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"Wir wollen keinen Grexit"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Der Chefökonom des griechischen Linksbündnisses Syriza Milios über Marxismus und Schuldenschnitt.


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"Wiener Zeitung": Sie sind bekennender Marxist. Soll bald der Marxismus Griechenland Heil bringen?Jannis Milios: Als Ökonom halte ich die marxistische Theorie für etwas sehr Nützliches, um die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung besser zu verstehen.

Halten Sie die These, wonach ein "Grexit" - also ein Euro-Ausstieg Griechenlands - für die Eurozone verkraftbar wäre, für richtig?

Ein Euro-Ausstieg irgendeines Landes würde die Eurozone mit einer Gemeinschaftswährung in eine Zone mit festen Wechselkursen verwandeln, so wie wir das bereits in Europa in der 1990er Jahren hatten. Damit wäre die Tür für den Ausstieg des nächsten Landes aus dem Euro offen. Das sollte keiner wollen.

Soll aus Ihrer Sicht Griechenland in der Eurozone bleiben?

Klipp und klar: Wir wollen auf keinen Fall den Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone. Wir wollen keinen Grexit. Syriza kämpft mit der Europäischen Linken vielmehr für das Ende der Austerität, für ein soziales Europa - und dies eindeutig mit dem Euro.

Der linke Syriza-Flügel sieht das anders: Für ihn ist die Rückkehr zur Drachme offenbar kein Tabu.

Wir waren noch nie so geeint wie heute. Kein "Flügel" von Syriza thematisiert einen Grexit oder den EU-Ausstieg. Unsere politischen Gegner konstruieren diese Gerüchte. Denn sie haben nur noch eine Waffe: den Bürgern Furcht einzuflößen und die Wirtschaft zu destabilisieren.

Die laufenden Anpassungsprogramme haben das Ziel, die Staatsfinanzen zu sanieren und die Wirtschaft kompetitiver zu machen. Ersteres ist schon erreicht. Will Syriza das alles wieder rückgängig machen?

Die Sanierung der Staatsfinanzen steht auf tönernen Füßen. Die griechische Wirtschaftsleistung ist wegen des Austeritätskurses um mehr als 26 Prozent eingebrochen. Dies ist eine Katastrophe, die für ein Land in Friedenszeiten historisch einmalig ist.

Will Syriza zu neuer Schuldenmacherei zurückkehren?

Nein. Wir werden keine neuen Haushaltsdefizite produzieren, wie dies die Parteien Nea Dimokratia und die Pasok-Sozialisten getan haben, die seit dem Ende der Obristendiktatur im Jahr 1974 ununterbrochen regieren. Defizite untergraben die Unabhängigkeit unseres Landes. Wir werden die humanitäre Krise bekämpfen und die Wirtschaft ankurbeln, zugleich aber ein Gleichgewicht bei den Staatsfinanzen gewährleisten.

Worüber will Syriza mit der Troika konkret verhandeln?

Die griechische Staatsschuld ist nicht tragfähig. Wir werden daher über einen Schuldenabbau verhandeln. Dafür gibt es keine Alternative, sehr wohl aber verschiedene Lösungsansätze. Die verbleibende Restschuld muss zudem mit einer Wachstumsklausel versehen werden. Die Devise muss lauten: Nur wenn Griechenlands Wirtschaft wächst, muss es seine (verbleibenden) Schulden bedienen.

Das könnte für den europäischen Steuerzahler teuer werden - etwa drei Viertel der griechischen Staatsschuld von 321 Milliarden Euro sind Kredite der öffentlichen Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF. Bringt Syriza so nicht die Europäer gegeneinander auf?

Die Schuldenproblematik ist kein griechisches Problem. Sie betrifft den gesamten Süden Europas - und nicht nur ihn. Daher fordern wir eine Europäische Schuldenkonferenz. Es kann technische Lösungen geben, die die Schuldentlastung aller Länder gewährleisten, ohne dass Kapitalüberweisungen zwischen den Ländern erfolgen und ohne die Steuerzahler zu belasten. Voraussetzung ist, dass die EZB eine aktive Rolle übernimmt.

Griechenland hat de facto keinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten. Will eine Syriza-Regierung, dass Hellas irgendwann an die Kapitalmärkte zurückkehrt?

Ja, das wollen wir. Syriza wird dafür die Wirtschaft stabilisieren und das Investitionsklima verbessern. So werden die Risikoaufschläge für die Hellas-Bonds fallen und wir können uns auf internationalen Kapitalmärkten wieder Geld zu niedrigen Zinsen beschaffen.

Wollen Sie die Troika aus Griechenland verjagen?

Die Troika wird künftig keine Rolle haben. Ihr Eingreifen in diversen Ländern Europas verstößt gegen fundamentales EU-Recht.

Gegenwärtig hält die Troika ausstehende Hilfsgelder von zehn Milliarden Euro zurück, weil die Verhandlungen mit Athen über ein neues Sparpaket auf Eis gelegt worden sind. Will Syriza dieses Geld?

Dieser Punkt wird bei den Verhandlungen über die Staatsschuld auf der Tagesordnung stehen. Wir wollen keine weiteren öffentlichen Kredite, keine zusätzlichen Hilfsgelder von der Troika. Herr Schäuble kann sein Geld behalten.

Wenn die Troika kein Geld mehr nach Athen überweist - nehmen Sie einen Staatsbankrott in Kauf?

Wir befinden uns nicht in einem "Krieg". Wir streben eine einvernehmliche Lösung mit unseren Partnern in Europa an. Keiner hat ein Interesse daran, dass Unternehmen oder Staaten in der EU pleitegehen.

Welche Reformen will Syriza stoppen?

Was die heutige Regierung Reformen nennt, sind in Wahrheit keine. Dazu zählen die Abschaffung der Arbeitnehmerrechte, der Tarifverhandlungen, des Schutzes sozial Schwacher. Fast 60 Prozent der jungen Griechen haben keinen Job - das ist eine Katastrophe. Wir haben die Pflicht, die humanitäre Krise zu bekämpfen, den sozialen Zusammenhalt zu garantieren, den Rechtsstaat zu schützen.

Sie wollen die Staatsausgaben wieder drastisch erhöhen. Allein ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der humanitären Krise und dem Wiederaufbau der Wirtschaft, ihr sogenanntes Thessaloniki-Programm, kostet laut Syriza 12 Milliarden Euro. Wie wollen Sie das finanzieren?

Durch eine Staatsreform, Transparenz, ein gerechtes Steuersystem. Wir werden die Krankheiten bekämpfen, die die heutige Regierung nicht bekämpft: Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, ausufernden Öl- und Tabakschmuggel, Verschwendung öffentlicher Gelder.

Wollen Sie die Reichen in Griechenland höher besteuern?

Für uns gilt, was die Verfassung vorschreibt: "Jeder ist so zu besteuern, wie er in der Lage ist, an Steuern zu bezahlen." Wir werden die Steuerhinterziehung und skandalöse Steuerbefreiung bestimmter Unternehmen beenden.

In aktuellen Umfragen liegt Syriza zwar vor der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia, der Vorsprung schrumpft aber. Bekommen die Griechen bei dem Gedanken, Syriza könnte bald regieren, kalte Füße?

Nein, gar nicht. Ich bin absolut sicher, dass Syriza am 25. Jänner mit großem Vorsprung die Parlamentswahlen gewinnt. Wir werden die Mehrheit erringen.

Zur Person

Jannis

Milios

ist Chefökonom des griechischen Linksbündnisses Syriza. Der 63-Jährige ist Wirtschaftsprofessor am Polytechnikum in Athen.