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Zwist um Antisemitismus im Warschauer Kirchenkeller

Von Eva Krafczyk

Politik

Die Allerheiligen-Kirche in der Warschauer Innenstadt ist nur rund hundert Meter von der einzig verbliebenen Synagoge entfernt. An ihrer Außenmauer erinnert eine Gedenktafel an Katholiken, die während des Zweiten Weltkriegs Juden retteten - das Ghetto befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Doch ausgerechnet hier ist im Untergeschoss der Kirche die Buchhandlung "Antyk" eingerichtet, die mit antisemitischen Titeln seit mehr als zwei Jahren für Proteste sorgt. Die Beschwerden blieben bisher vergeblich, ebenso wie die Hoffnung auf eine Intervention der Behörden.


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Am Anfang stand der einsame Kampf der Abiturientin Zuzanna Radzik, die von jüdischen Freunden auf die Buchhandlung aufmerksam gemacht worden war. Zunächst wollte sie nicht glauben, dass ausgerechnet im Gebäude der Kirche, in der die polnischen Bischöfe im Frühjahr 2001 in einem Bußgebet um Vergebung für den Antisemitismus in der Kirche baten, unter anderem Zeitschriften verkauft werden, deren antisemitische Karikaturen an die Hetzpropaganda des nationalsozialistischen "Stürmer" erinnern.

Versuche, mit dem Pfarrer der Gemeinde Kontakt aufzunehmen, scheiterten ebenso wie die Bitten der jungen Frau an die Kurie, etwas zu unternehmen. Der "Tygodnik Powszechny", eine angesehene katholische Wochenzeitung, machte das Thema schließlich publik.

Die Medienveröffentlichungen riefen im vergangenen Jahr die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Aufruf zum Rassenhass und die Verunglimpfung nationaler und religiöser Minderheiten sind in Polen strafbar. Umso größer war die Enttäuschung, als die Ermittlungen in diesem Sommer eingestellt wurden. Dabei kam der ermittelnde Staatsanwalt durchaus zu dem Schluss, dass in mehreren Büchern Juden als "von Grund auf unmoralisch" und "bedrohlich" dargestellt werden. Die Bücher seien jedoch stets im "historischen Kontext" zu sehen und nicht als Aufruf zum Rassenhass. Überdies hätten der Betreiber der Buchhandlung wie auch die jeweiligen Verlage versichert, sie wollten niemanden verunglimpfen.

Für Zuzanna Radzik, aber auch für die Vertreter der jüdischen Gemeinde Warschaus, klingt eine solche Begründung wie Hohn. "Wenn die Staatsanwaltschaft und das Gericht sich weigern, die Verbreitung antisemitischer Veröffentlichungen zu verfolgen, dann ist das für uns die Haltung des polnischen Staates", sagte Piotr Kadlcik, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. "In einer solchen Lage ist der Rechtsweg in Polen für uns ausgeschöpft - wir schließen eine Klage vor dem Menschenrechtstribunal in Strassburg nicht aus."

So lange will eine Reihe katholischer Intellektueller nicht warten. In einem offenen Brief an Kardinal Jozef Glemp, den Primas der katholischen Kirche Polens, forderten sie nun Konsequenzen. "Wir verstehen nicht die Erlaubnis zur Hass-Propaganda in einem kirchlichen Gebäude", schrieben unter anderem Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski und Leon Kieres, Leiter des Institut des Nationalen Gedenkens. Der seit Jahren ungekündigte Mietvertrag der Buchhandlung könne vermuten lassen, dass die antisemitischen Texte von der Kirche gebilligt würden.

Doch der Primas scheint keinen Anlass zum Einschreiten zu sehen. "Mit dieser Angelegenheit hat sich die Staatsanwaltschaft befasst", reagierte er auf das Schreiben. "Und ich will niemandem die Meinungsfreiheit nehmen."