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Wenn sich das Gericht uneins ist

Von Daniel Bischof

Geschworene sprechen Angeklagten von Mordvorwürfen frei, Richter heben das Urteil auf.


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Wien. Lange ließen sich die acht Geschworenen Zeit, bis sie ihre Entscheidung fällten: Für gute zweieinhalb Stunden zogen sie sich am Donnerstag im Straflandesgericht Wien für Beratungen zurück. Sie alleine hatten über die Schuld oder Unschuld eines 37-jährigen Serben zu urteilen, dem von der Staatsanwaltschaft Wien versuchter Mord in zwei Fällen vorgeworfen wird. Am 5. Juli 2015 soll er versucht haben, Herrn A. zu erschießen. A. wurde ins Gesäß getroffen, ein unbeteiligter 13-Jähriger geriet ebenfalls in die Schussbahn. Dank intensiver medizinischer Betreuung überlebte er einen Bauchschuss.

Die zweite Runde

So lange sie auch berieten, so einig waren sich die Geschworenen am Schluss: Mit acht zu null Stimmen sprachen sie den Angeklagten von den Vorwürfen frei. Ebenso einig waren sich die drei Berufsrichter. Sie hielten die Entscheidung für ein Fehlurteil. Wegen Irrtums setzten sie den Wahrspruch der Geschworenen aus. Damit muss der Strafprozess wiederholt werden.

Den Enthaftungsantrag von Verteidiger Michael Schnarch lehnten die Berufsrichter ebenfalls ab. Mit Beschluss verhängten sie die Fortsetzung der Untersuchungshaft über den 37-Jährigen aufgrund des bestehenden dringenden Tatverdachts.

Belastetet wurde der Angeklagte von zwei Zeugen. Bei seiner gerichtlichen Einvernahme am Mittwoch identifizierte das Opfer A. den 37-Jährigen als Täter. Bei seiner ersten polizeilichen Befragung hatte der mehrfach vorbestrafte A. den 37-Jährigen nicht belastet. Danach gab er an, ihn zu 70 Prozent wiederzuerkennen.

Am Donnerstag wurde der Angeklagte auch von einem völlig unbeteiligten Zeugen wiedererkannt, der am Tatort anwesend war. Bereits bei der Polizei hatte er aus 20 ihm vorgelegten Lichtbildern den 37-Jährigen sofort als Täter identifiziert. Auch bei seiner gerichtlichen Einvernahme erkannte er den Angeklagten "mit Sicherheit" als Schützen wieder.

Der 37-Jährige bekannte sich nicht schuldig. Am Vortag der Tat war er in Österreich eingereist. Er sei nach Wien gekommen, um Geld von einem Bekannten zu kassieren, sagt der 37-Jährige. Dieser Bekannte sei in den Mordanschlag involviert gewesen. Dazu kann der Bekannte nicht befragt werden - er wurde im September 2015 in Belgrad ermordet.

Andere Zeugen konnten den Täter nicht identifizieren - teils machten sie unterschiedliche Angaben über seine Statur. Auf den Überwachungsvideos konnte man das Gesicht des Täters nicht erkennen, allerdings schwarz-weiße Turnschuhe. Als der Angeklagte bei seiner Wiedereinreise nach Serbien gefilmt wurde, soll er genau diese Schuhe getragen haben.

Debatte um Laien

Wie geht es nun weiter? Zuerst wird die Strafsache dem Obersten Gerichtshof vorgelegt. Dieser hat den Akt an ein anderes Geschworenengericht zur neuerlichen Verhandlung zu verweisen. Bei dieser Verhandlung darf keiner der Richter den Vorsitz führen und keiner der Geschworenen zugelassen werden, die an der ersten Verhandlung teilgenommen haben. Sollte der Wahrspruch des zweiten Geschworenengerichtes mit dem des ersten übereinstimmen, ist eine erneute Aussetzung durch die Berufsrichter nicht möglich.

Die Entscheidung könnte die Debatte über eine Reform der Laiengerichtsbarkeit weiter anheizen. Derzeit wird etwa überlegt, ob Geschworene ihre Urteile künftig begründen müssen.