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Aufwind für den Außenseiter

Von Daniel Bischof

Politik

Herbert Kickl stellt sich am Wochenende der Wiederwahl zum FPÖ-Parteichef. Wie steht es um die Blauen? Eine Analyse.


Kurz sah es so aus, als könnte es für FPÖ-Chef Herbert Kickl ungemütlich werden. Im August wurde bekannt, dass der FPÖ-Funktionär Hans-Jörg Jenewein eine Anzeige gegen die Wiener Landespartei verfasst haben soll. Es wurde spekuliert, inwiefern Kickl in die mögliche Intrige involviert ist. Denn Jenewein gilt als sein Vertrauter und Kickls Verhältnis zur Wiener FPÖ soll nicht das allerengste sein. Die Parteispitzen riefen Mitte August eigens ein Präsidium ein, um die Causa zu besprechen.

Einen Monat später sieht die FPÖ-Welt wieder anders aus. Die Aufregung um die Anzeige ist verflogen. Thematisch verleihen das Migrationsthema und die Russland-Sanktionen der Partei Aufwind. Wöchentlich flattern Umfragen ein, die für die Blauen erfreulich sind. In Salzburg, Niederösterreich und Tirol werden der FPÖ teils kräftige Zugewinne prognostiziert. In Oberösterreich (Umfrage des Unique-Research-Instituts für die "Kronen Zeitung", 800 Befragte, maximale Schwankungsbreite 3,5 Prozent) liegt sie mit 29 Prozent vor der ÖVP, die auf 28 Prozent kommt.

Färbt das innerparteilich auf Kickl ab - oder gibt es doch noch Nachwehen in der Causa Jenewein? Das zeigt sich am Samstag beim Bundesparteitag der Freiheitlichen in St. Pölten. Dort stellt sich Kickl erstmals seiner Wiederwahl als Parteichef. Beim Parteitag im Juni 2021 erreichte er 88,24 Prozent, damals löste er Norbert Hofer ab, der die FPÖ seit September 2019 geleitet hatte.

Brachialer Oppositionskurs

Die Führungsrolle in der Partei hatte Kickl schon davor übernommen. In der Pandemie schwor Kickl als Klubobmann die FPÖ auf einen brachialen Oppositionskurs gegen die Corona-Maßnahmen ein, während Hofer die Kritik zurückhaltender äußerte. Der Richtungsstreit entzündete sich im April 2021 an der Maskenpflicht im Nationalrat. Kickl weigerte sich, eine Maske zu tragen, wofür ihn Hofer kritisierte. Hofer verlor die Konfrontation, die FPÖ stand hinter Kickl. Der Klubobmann stichelte öffentlich noch ein wenig gegen Hofer, im Juni trat dieser als FPÖ-Chef zurück.

Kickl fuhr seinen rhetorisch harten Anti-Maßnahmenkurs weiter. Mit Corona hatte die FPÖ wieder ein Leitthema gefunden, nachdem die ÖVP unter Sebastian Kurz (ÖVP) beim Migrationsthema und teils bei der EU-Skepsis erfolgreich im FPÖ-Reservoir gewildert hatte. "Die FPÖ musste daher eine neue Nische finden, in der sie eine eigene Position etablieren kann. Und die ist nun eben Corona", erklärte der Politologe Kurt Richard Luther in der "Wiener Zeitung".

Die Bundes-FPÖ hält sich seither in Umfragen konstant bei 20 bis 23 Prozent. Das kann einerseits als deutlicher Erfolg gesehen werden: Bei der Nationalratswahl 2019 war sie auf 16,2 Prozent abgestürzt. Andererseits ist sie noch ein Stück von Hochzeiten wie unter Jörg Haider und Heinz-Christian Strache entfernt.

Kurz habe damals viele frühere FPÖ-Wähler zur ÖVP gezogen, sagt das freiheitliche Urgestein Andreas Mölzer zur "Wiener Zeitung". Es sei auffallend, dass die ÖVP seit dem Rückzug von Kurz zwar dramatisch Wähler verloren habe, die FPÖ aber nicht im gleichen Ausmaß Wähler gewonnen habe. Woran das liege, "darüber müssen sich die FPÖ-Strategen den Kopf zerbrechen", so Mölzer.

Die Ausgangslage, um weiter zuzulegen, ist für die FPÖ jedenfalls gut. Die in den Hintergrund geratene Corona-Politik schwächt derzeit zwar den Protest gegen die Maßnahmen ab. Doch wird das hier rückläufige Mobilisierungspotenzial durch andere Themen wieder ausgeglichen.

Russland-Sanktionen und Ausländerthema

Als einzige Parlamentspartei stellt sich die FPÖ gegen die Russland-Sanktionen. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges war mit dieser Haltung nicht viel zu gewinnen. Die politische und gesellschaftliche Solidarität mit der Ukraine war enorm, die FPÖ-Position drang kaum durch.

