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Wenn das Coronavirus dem Krieg beitritt

Von Elias Feroz

Gastkommentare
Elias Feroz studiert an der Universität Innsbruck islamische Religion sowie Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung auf Lehramt im Masterstudium.
© privat

In der syrischen Provinz Idlib liegt der Schutz vor Covid-19 de facto bei Null.


Seit nun neun Jahren tobt der Krieg in Syrien und hat auch das Gesundheitssystem im Land in einem fürchterlichen Ausmaß zerstört. Dieser Umstand begünstigt die Ausbreitung des Coronavirus, auch wenn das Regime dies dementiert. Obgleich die Zahlen der Corona-Infizierten in allen Nachbarstaaten Syriens deutlich steigen, werden aus Syrien kaum Fällen gemeldet. Den ersten gab der Gesundheitsminister erst am 23. März bekannt. Die offiziellen Berichte aus Syrien rund um das Virus sind unglaubwürdig.

Auch wenn der Wille für Tests vom Regime vorhanden wäre, scheint dieses Vorhaben unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich zu sein. Es gibt einen erheblichen Mangel an Ärzten, Pflegekräften und klinischer Ausrüstung. Mehr als 30 Prozent der Spitäler im Land sind laut der Weltgesundheitsorganisation nicht mehr in Betrieb. Das Regionale Informationszentrum der UNO berichtet, dass elf Millionen Menschen in Syrien humanitäre Hilfe benötigen, darunter fünf Millionen Kinder.

Besonders prekär ist die Lage für die rund drei Millionen Menschen in der umkämpften Provinz Idlib. Auch die Waffenruhe, auf die sich die Türkei und Russland Anfang März einigten, ändert nichts an den miserablen Lebensverhältnissen der dortigen Zivilisten. Wasser und Seife sind kaum vorhanden, und häufig teilen sich mehrere Personen ein Zelt auf engstem Raum. Die Menschen kleben aneinander und haben kaum Möglichkeiten, sich vor Viren und Keimen zu schützen. Quarantänemaßnahmen sind undenkbar, da den meisten Flüchtlingen nur undichte provisorische Lager zur Verfügung stehen, in welche die Kälte eindringt. Unter diesen Lebensbedingungen möchte man sich nicht vorstellen, wie schwach das Immunsystem der Bevölkerung sein muss. Ärzte vor Ort rechnen mit 100 000 Toten, wenn sich das Virus tatsächlich ausbreiten sollte, was nur eine Frage der Zeit sein kann. Zynischerweise könnte Covid-19 Syriens Machthaber Bashar al-Assad in die Hände spielen. Er wird von seinen russischen und iranischen Verbündeten unterstützt und konnte mit deren Hilfe bereits 70 Prozent des Landes von den Rebellengruppen zurückerobern. Idlib ist die letzte Region, die von Rebellen und radikal-muslimischen Fundamentalisten gehalten wird. Die Rebellen-Hochburg wird vom Nato-Land Türkei unterstützt. Das Syrian Observatory for Human Rights berichtet von 103 getöteten Zivilisten im heurigen März, von denen 51 vom russisch-syrischen Bündnis verschuldet worden sein sollen. Assad bestreitet allerdings wiederholt Angriffe gegen die eigene Zivilbevölkerung.

Ende März war der russische Verteidigungsminister Sergei Shoigu bei Assad in Damaskus, um den laufenden Kampf um Idlib sowie die Unterstützung Russlands für Syriens Armee zu erörtern. Nach Shoigus Besuch leistete Russland medizinische Hilfe und lieferte Ausrüstung nach Syrien, um den Ausbruch des von Covid-19 zu bekämpfen. Es stellt sich die Frage, ob die medizinische Schutzausrüstung je die Zivilbevölkerung erreichen wird, oder ob lediglich die Streitkräfte des Regimes einen Nutzen aus der Ausrüstung ziehen. Das Regime könnte also unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung für das Aufrüsten der eigenen Truppen sorgen.