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Bremsmanöver in der Regierung überschatten Pressefoyer nach dem Ministerrat, das sich seit Kreisky gewandelt hat.
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Das nächste Formel-1-Rennen findet an diesem Sonntag in der Steiermark statt. Dort geht es für die Rennfahrer um Höchsttempo auf Geraden, schwierige Kurven und Schikanen. So gesehen geht es in der Koalition zur Jahresmitte 2023 zu wie in einer Box im Fahrerlager, wo die Ingenieure uneins sind, wie man den Boliden wieder schneller in Fahrt kriegt.
Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer hatte Dienstagabend in der "ZiB2" die Gangart vorgegeben: Sie hielt Arbeitsminister Martin Kocher vor, sein Erlass sei eine "Schikane". Dieser sieht vor, dass Arbeitslose mit Einkünften unter der Geringfügigkeitsgrenze stärker zur Aufnahme von Vollzeit-Jobs gedrängt werden. Andernfalls droht sogar der Verlust von Arbeitslosengeld. Der für den Arbeitsmarkt zuständige Minister ließ die Vorwürfe am Mittwoch nach der Regierungssitzung einfach abprallen: "Es ist natürlich überhaupt keine Schikane."
Grüne fehlen beim Auftritt nach der Regierungssitzung
28. Juni 2023, kurz nach 12 Uhr im Bundeskanzleramt, während der Countdown für letzte Print-Ausgabe der "Wiener Zeitung"läuft. Es ist ein mittlerweile normaler "Arbeitstag" der Regierungsparteien, an dem ÖVP und Grüne selbst nach einer Regierungssitzung nichts wirklich Neues zu verkünden haben und wie zuletzt oft aufeinander losgehen.
Ungewöhnlich ist diesmal nur, dass mit Kocher und Finanzminister Magnus Brunner zwei ÖVP-Ressortchefs und kein grüner Minister dann beim Pressefoyer vor die Medien treten. Das kommt gelegen. Es erspart etwa Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) eine sofortige Replik auf den Arbeitsminister und der Regierung einen Streit vor laufenden TV-Kameras. In den vergangenen drei Wochen habe es sogar ein "Gerangel" um den Auftritt nach dem Ministerrat gegeben, hält dem Kocher auf Nachfrage entgegen.
Mitte Jänner hat die Bundesregierung noch stolz bis Ende März Vorschläge für längeres Arbeiten gegen den Fachkräftemangel versprochen. Drei Monate nach der Frist ist von dem Paket nichts zu sehen. Er habe seine Teile fertig, will der Arbeitsminister festgehalten wissen, auch wenn er ein weiteres Mal vertrösten muss: "Ich hoffe sehr, dass es bald kommt."
Im Ecksalon daneben hat einst Bruno Kreisky als Bundeskanzler das Pressefoyer ins Leben gerufen, wo er umringt von einer kleinen Traube Journalisten gern auch einmal zur internationalen Lage doziert hat. Noch unter Franz Vranitzky war Ende der 1980er-Jahre das Bild für die "ZiB1"-Zuschauer um 19.30 Uhr meist das gleiche: Hinter der Schulter des Regierungschefs stand die Berichterstatterin der Austria Presseagentur, die Mikrofone von ORF-Radio und Fernsehen waren auf den Kanzler gerichtet. Später wurde viel herumgedoktert beim turnusmäßigen Auftritt der Regierungsspitze: räumlich zeitweilig zwischen SPÖ und ÖVP getrennt, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel trat nach 2000 demonstrativ gemeinsam zunächst mit der FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer auf, später in einer raumschiffähnlichen Konstruktion mit dem liebenswert-schrulligen Herbert Haupt.
An diesem sonnigen Junitag sitzen vorwiegend wissbegierig-lästige junge Journalistinnen und Journalisten im Kongresssaal des Kanzleramtes, fast die Hälfte der Stühle ist frei. Renommierte, langgediente Berichterstatter schwänzen das Pressefoyer, weil es kaum neue Erkenntnisse gibt. Im Saal dahinter stehen fast ein Dutzend Kameras, ein Zeichen für den Aufschwung privater TV-Sender neben dem ORF. Nebenan im früheren Steinsaal, der nun Leopold-Figl-Saal heißt, wurrlten noch vor Jahren emsig Pressesprecher und auch Referenten der Minister zwischen den wartenden Journalisten herum. Die Message Control unter Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz hat diesem Treiben ein Ende gemacht. Praktisch unbehelligt huschen Regierungsmitglieder vom Ministerratssaal zur großen Stiege. Einst nahmen Minister, die unangenehmen Fragen ausweichen wollten, die Hintertür.
Neuwahlen stehen "überhaupt nicht im Raum"
Brunner und Kocher zählen im "Verkaufen" der Regierungspolitik an die Medien zu den versiertesten. Der Finanzminister lobt ein weiteres Mal die im Vergleich zu Deutschland besseren Konjunkturdaten und die Maßnahmen gegen die "multiplen Krisen". Der Arbeitsminister assistiert, trotz schwacher Konjunktur werde die Arbeitslosigkeit nur leicht steigen.
Dann ist es Brunner, der die nächsten lästigen Fragen über das Ende der Koalition angesichts der gegenseitigen Ausbremsmanöver pariert. Neuwahlen stünden "überhaupt nicht im Raum". Am Ende gibt er den Medienvertretern, darunter jenem der "Wiener Zeitung", die zum letzten Mal vor der Einstellung der Print-Tagesausgabe beim Pressefoyer anwesend ist, den Tipp, auch das im internationalen Vergleich Positive näher zu beleuchten: "Bitte fragt‘s einmal diese Fragen."
Nach einer guten halben Stunde ist der ÖVP-Doppelauftritt vorbei. Es geht runter auf den Ballhausplatz und über ein kurzes Straßenstück in Richtung U-Bahn. Die Gasse trägt Bruno Kreiskys Namen, der das Pressefoyer "erfunden" hat.