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Wer braucht noch Macht in dieser Welt?

Von Wendelin Ettmayer

Politik

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Die USA geben heuer über 400 Milliarden Dollar für ihr Militär aus. Ihr Verteidigungsbudget ist damit fast doppelt so hoch wie das der EU-Länder zusammengenommen.

Die Vereinigten Staaten werden damit zu recht als einzige "Super-Power" unserer Zeit bezeichnet. Stellt man jedoch die Frage, was das dem Land bzw. dem einzelnen Amerikaner gebracht hat, so kann man feststellen, dass das Ansehen des Landes gelitten hat, ja dass selbst die Durchsetzung der von der amerikanischen Regierung gesetzten außenpolitischen Ziele trotz der Machtfülle nicht möglich war. Es soll daher hier im Folgenden aufgezeigt werden, wie sehr der militärische Einsatz wegen der geänderten Rahmenbedingungen immer wieder scheitert bzw. wie weit andere Kräfte das internationale Geschehen bestimmen.

Wieweit sind die Mächtigen machtlos?

Jahrhunderte hindurch war die Außenpolitik der Staaten darauf ausgerichtet, den eigenen Machtbereich auszuweiten. Diplomaten und Soldaten gestalteten die Welt: auf Kriege folgten Friedenskonferenzen, die Großmächte lösten einander im Führungsanspruch ab.

So sehr diese auf Machtpolitik ausgerichtete Denk- und Handlungsweise auch heute noch in weiten Bereichen gültig ist, so gibt es doch grundlegend neue Ziele der internationalen Konferenzen wie den Schutz der Umwelt, die Gleichberechtigung der Frauen oder die Menschenrechte.

Analog dazu haben die großen internationalen Konferenzen, von Rio bis Johannesburg, einen ganz anderen Charakter bekommen. Sie unterscheiden sich grundsätzlich von den diplomatischen Zusammenkünften vergangener Zeiten.

Macht hat, nach der bekannten Definition von Max Weber jemand, der in der Lage ist, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen. Nunmehr haben sich die internationalen Rahmenbedingungen, unter denen ein Staat einem anderen seinen Willen aufzwingen kann, während der letzten Jahre grundlegend geändert. Heute stellt sich nämlich die Frage, wieweit im Zeitalter der Demokratie, der Selbstbestimmung und des Internets anderen, selbst mit größter Waffengewalt, der eigene Wille aufgezwungen werden kann. Selbst die Eroberung eines Territoriums nach einer siegreichen Schlacht verliert dann an Bedeutung, wenn es nicht gelingt, nachher den Frieden, also die Menschen des besiegten Landes, zu gewinnen.

Auch die mächtige Sowjetunion hat in den 1980er Jahren in Afghanistan eine furchtbare Niederlage erlitten. Zwar waren dort 526.000 sowjetische Soldaten eingesetzt, die 20 Millionen Anti-Personen-Minen legten und erreichten, dass 1,5 Millionen Afghanen, also zehn Prozent der gesamten Bevölkerung des Landes, getötet wurden. Dennoch musste die Sowjet-Armee geschlagen abziehen. Auch die Vernichtung weiter Teile Afghanistans konnte die russische Niederlage nicht verhindern.

Der Krieg kostete die Sowjetunion insgesamt 40.000 Tote und 20 Milliarden Dollar im Jahr. Viele Soldaten kamen drogensüchtig oder mit einem Trauma in die Heimat zurück.

Kurzlebiger "Sieg"

Dabei hat sicherlich eine Rolle gespielt, dass die USA die afghanischen Freiheitskämpfer, darunter Osama bin Laden, zehn Jahre hindurch mit insgesamt 2,1 Milliarden Dollar unterstützt haben. Aber auch dieser "Sieg" der USA war kurzlebig. Viele der in Afghanistan ausgebildeten Mujahedin kehrten als islamische Extremisten in ihre Heimatländer zurück.

Solange also die Außenpolitik darauf ausgerichtet war, die Macht des eigenen Landes zu vergrößern, und solange es relativ leicht war, nach einer gewonnen Schlacht den Besiegten die Friedensbedingungen zu diktieren, gelang es auch leichter, Macht zu definieren. Heute hingegen, wo es auch zu den Zielen der Außenpolitik gehört, das Wohl der eigenen Bevölkerung zu fördern und wo selbst ein Sieger bemüht sein muss, die Besiegten für sich zu gewinnen, hat sich das Wesen der Macht grundsätzlich geändert. Macht und Einfluss sind nicht mehr an die Größe eines Staates oder auch nur an die Zahl seiner Divisionen gebunden.

