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Die Macht der Kunst nutzen

Von Fabian Burstein

Gastkommentare

Statt eine Stütze im Chaos zu sein, ist der Kulturbetrieb von der Mehrheitsgesellschaft entfremdet.


Wir befinden uns mitten in Chaostagen, die sich eigentlich längst zu Chaosjahren ohne echte Hoffnung auf Besserung ausgewachsen haben. Die Schlagworte des Chaos haben es in sich: Krieg, Korruption, Kontrollversagen, Klimakrise - viermal K. In der Unterhaltungselektronik steht 4K für "Ultra High Definition" und damit für besondere Klarheit. In der Politik wurde 4K zu einem Kürzel angstbesetzter Diffusion.

In dieser Situation braucht es Stützen, die kooperativ die Last der Aufarbeitung tragen. Der Journalismus benötigt Verbündete, die zur Einordnung und kritischen Reflexion beitragen. Die Zivilgesellschaft dürstet nach integrativen Erlebnissen, und junge Menschen sehnen sich nach Inspirationsquellen, die ihre digitale Zugewandtheit nicht verachten und kleinreden, sondern an ihre Lebenswelt andocken.

Wir hätten für all diese Aspekte eine Stütze, ja sogar eine echte Instanz: die Kunst, die sich operativ unter dem Dach des Kulturbetriebs entfaltet. Bloß, dass der Kulturbetrieb mit diesem sinnstiftenden Geschenk nichts anzufangen weiß. Seine Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft basiert auf drei zentralen Punkten:

Erstens gebärt das "Kunst muss gar nichts"-Postulat, mit dem sich der Kulturbetrieb auf einen ästhetischen Freiheitsbegriff bar jeder strategischer Einmischung zurückzieht, Institutionen, die sich eher als Intendantenspielwiesen denn als Diskursorte profilieren.

Zweitens werden durch den Bedeutungsverlust von Kultur im politischen Machtapparat kulturpolitische Ämter zum Sammelbecken für Funktionäre mit beruflichem Versorgungsbedarf, aber ohne einschlägige Fachkenntnis. Hier entsteht ein Vakuum, das sich im Fehlen langfristiger Strategien und einer Vermeidung profilierter Kulturmanager als streitbare Gegengewichte äußert.

Drittens ist das Vorgehen bei der Bestellung von Führungskräften unter dem Deckmantel des "Bundesgesetzes über Transparenz bei der Stellenbesetzung im staatsnahen Unternehmensbereich" mutlos und intransparent. Statt Transparenz hat das Gesetz eine Blackbox mit zahnlosen Findungskommissionen und gefügigen Personalberatern hervorgebracht. Das Resultat sind abgekartete Verfahren, die internationale Bewerber abschrecken.

Aufbruchsstimmung statt Resignation

Unter diesen Gesichtspunkten ist eine fatale Situation eingetreten: Der Kulturbetrieb ist kein kritisches Gegenüber, sondern eine Analogie zu den Verwerfungen des Politbetriebs. Wenn sich Österreich etwa über schamlosen Postenschacher erregt, so ist der Kulturbetrieb mittendrin. Der fliegende Wechsel von Politikern an die Spitze von Kultureinrichtungen diskreditiert das Kulturmanagement als unabhängigen Fürsprecher einer kritischen Öffentlichkeit. Geraten kommunale Unternehmen wie die Wien Energie wegen wirtschaftlicher Schieflagen und Kontrollversagen ins Fadenkreuz des Rechnungshofes, so müssen Geisterschiffe wie die Kunsthalle oder die Wien Holding als Eigentümerin eines unprofessionell gemanagten Kultur-GmbH-Portfolios mitzittern. Sie könnten die nächsten Skandalkandidaten sein. MeToo, Machtmissbrauch, strukturelle Gewalt - Kulturskandale von MAK über Burgtheater und Festspiele Erl bis Ballettakademie sind hier schockierende Fallstudien. Kein Wunder, dass Kultureinrichtungen als moralische Schutzmacht des Humanismus ausgedient haben.

Das Gebot der Stunde ist nicht Resignation, sondern eine neue Aufbruchsstimmung. Wir müssen Kulturpolitik wieder als staatstragendes Demokratiethema behandeln. Eine solche zelebriert einen Weg abseits von Ämterkorruption und affektgetriebenen Förderprogrammen. Sie positioniert sich als "Fünfte Gewalt", die zuallererst ihrem Verfassungsrang und nicht den Allüren riesiger Direktorenegos dient. Sie gießt das Thema Diversität in feste Ziel- und Leistungsvereinbarungen. Und sie macht den Akteuren des Kultursystems klar, dass es beim Thema Finanzierung nicht um einen neidvollen Verteilungskampf, sondern um einen solidarischen Vermehrungskampf geht.

Kurzum: Kulturpolitik übernimmt wieder Verantwortung. Häuser bekommen klare Profile, auf deren ästhetische Umsetzung sich Persönlichkeiten bewerben. Kulturpolitische Strategien werden nicht in als Beteiligungsprozess getarnten Parallelstrukturen, sondern an demokratisch legitimierten Orten definiert. Im Bildungssystem etabliert sich Kultur zum zweiten großen Querschnittsthema neben Digitalisierung. Diese Ochsentour ist nötig, um zum positiven Machtfaktor und nicht zum fünften K im Krisenkanon zu werden.