delogierung halb so schlimm, habe es zum Beispiel geheißen.

"Zwischennutzung eignet sich wunderbar dazu, instrumentalisiert zu werden. Die Stadt macht es sich zu bequem", sagt Obfrau Alisa Beck. "Aber wir haben einen Mietvertrag, keinen Zwischennutzungsvertrag."