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Russland sorgt sich um seine Kinder

Von Antje Kansok

Politik

Um 750.000 Einwohner weniger pro Jahr. | Geldprämien für Mehr-Kind-Familien - allerdings mit Auflagen. | Moskau. (dpa) Überall in Moskau strahlen derzeit große Kulleraugen von Plakatwänden. Schnörkelige Buchstaben verkünden: "Ich bin im Jahr des Kindes geboren!" Rabattaktionen von Spielzeugläden und Kinderausstattern lassen keinen Zweifel aufkommen: Kinder haben 2007 Priorität in Russland. Präsident Wladimir Putin - selbst zweifacher Vater - hat es zur Chefsache gemacht, den drastischen Bevölkerungsrückgang im weltgrößten Land zu stoppen.


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Russland steckt in einer demographischen Krise: Jedes Jahr schrumpft die Bevölkerung um 750 000 Menschen, bei gegenwärtig 142 Millionen Einwohnern. Es gibt zu wenig Kinder. Das hängt nur bedingt mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der letzten 20 Jahre zusammen. Grundsätzlich sehen Bevölkerungsforscher in Russland die gleichen Gründe für den Rückgang der Geburtenrate wie im Westen Europas: Industrialisierung und Verstädterung, bessere Bildung und Emanzipation der Frauen.

Als eine Maßnahme gegen den Bevölkerungsrückgang will Putin die frühe Sterblichkeit durch den verbreiteten Alkoholismus eindämmen. Russische Männer werden im Schnitt nur 58 Jahre alt. Zum anderen lädt der Präsident Zuwanderer ein - doch willkommen sind nur Russischstämmige. Für Nichtrussen aus den Ex-Sowjetrepubliken gilt seit Anfang Jänner eine Quote auf dem Arbeitsmarkt. Doch selbst wenn Putin genau wüsste, wie viele Zuwanderer Russland braucht, kann Migration allein das demographische Problem nicht lösen. Die Geburtenrate muss erhöht werden.

Zu viele Ein-Kind-Familien

In russischen Familien lebt fast immer nur ein Kind. An diesem Punkt setzte Putin an. In seiner Rede zur Lage der Nation im Mai 2006 stellte er seine Lösung des Demographie-Problems vor: Weitere Kinder müssen her. Die entsprechende Förderung gilt seit Anfang 2007.  Seitdem erhält jede Mutter für jedes neugeborene zweite und weitere Kind eine einmalige Prämie von 250.000 Rubel, umgerechnet rund 8000 Euro. Anspruch auf das Geld haben auch Väter, sollten sie das Sorgerecht haben, und Eltern, die ihrem Kind ein Geschwisterchen adoptieren.

Doch in die Hand bekommen Eltern das sogenannte Mutterkapital nicht. Stattdessen erhalten sie nach einer umständlichen Prozedur ein Zertifikat, einzulösen frühestens in drei Jahren. Auch dann schreibt der Staat vor, wofür die Summe ausgegeben werden darf: für den Kauf einer Immobilie, die Ausbildung des Kindes oder als Beitrag für die Pensionskasse von Mutter oder Vater.

Frauen im Mutterschutz zahlt der Staat außerdem 18 Monate lang mindestens 40 Prozent des vorherigen Lohns weiter, höchstens jedoch 6000 Rubel (175 Euro). Arbeitslose, die bisher leer ausgingen, sollen den Mindestsatz von 1500 Rubel (45 Euro) bekommen. "Und das", so Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow, "gilt für alle Kinder, auch für die vor dem 1. Jänner geborenen."

Nach dem zweifachen Vater Putin haben auch andere Politiker das Thema Familie entdeckt. Vize-Ministerpräsident Dmitri Medwedew, ein aussichtsreicher Anwärter auf den Präsidentensessel, forderte eine Verlängerung des auf zehn Jahre begrenzten Gesetzes bis 2050. "Medwedew ist der erste Beamte, der dem Volk noch mehr verspricht als Putin", spottete unlängst das Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda".  

Die Familienförderung ist Teil der "Nationalen Projekte", mit denen der Kreml Verbesserungen im Sozial- und Gesundheitswesen, im Wohnbau und in der Landwirtschaft anstrebt. Aus dem Fonds will die Regierung schon bis 2010 mindestens 3,8 Milliarden Euro dafür ausgeben, dass in Russland mehr Kinder zur Welt kommen.

Experten bezweifeln jedoch, dass finanzielle Unterstützung allein ausreichen wird, um das demographische Problem in den Griff zu bekommen. Auch die Freude der Mütter, für die das Programm gedacht ist, klingt eher verhalten. Eine Dascha schreibt dazu im Internet: "Natürlich kriegt keiner wegen des Geldes Kinder. Aber es könnte bei der Entscheidung helfen, ein zweites Kind zu bekommen oder nicht."