Die Macht der Mutigen

Analysiert man das internationale Geschehen der letzten Jahre, so kann man feststellen, dass die großen Veränderungen bei weitem nicht immer durch jene herbeigeführt wurden, die über das größte Waffenpotenzial verfügten. Im

Gegenteil. Die Super-Macht Sowjetunion, die über Millionen von Soldaten, über 60.000 Panzer, Atom-Sprengköpfe und Langstreckenraketen verfügte, ist in sich zusammengebrochen. Hingegen hat das mutige Engagement einzelner zu grundlegenden Umwälzungen geführt. Schon während des kalten Krieges zeigte sich in Europa, dass die Sowjetunion mit einzelnen der von ihr besetzten Länder, in denen es immer wieder zu Aufständen kam, größte Probleme hatte, während mit Österreich, wo keine Sowjet-Truppen stationiert waren, gute Beziehungen bestanden.

Gerade das zwanzigste Jahrhundert ist reich an Beispielen, die zeigen, dass das gewaltlose Eintreten gegen Unterdrückung erfolgreich war, während selbst Weltreiche und gewaltige Militärmächte einen totalen Zusammenbruch erlebten.

Mahatma Gandhi, die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten, die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc in Polen, Nelson Mandela in Südafrika und Aung San Suu Kyi in Myanmar sind Beispiele dafür, was gewaltloser Widerstand erreichen kann.

Der Bus-Boykott von 1954

In diesem Zusammenhang kann man auch den Bus-Boykott durch die schwarze Bevölkerung in Montgomery im Jahre 1955 anführen. Damals hatte sich die 42-jährige schwarze Näherin Rosa Parks im US-Bundesstaat Alabama geweigert ihren Sitzplatz im Bus einem weißen Fahrgast abzugeben. Der Fahrer rief die Polizei und sie wurde verhaftet.

Unter dem Vorsitz von Martin Luther King wurde ein Bürgerausschuss gegründet, der sich der Näherin annahm. Als dann die Busunternehmer nicht einmal die Forderung annahmen, dass afroamerikanische Fahrgäste in jener Reihenfolge einsteigen und sitzen können, in der sie kommen, (wobei sich die Betroffenen ohnehin mit den hinteren Reihen begnügt hätten), kam es zum Boykott der Busse durch die schwarze Bevölkerung. Einige wurden wegen Nichteinhaltung der Rassentrennung verhaftet. Die Meldungen darüber gingen allerdings durch die ganze Welt, was den Verhafteten neue Sympathien einbrachte. Schließlich hob der oberste Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts von Montgomery auf und Martin Luther King konnte unter dem Schutz der Weltöffentlichkeit seinen gewaltfreien Kampf fortsetzten.

Die Solidarnosc-Bewegung

Ein gutes Beispiel dafür, was eine gewaltfreie Bewegung erreichen kann, ist auch die Solidarnosc-Bewegung, die 1980 in Polen gegründet wurde.

Als Anna Walentynowicz für die Gründung einer freien Gewerkschaft aktiv wurde, wurde sie im August 1980 von der Direktion der Danziger Werft gekündigt. Schon vier Jahre vorher ereilte Lech Walesa wegen desselben Verhaltens das gleiche Schicksal. Nunmehr wurde er der Wortführer einer Streik-Bewegung, die freie Gewerkschaften, das Streikrecht, Redefreiheit, sowie die Entlassung aller politischen Häftlinge verlangte.

Gottesdienste in der Danziger Werft stärkten das Bündnis zwischen Volk und Kirche. Nach einer Woche streikten in Polen 500.000 Menschen. 200.000 Rundfunk- und Fernsehgesellschaften übertrugen das Geschehen in die ganze Welt. Nach zwei Wochen Streik und zähen Verhandlungen kam es Ende August 1980 zu einer Einigung zwischen den Arbeitern und der polnischen Regierung. Damit hat jene Entwicklung begonnen, die letztlich entscheidend zum Zusammenbruch des gesamten "Ost-Blocks" geführt hat.

Eine Einzelkämpferin, die große internationale Anerkennung gefunden hat, ist auch Aung San Suu Kyi. Sie wurde 1988 die Vorkämpferin für die Wiederherstellung der Demokratie in Myanmar und erhielt 1991 den Friedens-Nobelpreis.

Sie fand aber nicht nur die internationale Anerkennung sondern auch Wertschätzung im eigenen Land und erreichte bei den Parlamentswahlen 1990 mit ihrer oppositionellen "National League for Democracy" 80 Prozent der Sitze. Allerdings konnte sie nie ins Parlament einziehen, da sie von der regierenden Junta unter Hausarrest gestellt wurde.

