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Türkiser Blick auf Aufstieg und Ende des Sebastian Kurz

Von Walter Hämmerle

Politik
© WZ

Im "Österreichischen Jahrbuch für Politik 2021" dominiert die Trauerarbeit. Nicht nur das macht das Buch auch für Nicht-ÖVPler interessant.


Die Pandemie, so heißt es im Vorwort der Herausgeber, und der "Abschuss" von Bundeskanzler Sebastian Kurz: Das sind die beiden Zentralthemen des "Österreichischen Jahrbuchs für Politik", das von der Parteiakademie der ÖVP verantwortet und am Freitag in Wien präsentiert wurde. Die Begriffswahl macht deutlich, dass beim Rückblick auf das zentrale innenpolitische Ereignis, der Rücktritt von Kanzler Kurz, keine nüchtern neutrale Perspektive dominiert.

Interessant ist deren Lektüre aber gerade auch für Nicht-
ÖVPler, weil sie im Grunde genommen die erste konzentrierte Aufarbeitung der Ära Kurz durch mehr oder weniger enge Wegbegleiter und Unterstützer darstellt. Vor allem Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der auch als einer der Herausgeber fungiert, unternimmt in seinem umfangreichen 88-seitigen Beitrag, der als "Leitartikel" ausgewiesen ist, den Versuch, der außerhalb der ÖVP wenig schmeichelhaften Erzählung ein anderes, positives Narrativ von Persönlichkeit, Aufstieg und Kanzlerschaft von Kurz entgegenzusetzen. Die These, dass Kurz zum Opfer einer vereinten Opposition von SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos, gewisser Medien und Teilen der Justiz geworden ist, zieht sich auch durch die Texte weiterer Autoren.

Viele Tränen um Kurz,kaum Analyse zu Nehammer

Bei diesem "Projekt" wird auch den jüngsten Untersuchungsausschüssen gegen die ÖVP eine tragende Rolle zugeschrieben. Ex-Nationalratspräsident und Verfassungsrechtler Andreas Khol plädiert hier für eine Reform des parlamentarischen Instruments, das sich aus Sicht der ÖVP zu einem parteipolitischen "Tribunal" gewandelt habe, etwa indem künftig statt des Nationalratspräsidenten ein ehemaliger Richter den Vorsitz führe.

Kaum Platz erhält dagegen die Frage, wie sich die ÖVP unter Bundeskanzler Karl Nehammer, der Mitte Mai auch zum ÖVP-Obmann gewählt wird, neu aufstellen wird, soll oder kann, um die Stellung der ÖVP als stärkste Kraft im Land zu verteidigen.

Auch abseits dieses dominanten Themas finden sich im Jahrbuch zahlreiche erhellende, zum Teil auch pointierte Analysen, darunter der Beitrag zur deutschen Bundestagswahl des Politikberaters Karl Jurka, zugespitzte Zustandsbeschreibungen der heimischen Parteien, darunter von der ehemaligen Journalisten Antonia Gössinger und dem Historiker Lothar Höbelt zur FPÖ, der Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle und dem Medienberater Peter Pelinka zur SPÖ, dem Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier zu den Grünen sowie von der Historikern Barbara Stelzl-Marx zum überraschenden Wahlsieg der KPÖ in Graz. Ein weiterer Schwerpunkt ist dem Thema Prognosen gewidmet, ihrer Fehleranfälligkeit und Folgewirkungen.

Khol geißelt "parasitäre Sicherheitspolitik"

Bei der Präsentation des Jahresrückblicks in Buchform spielte dann auch die unmittelbare Gegenwart eine prominente Rolle. In deutlichen Worten machte etwa Khol den Zivilisationsbruch deutlich, den der Krieg Russlands gegen die Ukraine für die politische Ordnung Europas und der ganzen Welt bedeute.

Österreich müsse sich, so formulierte es Khol, klar sein, ob man sich eine Fortsetzung der bisherigen "parasitären" Sicherheits- und Verteidigungspolitik des Landes, die im Kern darauf vertraue, dass andere für die eigene Sicherheit schon sorgten, leisten könne und wolle. Der ehemalige ÖVP-Klubobmann- und Nationalratspräsident hatte bei Ausbruch des Krieges eine Debatte über das Ende der Neutralität und einen Beitritt Österreichs zur Nato ausgelöst.

International liege die gesamte nach 1945 aufgebaute Friedensordnung in Trümmern, sollte sich Russlands Präsident Wladimir Putin mit seiner militärischen Logik durchsetzen. Die Folge wäre, so Khol, ein Wettlauf insbesondere kleinerer und mittlerer Staaten, um Nuklearwaffen zu erwerben, weil nur diese unter solchen Bedingungen eine Chance auf Sicherheit biete. Diese Fragen werden unweigerlich das zentrale Thema des nächsten Jahrbuchs für Politik bilden.

Österreichisches Jahrbuch für Politik 2021, hg von Andreas Khol, Stefan Karner, Wolfgang Sobotka, Bettina Rausch, Günther Ofner, 656 Seiten. Böhlau Verlag Wien - Köln.