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Verstrickt im endlosen Konsonanten-Gewirr

Von Winfried Schneider, Prag

Europaarchiv

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Kennen Sie den?

Ein Tscheche kommt zum Augenarzt. Der hält ihm eine seiner Buchstabentafeln hin: C Z W X N Y S T A C Z steht darauf geschrieben. "Können sie das lesen?" fragt der Arzt "Lesen?," ruft der Tscheche erstaunt aus, "Den kenn´ ich sogar, den Kerl !"

Was unsereins als schier unaussprechliche Anhäufung von Konsonanten erscheinen mag, klingt für einen Tschechen in seiner Mutterspache allemal noch melodisch und vertraut. Wer dagegen die Sprache Bohumil Hrabals und Karel Èapeks, die Sprache Václav Havels oder Ludvík Vaculíks als Fremdsprache lernt, dem verlangt die tschechische Sprache vorerst einmal ganz ungewohnte Zungenakrobatik ab. Das berüchtigte ø, das R mit Haèek also, ist dabei noch wesentlich schwerer hinzukriegen als scheinbar unaussprechliche Konsonantenanhäufungen. Und es ist darüberhinaus auch noch symbolisch aufgeladen. Schließlich gilt ihr ø den Tschechen geradezu als eine Art Nationallaut. Richtiggehend stolz sind sie auf ihn, denn angeblich handelt es sich dabei um ein linguistisches Unikum, das es in keiner anderen Sprache der Welt gibt. Nur im Tschechischen fände sich dieser merkwürdige Laut, der irgendwo zwischen einem gewöhnlichen gerollten Zungenspitzen-R und einem stimmhaft gesprochenen sch angesiedelt ist. Genauer gesagt gilt es, beide gleichzeitig zu artikulieren - was unsereins anfangs schier unmöglich ist. Laut Jiøí Grusa, der sowohl als Schriftsteller wie auch als Diplomat und nunmehr als Präsident des PEN-Clubs ein Mann der Sprache ist, laut Jiøí Grusa "sollte sich deine Zunge für ein 'r' bereithalten, zugleich sollten die Zähne so dicht aneinandergepresst werden, dass dazwischen höchstens eine Rasierklinge Platz hätte, nun solltest du mit der vibrierenden Zungenspitze so lange ein ø schwingen lassen, bis endlich der wunderbare Ton sich weit und breit ergießt. Da du allerdings das ø meistens ebensowenig beherrscht, obwohl es dir durch Worte wie Jargon, jamais oder Joujou schon geläufiger ist, bezweifle ich deinen Erfolg und erteile dir die Absolution" (Jiøí Grusa: ´Gebrauchsanweisung für Tschechien´, Piper Verlag).

Versuchen Sie´s mal: Dvoøák, Antonin. Nein, nicht Dworschák, auch nicht Dvorrrrsak. Dvoøák eben. Siehe oben. Zum Trost sei angemerkt, dass auch so mancher waschechte Tscheche an dieser linguistischen Hürde scheitert und deswegen im Kindesalter so manche Stunde beim Logopäden zu verbringen hat.

Das Zeichen über dem a im Familiennamen des Komponisten heißt übrigens Èárka, und bedeutet weiter nichts, als dass der betreffende Laut lang zu sprechen ist. Er sollte dann auch wirklich lang gesprochen werden, zumal die Kürze oder Länge von Vokalen in Wörtern, die im übrigen ident sind, den Sinn ebendieser Wörter vollkommen verändern kann.

Tschechisch als Fremdsprache konfrontiert den Lernenden also von Anfang an mit allerlei ungewohnten Tücken der Aussprache. Andererseits wird alles genau so ausgesprochen, wie es geschrieben wird, sodass man also jedes geschriebene Wort auf Anhieb korrekt aussprechen kann, wenn die wenigen Besonderheiten erst einmal gelernt sind. Selbst der klassische Übungssatz "Strè prst skrz krk" ist dann kein Problem mehr. Er heißt übrigens sinnigerweise: "Steck den Finger durch den Hals", und man wird ihn wohl nicht allzuoft zu hören kriegen. Den folgenden dagegen hört man in Prag umso öfter. Selbst absolute Tschechisch-Anfänger können ihn früher nachsprechen, als bis zwanzig zählen. Jene jedenfalls, die täglich mit der Prager Metro fahren: "Ukonèete výstup a nástup, dveøe se zavírají." In Mùstek, in Andìl, in Dejvická. "Ukonèete výstup a nástup, dveøe se zavírají". In Staromìstská, Malostranská und Hradèanská. Überhaupt in jeder Metro-Station . "Ukonèete ..." Wörtlich übersetzt heißt das: "Beenden Sie den Ausstieg und Einstieg. Die Türen schließen sich." Ein schlichter Signalton hätte wohl auch gereicht. Aber so lernen selbst Touristen die Schönheit der tschechischen Sprache kennen, ein ganz klein wenig zumindest.

