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Zu jedem Sport gehören auch die Geschichten. Die kleinen und großen Dramen, die kuriosen Episoden und die unglaublichen Erfolgsstorys. Im Juni, als die Fußball-EM in Österreich gastierte, wurden all diese Geschichten erzählt, kaum eine wurde ausgelassen. Über jeden Spieler und jeden Trainer wurde ausführlich berichtet, die Historie zum x-ten Mal aufgewärmt, der Fußball und dessen ganze Faszination beschrieben. Das schafft Wissen. | Und dies war auch der Hauptgrund, weshalb so viele Menschen, die normalerweise mit dem Fußball nur wenig verbindet, ein Interesse für das Großereignis entwickelt haben.
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Auch die Olympischen Spiele bieten viele Geschichten. Hunderte, Tausende, in jedem Fall mehr, als man erzählen kann, und auch mehr, als man überhaupt aufnehmen kann.
Sommerspiele gleichen einer Messe für Sportarten, vor allem für jene, die sonst kaum Platz in den Medien finden. Alle vier Jahre stellen sich die einzelnen Disziplinen einem breiten Publikum vor, doch wie bei Messen üblich, reicht die Zeit für die Zuschauer nur, um sich oberflächlich mit ihnen zu beschäftigen.
Klar, Michael Phelps und Usain Bolt kennt man nun. Doch haben Sie von dem Drama des Matthew Emmons gehört? Von den Tränen der Französin Laura Flessel? Der schmerzvollen Niederlage der südkoreanischen Handballerinnen? Und kennen Sie die Hintergründe, weshalb der Rekord-Olympiasieger im Hockey Indien in Peking fehlt?
Olympische Spiele stellen selbst für Sportinteressierte eine Reizüberflutung dar, für den Rest kann Olympia maximal eine Art Unterhaltungsberieselung sein, aber längst nicht mehr.
Als 1896 erstmals Spiele der Neuzeit ausgetragen wurden, waren zehn Sportarten vertreten. Nun sind es mehr als 40. Vor 20 Jahren in Seoul wurden 237 Goldmedaillen vergeben, nun sind es bereits 302.
Für die einzelnen Sportarten wird es da immer schwieriger, sich in der Masse der Entscheidungen zu behaupten und den potenziellen Interessenten jene begeisternden Geschichten zu erzählen, die Zuschauer und Nachwuchs akquirieren sollen.
Doch sie müssen Teil der olympischen Familie bleiben, denn rund 90 Prozent aller Einnahmen des IOC werden an die nationalen Komitees und die internationalen Sportverbände ausgeschüttet. Für die Verbände ist es zur Überlebensfrage geworden, ihre Sportart bei den Olympischen Spielen vertreten zu wissen.
Für sie ist Dabeisein alles, ein Motto, das auch für die meisten Athleten gilt. Doch diese Athleten lachen nicht aus dem Fernseher, sie sind eben nur dabei. Gezeigt werden vor allem jene Sportler, die längst Profis und teilweise mit Millionenverträgen ausgestattet sind.
Vom Amateur-Gedanken, den Olympia-Gründer Coubertin anhing, ist nichts mehr übrig. Es geht ums Geschäft, um Gold, für die Athleten wie für das IOC. Weil das US-Fernsehen es so will, werden Bewerbe zu absurden Zeiten angesetzt. Wer zahlt, schafft schließlich an. Und das IOC, das einst Karl Schranz wegen einer Werbeaufschrift ausgeschlossen hatte, verdient mittlerweile selbst hunderte Millionen mit Sponsorverträgen.
Wer Gold bei Olympia holt, kann zum Star und damit zum Millionär werden, andere Sieger, in kleineren Sportarten, können zumindest ihre Einnahmen erhöhen. Natürlich bietet Olympia noch eine Meta-Ebene, irgendwo schwingt eben doch noch die Geschichte aus der Antike mit, die die Bedeutung eines Olympiasieges über einen WM-Titel stellt. Doch dieser Mythos ist längst nicht mehr der, der er einmal war.
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