Mit den steigenden Energiepreisen und dem fortlaufenden Krieg änderte sich das. 26 Prozent sprachen sich im August im "APA/ATV-Österreich Trend" (1.615 Befragte, maximale Schwankungsbreite 2,4 Prozent) für eine Rücknahme der Sanktionen aus, zwölf Prozent waren für eine Lockerung. Zudem zeigten sich Bruchstellen im politischen Konsens zu den Sanktionen, als Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) im August die Überprüfung der Strafmaßnahmen in den Raum stellte. Sollte sich die Energiekrise verschärfen, stärkt das die FPÖ-Position.

Einen Anschub erhält die FPÖ auch durch das Migrationsthema. Die Dominanz, die es während der Krise in den Jahren 2015 und 2016 entfaltete, hat es zwar nicht. Doch nachdem es bereits im Frühsommer allmählich wieder auftauchte, so brodelt es nun wieder hoch. Das liegt einerseits an den steigenden Asylzahlen: Von Jänner bis Juni 2022 haben 31.050 Menschen in Österreich einen Asylantrag gestellt. Andererseits schieben auch die anderen Parteien das Asylthema auf der Prioritätenliste nach oben.

Als "mehr als dramatisch" bezeichnete Burgenlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) die Asylsituation. Die ÖVP zerfleischte sich zuletzt im Streit um den Klimabonus für Asylwerber und beim konfliktträchtigen Abgang der Generalsekretärin Laura Sachslehner selbst. Dabei hat die ÖVP seit dem Abgang von Kurz ohnehin an Boden verloren: Kanzler Karl Nehammer verkörpert die Anti-Migrationslinie längst nicht so stark wie sein Vorgänger.

Steigende Asylanträge und Energiepreise, Inflation, Russland-Sanktionen, Unzufriedenheit mit der Regierung und eine sich möglicherweise wieder verschärfende Corona-Situation: Kickl versucht bereits, die einzelnen Themen zugunsten der FPÖ zu kombinieren. So etwa am Mittwoch, als er bei einer Pressekonferenz zur Bundespräsidentenwahl rund um die Corona-Maßnahmen ausführte: Die Bevölkerung habe nicht vergessen, "dass man als Gesunder eingesperrt worden ist unter der Duldung des Herrn Van der Bellen, aber jeder Asylwerber in diesem Land frei herumrennen darf".

Die Frontalopposition könnte die FPÖ aber auch belasten - nämlich dann, wenn sie mitregieren will. Der harte Kurs macht das Ziel der Regierungsbeteiligung schwieriger erreichbar. Er habe während seiner langen Erfahrung in der Politik gelernt, dass "persönliche Verletzungen" vermieden werden sollten, sagt Mölzer.

Die Angriffe und harsche Rhetorik Kickls hinterlassen wohl nicht nur bei anderen Parteien verbrannte Erde. Auch im Hinblick auf das Verhältnis der FPÖ zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird es nicht hilfreich sein, wenn Kickl ihm vorwirft, dieser habe sich bei der Corona-Politik "in die Reihen der Folterknechte" eingegliedert. Ganz lustig werde es für Van der Bellen wohl nicht sein, wenn er Kickl wieder angeloben müsse, sagt Mölzer.

Strategisches Dilemma des Kickl-Kurses

Langfristig sieht Mölzer für die FPÖ ein "strategisches Dilemma". Einerseits sei es notwendig, einen scharfen Oppositionskurs zu fahren, anderseits werde die Partei dadurch zu einem Außenseiter. Es stimme schon, dass nach einer Wahl plötzlich neue Koalitionsvarianten mit FPÖ-Beteiligung möglich sein könnten. Derzeit schaue es aber schon so aus, als gebe es niemanden, der im Bund mit der FPÖ könne. Kickl würden auch die Querverbinder fehlen, die den Draht zwischen der FPÖ und den anderen Parteien aufrechthalten. Diese habe es noch unter Jörg Haider und Heinz-Christian Strache gegeben.

Ergebnis sei, dass es nach einer Nationalratswahl wohl zu einer Neuauflage der großen Koalition oder einer Linksregierung kommen werde, sagt Mölzer. "Die Rachegelüste" Kickls und der FPÖ gegenüber der ÖVP und den scharfen Kurs gegen die Volkspartei etwa im U-Ausschuss verstehe er. Strategisch halte er das aber für problematisch, denn eine Mehrheit rechts der Mitte werde dadurch schwierig erreichbar: "Damit mache ich das Tor nach links auf."

Für den Parteitag erwarte er nun aber ein gutes Ergebnis für Kickl, sagt Mölzer: In der Partei sei die Stimmung freundlich, die Causa Jenewein sei schnell wieder abgeflaut. Einen Dämpfer könnte Kickl aber erleiden, wenn FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz bei der Hofburgwahl nur mäßig abschneidet. Kickl hielt die Zügel im Auswahlprozess für den Hofburg-Kandidaten bei sich. So wurde auch Rosenkranz maßgeblich von ihm forciert, was so manchen Freiheitlichen überraschte.

Natürlich werde Rosenkranz nicht an die Ergebnisse von Norbert Hofer herankommen, angesichts der starken Konkurrenz von rechts werde es keine Debatten geben, wenn Rosenkranz kein überragendes Ergebnis erziele. Wenn Rosenkranz aber sehr schlecht abschneide, könnte intern schon diskutiert werden, wie es dazu kommen konnte, sagt Mölzer.