Zugegeben, Tschechisch als Fremdsprache zu lernen, kann anfangs erst einmal ganz schön frustrierend sein. Zu den Schwierigkeiten der Aussprache der einzelnen Laute kommen weitere bei der Stimmassimilation, also der Anpassung bestimmter nebeneinanderstehender Konsonanten, und der Vokalwechsel. Vor allem aber die überaus komplexe Grammatik bringt so manchen Anfänger gehörig ins Schwitzen. Wie alle slawischen Sprachen, verfügt das Tschechische über ein ausgeprägtes Deklinationssystem für Substantive und ein weiteres für Adjektive. Zu den vier Fällen, die man als Deutschsprachiger gewöhnt ist, kommen drei weitere hinzu: der Vokativ für die Anrede; der Lokativ für Richtungs- bzw. Positionsangaben; und schließlich der Instrumental, der Fall des Mittels. Sieben Fälle also, was jene, die einmal Latein gelernt haben, weiters nicht sonderlich beeindruckt. Durchaus beeindruckend können allerdings die Folgen mangelnden Grammatikverständnisses sein. Dann zum Beispiel, wenn eine Geldüberweisung an ihren Adressaten nicht ausgehändigt wird, weil ein ausländischer Bankbeamter dessen flektierten Namen nicht mehr erkennt. Solches wäre angeblich dem Schriftsteller Jaroslav Hasek in Ungarn widerfahren. Der hätte bei der Post seinen Ausweis vorgelegt, um sein Geld abzuholen, worauf der Postbeamte die Scheine wieder in den Safe sperrte. "Sie müssen mich verstehen", meinte der Beamte: "Sie heißen ´pan Hasek´, das Geld ist aber an ´pana Haska´ adressiert". Laut Jiøí Burgerstein, der diese Anekdote um einen verhängnisvollen Akkusativ in seinem Tschechien- Band der Beck´schen Reihe zitiert, habe die örtliche Polizei die grammatikalische Auseinandersetzung beendet.

A propos Namen: Nach wie vor heißen hier Frauen anders als ihre Ehemänner. Und zwar deshalb, weil an ihren Namen meist die Endung "-ová" angehängt wird, sodass aus der Gattin eines Herrn Klaus eine Frau Klausová wird, also eine "zu Klaus gehörende". Der sexual correctness entspricht dieses Besitzverhältnis zwar absolut nicht, die Grammatik verlangt es aber weiterhin so und schreckt selbst davor nicht zurück, die Namen ausländischer Damen zu suffigieren: Marylin zum Beispiel wird dann eine Monroeová, und so weiter.

Zahlreiche Konsonanten- und Vokalwechsel, je nach Fall oder Präposition, verändern nicht selten schon bekannte Wörter wieder bis zur Unkenntlichkeit. Dass aus Praha auch Prahy werden kann überrascht noch wenig. Aber von Praze auf Anhieb auf den Namen der Hauptstadt rückzuschließen ist für Anfänger erst einmal eine Herausforderung.

All diese komplexen sprachlichen Besonderheiten zeigen andererseits aber auch eines deutlich, nämlich dass die tschechische Sprache eine äußerst differenzierte ist. Eine, die eine Vielzahl fein abgestufter Ausdrucksmöglichkeiten bereithält. Eine höchst nuancenreiche, in der sich fast alles auf ganz unterschiedliche Weise formulieren läßt, je nachdem, wo und wie die Akzente in der Kommunikation gesetzt werden sollen - eine linguistische Tatsache, deren sich Politiker und Geschäftsleute stets bewusst sein sollten im interkulturellen Dialog.