Aung San Suu Kyi erhielt nicht nur zahlreiche internationale Auszeichnungen, sie erreichte auch, dass die regierende Militär-Junta ihres Landes von den westlichen Demokratien zunehmend unter Druck gesetzt wurde. Wenn auch ihre Bewegungsfreiheit in Myanmar selbst immer noch eingeschränkt ist, so ist es doch bemerkenswert, welchen internationalen Druck die Friedensnobelpreisträgerin im Alleingang gegenüber einem militärischen erzeugen konnte.

So kann man wohl sagen, dass sich die Bildungsexplosion in den einzelnen Ländern, der Glaube vieler Menschen an ihr Recht auf Mitsprache und Selbstbestimmung, die Entwicklungen im Bereich der Kommunikation und die Medien-Revolution auf die internationalen Beziehungen ausgewirkt haben. Es ist daher heute nicht mehr möglich, dass selbst die mächtigsten Staaten und die mächtigsten Regierungen anderen Ländern und Menschen bedingungslos ihren Willen aufzwingen.

Auf das Ansehen kommt es an

So sehr also die traditionellen Machtfaktoren in den internationalen Beziehungen an Bedeutung verlieren, so sehr gewinnen andere Kriterien an Gewicht. So bestimmen immer mehr die Lebensqualität eines Landes, sein internationales Engagement, ja seine sportlichen Leistungen das Ansehen und den Stellenwert in der Welt.

Im Sinne einer neuen Bewertung der Staaten wird von den Vereinten Nationen jährlich ein "Human Development Index" herausgegeben, dabei werden die Lebenserwartung, das Bildungssystem und das Prokopfeinkommen der einzelnen Länder miteinander verglichen. Kanada führte diese Wertung jahrelang an, bis es von Norwegen von der Spitze verdrängt wurde. Im Spitzenfeld liegen auch Finnland und Schweden, Österreich hält den 14. Platz. Im Schlussfeld findet man Länder wie Simbabwe, Angola oder Sierra Leone. Obwohl es in Äquatorial-Guinea große Ölvorkommen gibt, findet man das Land nur auf dem 109. Platz, weil die Lebenserwartung dort gerade 49 Jahre beträgt.

Die Lebensqualität in einem Land wurde also eine internationale Kategorie. Staaten werden dahingehend miteinander verglichen, welche Lebensbedingungen sie ermöglichen.

So ist etwa das Pro-Kopf-Einkommen in den Vereinigten Staaten höher als in der Europäischen Union, viele Menschen bevorzugen aber ein Leben in Europa, weil hier die Sozialsysteme großzügiger sind. Die Kindersterblichkeit ist in Europa geringer, das öffentliche Schulwesen besser und die Urlaube sind länger als in den USA. Auch die Zahl der Gefängnis-Insassen ist bei uns wesentlich geringer als in den Vereinigten Staaten.

Internationales Engagement

Auch das internationale Engagement eines Landes bestimmt seinen Stellenwert in der Welt. Wie viel ein Staat an Entwicklungshilfe leistet, welchen Beitrag er zu friedenserhaltenden Operationen leistet oder wie viele Flüchtlinge er aufnimmt, beeinflusst den Stellenwert in der internationalen Gemeinschaft.

Zunehmende Bedeutung gerade bei den jungen Menschen gewinnen auch die sportlichen Erfolge, die in einem Land erbracht werden. Schon immer haben sportliche Leistungen selbst zur Herausbildung der nationalen Identität von Staaten beigetragen, wie dies bei Finnland oder Jamaika der Fall war.

Der Erfolg der Bundesrepublik Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft von 1954 in der Schweiz hat ein ganzes Volk bewegt. Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, ja selbst große Tennis- und Golfturniere bewegen heute Millionen und prägen das Bild eines Landes in einem ganz entscheidenden Ausmaß.

Papst und Nelson Mandela

Wie hoch man auch heute noch die militärische oder wirtschaftliche Macht eines Staates einordnen mag, das Ansehen eines Landes oder seiner führenden Persönlichkeiten trägt in ganz entscheidender Weise zu seinen Möglichkeiten innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft bei. Papst Johannes Paul II oder Nelson Mandela haben erreicht, was anderen mit vielen Divisionen nicht gelungen ist. Dies zeigt wohl, dass Macht im 21. Jahrhundert nicht nach jenen Kriterien gemessen kann, die in der Vergangenheit gegolten haben.

Wendelin Ettmayer ist Autor des Buches "Jamaika. Mehr als Rum und Reggae. Chancen und Probleme eines Entwicklungslandes", Trauner Vlg 14,80