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Ein finsterer, großartig inhaltsreicher Roman: Ludwig Winders "Der Thronfolger".
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Es ist ein düsterer, sehr eigenartiger Roman: "Der Thronfolger" des Prager Schriftstellers Ludwig Winder erschien 1937 in einem Zürcher Verlag, wurde in Österreich flugs verboten und war, wie so vieles andere, nach 1945 schlicht in Vergessenheit geraten. Der Autor starb 1946 im englischen Exil, wohin er sich noch hatte retten können.
Weder zu Lebzeiten noch danach genoss der 1914 in Sarajevo zusammen mit seiner Frau ermordete Thronfolger Franz Ferdinand viele Sympathien; in Winders Roman-Porträt, das den Vorzug größtmöglicher historischer Genauigkeit besitzt, erfährt man die Gründe dafür zur Genüge. Einen übernervösen Getriebenen lernen wir da kennen, zu Freundschaft und Vertrauen unfähig, sich stets einer Welt von Feinden gegenübersehend, von einer Jagdleidenschaft erfüllt, die manisch zu nennen untertreiben hieße.
Einer unter vielen unnützen Erzherzögen, rutscht er mit dem Selbstmord Rudolfs plötzlich in die Rolle des Kronprinzen, ohne dass ihm dies zunächst offiziell mitgeteilt würde. Als Kronprinz hat er, wie alle Kronprinzen, nichts mitzureden. Er schmiedet einstweilen Pläne, um die Monarchie zu retten, und steht doch der zerreißenden Macht des Nationalismus ihrer vielen Nationalitäten so hilflos gegenüber wie alle anderen Protagonisten jener Zeit. Er intrigiert, sucht sich eine Hausmacht zu schaffen, und was immer er anfängt, es bringt ihm immer nur eines: neue Feinde.
Währenddessen sitzt der Kaiser in unheimlicher Rüstigkeit alle Tage von früh bis spät in seiner Kanzlei und führt das Land, mit größtmöglicher Korrektheit, immer weiter in die Sackgasse hinein. Das berühmte, von Karl Kraus so oft verwendete Wort vom "Gar net ignorieren" stammt, glaubt man Ludwig Winders Roman, übrigens von Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich; es fiel in Bezug auf die ihm verdächtigen und unsympathischen Machenschaften seines Neffen Franz Ferdinand.
An einem Punkt ist es mit dem Nicht-Ignorieren vorbei, und da gewinnt die bedauernswerte Jammergestalt des Thronfolgers auf einmal eine menschliche Note, ja heroische Züge. Er verliebt sich zum ersten Mal in seinem Leben, Liebe auf den ersten Blick wie im Film, und er setzt in der Folge die nicht standesgemäße Heirat mit der Gräfin Chotek durch, gegen alle Widerstände, gewissermaßen allein (respektive zu zweit) gegen die ganze Welt.
Ehe und Familienleben sind glücklich, soweit das einem zum Glücklichsein so Unbegabten gelingen kann; die Demütigungen, die das offizielle Österreich-Ungarn für seine geliebte Sophie auf Lager hat, sind von so ausgesuchter Infamie, dass man beim Lesen gewissermaßen dauernd nochmals hinschauen muss, um sich zu vergewissern, dass man richtig liest.
Und das Ende, die Geschichte, die man kennt: Im Juni 1914 sollen in dem kurz zuvor annektierten Bosnien-Herzegowina Manöver abgehalten werden, inklusive einer Fahrt durch Sarajevo im offenen Automobil. Es war eine Idee Franz Ferdinands, die ihm zuerst ganz brillant vorkam; später bekam er es mit der Angst, versuchte sich aus der Verpflichtung, als lebende Zielscheibe durch so feindseliges Land zu fahren, noch herauszuwinden. Da lassen ihn alle hängen, Ausreden gelten nicht, weil Feigheit zu vermuten wäre, auch vor sich selber nicht, und als am Ende selbst das serbische Außenministerium dezent auf die Gefahr eines Attentates hinzuweisen versucht, geht der Hinweis vorsorglich irgendwo in der Verwaltung verloren. Dann der Tag in Sarajevo mit seiner irrwitzigen Choreografie aus Versehen, Versagen und Imponiergehabe, die letzten Worte "Es ist nichts", und ganz zuletzt das würdelose Begräbnis in der Heimat.
Atemlos liest man diese schwärzeste aller Tragikomödien, den Anfang vom Ende der Monarchie, und kann den Autor nur bewundern, der die Nerven hat, solch einen Sumpf der Niedertracht und Inkompetenz über so viele Seiten (so viel Arbeit!) bis zum bitteren Ende zu durchwaten. So viel schriftstellerische Empathie für einen Helden, ein Milieu aufzuwenden, von denen man sich eigentlich nur mit Grausen abwenden möchte - diese Leistung nötigt einem große Bewunderung ab.
Ein finsteres, großartig inhaltsreich und bei aller Länge konzis geschriebenes Buch, das nun wohl hoffentlich den gebührenden Ehrenplatz in der österreichischen Literatur bekommen wird.
Ludwig Winder: Der Thronfolger. Ein Franz-Ferdinand-Roman. Nachwort von Ulrich Weinzierl. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014, 572 Seiten, 26,80 Euro.