Was die Lexik betrifft, die Ebene der Wörter also, ist man anfangs mit einer weiteren Hürde konfrontiert: Dem Fehlen jeglicher Möglichkeit zur Analogiebildung. Während man als Deutschsprachiger in allen germanischen Sprachen, von Englisch bis zu den skandinavischen, wie auch in allen romanischen Sprachen jede Menge eng verwandter Wörter findet, existiert diese Verbindung zwischen den germanischen und den slawischen Sprachen eben nicht. Was auf Deutsch Musik, auf Französisch musique, auf Englisch music und auf Italienisch musica heißt und völlig problemlos erkennbar ist, heißt auf Tschechisch - hudba. Mit Raten und Probieren wird man also nicht weit kommen. Oder hätten Sie zum Beispiel eine Ahnung, was ein poèítaè sein könnte? Mit Powidtascherln und Kolatschen hat es jedenfalls nichts zu tun, und überhaupt ist es nichts zum Essen ,sondern ein - Computer.

Zu all den sprachlichen Herausforderungen kommt beim Tschechisch-Lernen schließlich noch eine weitere hinzu, eine psychologische nämlich. Tschechisch als Fremdsprache zu lernen heißt, eine kleine Sprache lernen. Eine, die von nur etwa zehn Millionen gesprochen wird, und die einem in anderen Weltregionen kaum zu etwas nütze sein wird. (Ein augenfälliger Beleg dafür ist unter anderem die Tatsache, dass in tschechischen Kinos kaum synchronisierte Filme laufen, weil die Synchronisation sich nicht rentieren würde. Stattdessen zeigt man die allermeisten im Original mit tschechischen Untertiteln).

Und dennoch gibt es eine Fülle von guten Gründen, warum es der Mühe lohnt, die Sprache des Nachbarn zu lernen. Dass Geschäftsleute, die in der Tschechischen Republik agieren, mehr als gut beraten sind, zumindest Basiskenntnisse der Landessprache zu erwerben, versteht sich von selbst. Als Zeichen der Wertschätzung, als Ausdruck von Respekt für den und Interesse am anderen. Die Tschechen danken es Ausländern umso deutlicher, wenn sie auch sprachlich als gleichberechtigte Partner behandelt werden und üben sich in Nachsicht, auch wenn das ø - siehe oben - nicht so ganz tschechisch über die Lippen kommt und der Dialog voller Fallfehler sein mag.

Politiker werden ab Mai 2004 nicht nur in den Gremien der EU mit Tschechisch in Berührung kommen. Auch in den bilateralen Beziehungen stünde es jenen, die häufigen Kontakt mit den Nachbarn pflegen, durchaus gut an, ihren angeblich so guten Willen auch sprachlich zu demonstrieren.

Und schließlich könnten überhaupt allen Österreichern ein ganz klein wenig Tschechisch-Kenntnisse nicht schaden. Schließlich meinen manche, Österreicher und Tschechen wären "ein Volk mit zwei Sprachen" (Karl Schwarzenberg). Was Grund genug sein könnte, sich im nächsten Tschechisch Kurs zu inskribieren.

Erhellender und nicht selten erheiternder Aha-Erlebnisse darf man sich dann jedenfalls sicher sein. Dann nämlich, wenn die vielen, vielen tschechischen Namen im österreichischen Alltag plötzlich ihre Bedeutung offenbaren, von Krejèi (Schneider) über Smutný (traurig) und Swoboda (Freiheit) bis zu Veselý (fröhlich). Wenn die reiche Wiener Umgangssprache sich auf einmal ganz und gar durchzogen von böhmischen Einflüssen erweist, vom Feschak bis zum Frnak. Und wenn der nächste Spaziergang durch die Gassen von Prag zur historischen Wanderung wird, weil die Straßennamen aus der Geschichte erzählen, in der Rybná (Fischmarkt), der Masná (Fleischgasse) oder der Panská (Herrengasse).

Auf tschechischer Seite hat man sich den fremden Sprachen jedenfalls längst in einem beeindruckenden Ausmaß zugewand. Allein in Prag soll es über 100 Sprachinstitute geben, an denen die Sprachen der Welt unterrichtet werden. "34 Prozent der Tschechen können sich auf deutsch verständigen, 23 Prozent auf englisch, 22 Prozent auf russisch und 11 Prozent in anderen Sprachen", schreibt Jiøí Burgerstein. Tendenz: rasant steigend.

Info:

* Tschechisch-Kurse bietet unter anderem der Verband der Wiener Volkshochschulen an.

HYPERLINK http://www.vwv.at www.vwv.at

* Information über Diplom- und Lehramsstudien für Tschechisch erhält man am Wiener Institut für Slawistik, Universitätscampus AKH, 1090 Wien, Spitalgasse 2, Hof 3, Tel. 01/42 77-428 01.

mailto:Slawistik@univie.ac.at