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Neues Virus könnte Lockdown verlängern

Von Simon Rosner

Politik

Verdachtsfälle in Tirol und Wien auf die britische Mutation - neue Teststrategie der Regierung ist noch in Verhandlung.


Der Dienstag in Österreich. Die Regierungsparteien verhandeln mit der SPÖ über mögliche Wege aus dem Lockdown. ÖVP und Grüne haben im Bundesrat keine Mehrheit, daher bedarf es, zumindest um rasch agieren zu können, einer Unterstützung der Roten. Es geht um die Frage von Zutrittstests. Der Sukkus dieses Plans: Wenn es zu Öffnungen im Handel, in der Kultur und der Gastronomie kommt, sollen die dadurch erzeugten Kontakte möglichst risikoarm sein. Wer gerade negativ getestet wurde, ist zwar nicht garantiert coronavirusfrei, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion ist jedoch deutlich reduziert. Die Hoffnung ist, dass diese Reduktion insgesamt ausreichend ist, um mehr Kontakte im öffentlichen Raum zulassen zu können, ohne die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu verlieren.

Doch während die Gespräche noch liefen, drehte sich die Pandemiewelt wieder weiter, die Dynamik ist dieser Tage außergewöhnlich hoch. Erst kam aus Tirol die Meldung, dass in Jochberg bei Kitzbühel 17 Verdachtsfälle der neuen Mutation aufgetreten sind, wobei es sich vor allem um Briten handelt, die offenbar Skilehrer sind. Sie kamen bereits vor der Einreisebeschränkung am 22. Dezember nach Österreich.

Der Verdacht trat auf, weil der PCR-Test Auffälligkeiten zeigte. Es ist bisher nur ein indirekter Nachweis, der in aufwendigen Laboranalysen (Sequenzierung) noch bestätigt werden muss. Die gesamte Jochberger Bevölkerung wurde jedenfalls bereits zu vorsorglichen Tests aufgefordert - freiwillig. Eine Quarantäne über den Ort wurde, zumindest bis zum späteren Nachmittag, von der zuständigen Bezirksbehörde nicht kundgemacht.

Die neue Variante (B.1.1.7.) war bereits zuvor in Österreich nachgewiesen worden, ebenfalls bei Personen, die direkt aus Großbritannien eingereist waren. Diesmal aber nicht nur bei einzelnen Personen, die am Flughafen getestet wurden, sondern bei gleich bei mehr als einem Dutzend.

Und nur wenige Stunden später kam eine weitere Meldung, die den heimischen Corona-Himmel noch etwas dunkler färbte. In einem Wiener Pflegeheim gibt es gleich 63 Verdachtsfälle, davon 42 bei den Bewohnerinnen und Bewohnern. Auch hier wird es noch einige Tage bis zur Bestätigung brauchen, doch es ist anzunehmen, dass sie positiv ausfallen wird. Was die Meldung besonders unangenehm macht: Der Ausbruch in dem privaten Heim passierte trotz eines recht intensiven Corona-Monitorings. Aufgrund der Cluster-Größe in nur sehr kurzer Zeit dachte man sofort an den neuen Erreger und bat die Gesundheitsagentur Ages um genaue Nachschau. Der Vortest schlug dann an, nun wird sequenziert. Immerhin sind die infizierten Bewohner nur mild erkrankt oder gar asymptomatisch, wie der Träger berichtet.

Der Lockdown nützt sich ab

Aufgrund bisheriger Evidenz ist sehr wahrscheinlich, dass die Variante deutlich infektiöser ist. Daher war zu erwarten, dass sich das neue Virus überall in Europa verbreiten wird - auch in Österreich. Noch zeigt es sich nicht in den Fallzahlen. Der Sieben-Tages-Durchschnitt der Neuinfektionen neigte sich am Dienstag sogar wieder Richtung 2.000, offenbarte wieder leicht abnehmende Tendenz. Doch das kann eben auch die Ruhe vor dem exponentiellen Anstieg sein.

Die höhere Infektiosität bedeutet, dass bei einer unveränderten Zahl von Kontakten in der Bevölkerung dennoch eine höhere Inzidenz die Folge wäre. Die Rahmenbedingungen sind also denkbar ungünstig, um über einen Abbau der Kontaktbeschränkungen zu verhandeln, den sich die Regierung ab 24. Jänner vorgenommen hat. Der Zeitplan ist angesichts der nun verstärkt auftretenden Mutationen sehr unsicher, da die derzeitigen Fallzahlen noch deutlich über dem Zielwert liegen. Wie hoch dieser aber genau ist, bei wie vielen Infektionen pro Tag die ersten Öffnungsschritte gesetzt werden, hat die Regierung nicht klar kommuniziert.

Ein Problem des Lockdowns besteht darin, dass er sich auf Dauer abnützt. Das zeigen auch die Bewegungsdaten, wie der Komplexitätsforscher Peter Klimek sagt: "Sie steigen eigentlich nach wenigen Tagen." Bisher sind die Kontaktbeschränkungen stets in Situationen hoher Infektionszahlen verhängt worden. Wenn diese dann wieder fallen, sinkt offenbar ein wenig die Disziplin, gleichzeitig steigt irgendwann die Notwendigkeit von Sozialkontakten. Das führt zu einem Dilemma. Je länger der Lockdown dauert, desto weniger wirkt er. Wenn die Fallzahlen aber zu hoch sind, kann nicht geöffnet werden. Das Infektionsgeschehen ist in Österreich zwar stabil, aber noch dürfte die Mutation eben nicht so weit verbreitet sein. "Es ist eine Riesenherausforderung", sagt Klimek. Wirkt der Lockdown nicht mehr "verlieren wir das letzte Kontrollmittel, das verlässlich funktioniert".

Verhandlungen um die Teststrategie für Zeit danach

Immerhin zeigt sich aber in jenen europäischen Ländern, vor allem in Irland und Großbritannien, die mit dramatischen Anstiegen in den vergangenen Wochen konfrontiert waren, dass sich eine erste, kleine Trendwende abzeichnet. Das könnte bedeuten, dass solche Lockdowns, die Kontakte ja nicht gänzlich verunmöglichen, sondern nur deutlich reduzieren, eine Waffe in der Pandemiebekämpfung bleiben. Das war keineswegs sicher und hängt von der Mitwirkung und der Disziplin der Bevölkerung ab. Beides ist ausgeprägter, wenn die Zahlen steigen.

Die Frage ist, ob eine Öffnung mit einem begleitenden Dauer-Testen dennoch möglich ist. Zu bedenken ist, dass Treffen in einem Lokal, wenn alle getestet sind, womöglich sicherer sind als die in der Realität eben doch stattfindenden Treffen in privaten Räumlichkeiten, ungetestet, während eines Lockdowns. "Die Tests sind eine der wenigen Möglichkeiten, die uns bleiben", sagt Klimek.

Wie genau die Teststrategie aussehen könnte, muss von der Regierung noch konkretisiert werden. ÖVP und Grüne wollen auch die Neos ins Boot holen. Noch sind viele Fragen offen, etwa wie aktuell das Testergebnis sein muss, wie es kontrolliert werden kann und von wem und in welchen Bereichen solche Zutrittstests überhaupt verlangt werden sollen. Für die Ausarbeitung der Details, so scheint es, hat man seit Dienstag etwas mehr Zeit bekommen. Angesichts der Entwicklungen steht das Ende des Lockdowns nicht unmittelbar bevor.