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"Je blutiger die Hände, desto ferner rückt Frieden"

Von Michael Schmölzer

Politik

Aus friedlichem Protest wurde Bürgerkrieg


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Damaskus/Paris/London. Am 15. März 2011 nimmt die Tragödie ihren Anfang: In der syrischen Hauptstadt Damaskus kommt es zu einer Kundgebung gegen Bashar al-Assad, syrische Sicherheitskräfte schreiten ein, Demonstranten werden verhaftet. Die Menschen protestieren gegen die Festnahme von 15 Schulkindern - diese haben Graffiti mit Forderungen nach politischer Freiheit an die Wände gemalt.

Drei Tage später sind es Tausende, die unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings gegen das Regime auf die Straße gehen. Die Protestbewegung ist noch friedlich, allein Assad greift mit aller Härte durch: Als am 22. April 100.000 protestieren, fallen Schüsse, 112 Menschen sterben. In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 beginnen die Oppositionellen, sich zu bewaffnen, die Proteste münden rasch in einen Bürgerkrieg, der bis heute mindestens 70.000 Todesopfer gefordert hat.

Der Konflikt weitet sich aus, immer mehr Armee-Einheiten fallen von Assad ab, die Kämpfe werden heftiger. Radikale Islamisten spielen mittlerweile eine große Rolle - etwa die dschihadistische Al-Nusra-Front, die in und um Aleppo Brigaden im Einsatz hat. Auf der Seite des Regimes stehen iranische Kämpfer und die Hisbollah, die Rebellen werden von Söldnern aus Libyen und Tschetschenen unterstützt. Das Regime foltert und erschießt gefangene Rebellen wie auch Zivilisten, oppositionelle Kämpfer stellen gefangene Soldaten an die Wand. Auf Zivilisten wird generell keine Rücksicht genommen. Die syrische Armee schießt ungezielt mit schwerer Artillerie auf Wohnblöcke, wenn dort Kämpfer vermutet werden. Eine Million Syrer ist auf der Flucht.

Kampf ums nackte Leben

Die Rebellen sind seit Monaten auf dem Vormarsch, immer mehr Regionen und Städte im Norden des Landes befinden sich vollständig unter ihrer Kontrolle. Die Armee verliert an Schlagkraft, setzt Scud-Raketen ein, die vor allem unter der Zivilbevölkerung Opfer fordern. Während das Regime militärische Unterstützung aus dem Iran und Russland erhält, erwägen jetzt Großbritannien und Frankreich, den Rebellen direkt Waffen zukommen zu lassen. Eine gefährliche Entwicklung, wie der Wiener Politologe Cengiz Günay gegenüber der "Wiener Zeitung" meint: Es bestehe die Gefahr, dass das militärische Patt anhalte, allerdings auf einem noch viel blutigeren Niveau. Syrien sei mittlerweile ein großer Markt für Waffen, diese würden aus Katar und vor allem Libyen kommen, es sei wahrscheinlich, dass die USA bereits lieferten - auch wenn sie das dementierten. "Das führt dazu, dass alle bis zu den Zähnen bewaffnet sind", so Günay.

Die USA hätten versucht, die zersplitterte Opposition zu ordnen und den dschihadistischen Kräften etwas entgegen zu setzen, indem man Militärräte institutionalisieren wollte. Damit sollte die Führung des Aufstandes unter die Kontrolle von Deserteuren gebracht werden - ein Versuch, der spektakulär gescheitert sei, sagt Günay. Vielmehr habe man mit den Räten in einer völlig unübersichtlichen Situation einen weiteren Akteur geschaffen. Auch Frankreich und Großbritannien dächten daran, offiziell Waffen an die Rebellen zu liefern, um im Hinblick auf die Zeit nach Assad den dschihadistischen Kräften etwas entgegensetzen zu können.

Die begangenen Verbrechen auf beiden Seiten machen laut Günay den Raum für eine friedliche Lösung eng: "Je blutiger die Hände, desto schwieriger wird es, Frieden zu machen." Die Alternativen der Parteien würden mit zunehmender Dauer immer geringer, der Konflikt sei zu einem Kampf ums eigene Überleben geworden: "Diese Todesangst ist mittlerweile berechtigt."