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Israels Alleingang kommt angesichts der Sicherheitsrats-Blockade nicht ungelegen.
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Tel Aviv. Die beiden israelischen Angriffe auf mehrere Ziele in Syrien - offenbar auf einen Waffenkonvoi am Weg zur libanesischen Hisbollah und einige militärische Einrichtungen - haben überrascht. Und dennoch sind sie einer alten israelischen Logik gefolgt: Es hat sie nie gegeben. So zumindest hätte es aus israelischer Sicht die Weltöffentlichkeit und Syrien aufnehmen sollen.
Ganze 24 Stunden nach der ersten Explosion in der Nacht auf Freitag wusste niemand so recht, ob der Angriff überhaupt stattgefunden hat. Falls doch, konnte niemand mit Sicherheit sagen, was dabei eigentlich getroffen wurde. Das zumindest, bis die ersten Hinweise laut wurden, dass es sich dabei um einen Transport von strategisch wichtigen Raketen zur schiitischen Hisbollah im Libanon gehandelt habe. Israels Politiker hüllten sich fortan in Schweigen. Ebenso die Regierung in Syrien. Politischen Entscheidungsträger waren in den Medien nur mehr als anonymisierte Quellen zu sehen.
"Hätte sich der israelische Ministerpräsident zu dem Angriff bekannt, würde das Syrien und die Hisbollah zu einer Reaktion zwingen", sagt Itamar Yaar, ein Sicherheitsberater der israelischen Regierung und ehemaliger Vize-Chef des Nationalen Sicherheitsrats. Wenn es um Israels Operationen in Syrien geht, ist allerdings auch keine Nachricht eine Nachricht. Denn wie aus einem Treffen des israelischen Sicherheitskabinetts am Sonntag hervorging, will die israelische Regierung vor allem eines: dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad keinen Grund zur Reaktion geben. Je weniger darüber gesprochen wird, desto eher könne es Assad ignorieren.
Israel wolle Waffentransporte zur Hisbollah verhindern, sich aber nicht in die Angelegenheiten Syriens einmischen. Schon im Januar griff Israel eine Waffenlieferung an die Hisbollah auf syrischem Boden an.
Doch dann erhöhten die wachsenden Indizien über eine Welle an Angriffen in der Nacht auf Sonntag den öffentlichen Druck. Ein Amateur-Video zeigte Aufnahmen einer riesigen Explosion. Und amerikanische und israelische Politiker gingen mit mehr Details an die Medien, wenn auch "anonym". Auch wenn die Faktenlage dürftig bleibt: Diese zweite Welle an Angriffen hebt Israels Intervention in Syrien auf eine neue Stufe. Danach musste auch die syrische Regierung regieren, vorerst jedoch nur verbal.
Prekäre Grenzsituation
"Eine Kriegserklärung", nannte es der syrische Vize-Außenminister Faisal al-Mekdad. Die Angriffe würden "die Tür zu allen Optionen" öffnen. Ob aus Syrien auch eine militärische Reaktion auf Israels Angriffe folgen wird, kann derzeit niemand bestätigen, aber ebenso wenig kann man es ausschließen. Wenn es stimmt, was die "New York Times" in einem Bericht schreibt, dann wurde bei den Angriffen weitaus mehr als nur für die Hisbollah bestimmte Waffen getroffen: Bei den Angriffen in der Nacht auf Sonntag seien auch syrische Elitesoldaten in der Nähe des Präsidentenpalasts getötet worden. Daneben wurden mehrere militärische Einrichtungen getroffen, darunter angeblich auch eine zur Lagerung oder Produktion von Chemiewaffen.
Das Israel nun erneut in Syrien eingreift, ist als Antwort auf eine zunehmend heikle Sicherheitslage zu werten. Einerseits zeigt sich die israelische Regierung besorgt darüber, dass die Hisbollah die instabile Lage in Syrien zunehmend effektiv ausnutzt, um sich strategisch wichtige Waffen zu besorgen. Dabei kann auch ein möglicher Transfer von Chemiewaffen nicht ausgeschlossen werden. Gleichzeitig rücken die Kämpfe zwischen Rebellen und Truppen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad immer näher an die israelische Seite der Golanhöhen, die Israel seit 1967 besetzt hält.
In Vorbereitung auf mögliche Szenarien hielt das israelische Militär schon am Dienstag letzte Woche überraschend eine Großübung am Golan ab. Diese Woche wurden Raketenabwehrsysteme im Norden des Landes stationiert. Und die Lage auch für die UNO-Beobachtermission im Grenzgebiet zu Syrien bleibt gefährlich. Österreich stellt weiterhin mit rund 400 Soldaten das größte Kontingent der UN-Mission. Nachdem syrische Rebellen Anfang März 21 Blauhelme entführt hatten, wurde die Forderung nach einem Rückzug immer lauter. Ein Abzug der Truppen, auch wenn er vorerst unwahrscheinlich erscheint, würde bewaffnete Grenzkonflikte weitaus wahrscheinlicher machen.
Die israelischen Angriffe könnten nun auch die Debatte über eine mögliche Intervention in Syrien weiter anheizen, besonders nachdem sich Berichte über den Einsatz von Chemiewaffen häufen und die Anzeichen immer deutlicher werden, dass die militärische Schlagkraft der Hisbollah stetig wächst.
Jüngste Berichte von einem neuen Massaker an syrischen Zivilisten verleihen der Frage internationaler Verantwortung ebenfalls Nachdruck.
Doch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - der als einziges Gremium eine militärische Intervention in Syrien legitimieren kann - bleibt durch das Veto Russlands und Chinas blockiert. Angesichts dieser Blockade könnten die israelischen Angriffe durchaus neue Maßstäbe für zukünftige Aktionen setzen. US-Präsident Barack Obama und der britische Außenminister William Hague haben nach den Angriffen von "Israels Recht, sich zu verteidigen" gesprochen. Obama hatte schon Ende April den Einsatz von Chemiewaffen als "Änderung der Spielregeln" bezeichnet.