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Damit "domates" Paradeiser sind

Von Stefan Beig

Politik
Wir lernen österreichisches Deutsch: "Bub" nicht "Junge". Foto: st. beig

Erstes Buch für Austro-Türken zum Erlernen des österreichischen Deutsch. | Kilic: "Wir wollen die österreichische Kultur an die Kinder weitergeben." | Wien. Wer in Österreich auf dem Sessel hockt, sitzt in Deutschland auf dem Stuhl. Ist er dann noch schlecht beinander, so befindet er sich laut Deutschen in gesundheitlich schlechter Verfassung. Vielleicht hat er ja zu viel Pfannkuchen - sprich: Palatschinken auf "Österreichisch" - gegessen. Übersetzer für österreichisches und deutsches Deutsch gibt es nicht. Heimische Autoren berichten aber von Streitereien mit deutschen Buchverlagen, ob ihre Protagonisten nun Marillen oder Aprikosen essen und zum Kaffee Schlagobers oder Sahne nehmen.


Das erste Wörterbuch für österreichisches Deutsch und Türkisch brachte im Dezember der austro-türkische Verleger Birol Kilic heraus. "Wir sind österreichische Staatsbürger und wollen, dass die Austro-Türken die österreichische Kultur an ihre Kinder weitergeben", betont Kilic. Auch im deutschsprachigen Fernsehen sei schließlich das deutsche Deutsch dominant. Darüber hinaus sei das Buch eine Antwort auf den deutschen Skandal-Autor Thilo Sarrazin ("Deutschland schafft sich ab"), der jüngst in einem "Profil"-Interview erklärte: "Die Österreicher sind eine Abspaltung vom deutschen Volk."

Im neuen Bildwörterbuch, das sich vorrangig an Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren richtet, gibt es keine Backwaren, sondern nur Gebäck - dem türkischen "ekmek" ist es gar nicht unähnlich. Erdäpfel statt Kartoffel, Schwammerl statt Pilze oder Paradeiser statt Tomaten werden den Kindern hier beigebracht. "Das Buch sollte zu Hause auf dem Schreib- oder Esstisch liegen. Ich will, dass die Eltern Lust und Laune kriegen, mit den Kindern Deutsch zu lernen", meint Kilic. "Das Buch ist wichtig für die Motivation beim Lernen. Die türkischen Gemeinschaften wollen auch selber Deutsch lernen und können nicht alles einfach vom Staat erwarten."

Gedruckt wurde der Band zu Weihnachten. "Da ist gerade eine schöne Atmosphäre, auch für Menschen aus der Türkei. Es war ein passendes Geschenk für unsere Kinder." Kilic schätzt, dass von etwa 250.000 Türkei-stämmigen Personen in Österreich mindestens 150.000 ausreichend Deutsch können. "100.000 sind in Abstufungen der deutschen Sprache nicht so mächtig. Die ältere Generation dieser 100.000 kann zum Beispiel im Alltag Deutsch verstehen, aber nicht reden." Die Unterschied bei den Deutschkenntnissen führt er auf soziales Umfeld und Bildungsursprung zurück: "Ein ungebildeter Österreicher redet auch nicht gut Deutsch."

Älteste türkische Zeitschrift

Kilic bringt "Yeni Vatan" und "Einspruch" heraus. Foto: türkische gemeinde

Klic ist seit zwölf Jahren Herausgeber der von ihm gegründeten Monatszeitschrift "Yeni Vatan Gazetesi" (deutsch: "Neue Heimat Zeitung"), die als einzige der mehr als 20 in Österreich erscheinenden türkischsprachigen Zeitschriften über einen so langen Zeitraum regelmäßig erscheint. "Wir unterstützen alle Projekte, die für die Integration nützlich sind." Die Blattlinie sei liberal, kritisch und sehr säkular und würde die Demokratie hochhalten. "Unsere Leser sind aufgeklärte, moderne und liberale Österreicher muslimischen Glaubens."

Leider gebe es viele gut ausgebildete Austro-Türken, die wegen der jetzigen negativen Atmosphäre wieder in die Türkei reisen. "Die politische und mediale Diskussion in Österreich kränkt diese Leute. Man spürt im Alltag, wenn man als Türke schlechtgemacht wird. Es passiert, dass Arbeitgeber teils auch unabsichtlich Austro-Türken diskriminieren."

Das Zusammenleben würde besser werden, wenn die Religion nicht politisiert wird. Die türkische Gemeinde müsse auch mit sich selber kritisch umgehen. "Es fehlt unter den Austro-Türken noch die von den Parteien unabhängige, mutige und kritische intellektuelle Oberschicht. Heutzutage ist jeder, der Deutsch spricht, Ethnomarketing-Spezialist, Islam- oder Terrorexperte. So geht’s nicht."

Seit einem Jahr erscheint "Yeni Vatan" gemeinsam mit der deutschsprachigen Zeitschrift "Einspruch". "Mit Einspruch wollen wir uns höflich aber kritisch in die österreichische Demokratie einbringen. Kritik an der Korruption spielt da etwa eine Rolle. Unsere Slogan ist: Ohne Einspruch keine Anspruch. Auch Österreicher lesen uns."

Zur Meinungsvielfalt trage sein Blatt vor allem wegen seiner Unabhängigkeit bei. "Das Geld bekommen wir nur über Inserate und kriegen keine Fördergelder, weder von Stadt Wien, noch vom Bund." Auch von allen türkischen Parteien oder staatsnahen Organisationen sei man unabhängig. Und: "Wir sind kein verlängerter Arm von irgendeinem Verein."