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"Freu mich für die Christen"

Von Stefan Beig

Politik

Auch in mehrheitlich muslimischen Schulen wird gefeiert. | Wehmut und Freude empfinden manche. | Wien. "Wir sagen euch an den lieben Advent", heißt ein bekanntes Weihnachtslied. Yarem, Rahim, Ahmed und Daniel singen es leidenschaftlich gerne. Sie kennen es vom Adventsingen in ihrer Volksschule. Dabei lautet der Refrain: "Freut euch, ihr Christen! Freuet euch sehr. Schon ist nahe der Herr." Alle vier Schüler sind Muslime.


"Ich freue mich für die Christen", meint der zehnjährige Rahim. Er stammt aus einer albanische Familie. "Für mich ist Weihnachten auch schön. Es bedeutet Friede. Zum Nikolaus habe ich Schokolade und eine Kamera bekommen. Besonders gerne bin ich am Christkindlmarkt."

Nicht alle feiern Weihnachten zu Hause. Aber in der Schule erlebt jeder die Adventzeit mit: "Das Basteln, Adventkranzbinden und Singen ist besonders schön", betont Ahmed aus Saudi-Arabien. Die türkeistämmige Yarem denkt an das Kekse-Backen und Rodeln. "Weihnachten bedeutet, dass die Leute zueinander nett sind", hat Daniel aus Ägypten von seinem Vater erfahren.

Die vier Kinder gehen in eine Schule mit mehrheitlich christlichen Schülern - andernorts ist das nicht mehr so: "Der kleinste Prozentsatz unserer Schüler ist katholisch, dann kommt eine größere Gruppe ohne Bekenntnis, danach die serbisch-orthodoxen Schüler. Etwa 50 Prozent der Kinder sind islamisch", berichtet Eva Karl, Direktorin der Volksschule Ortnergasse im 15. Wiener Gemeindebezirk. Das Wissen der Lehrer über alle Religionen sei besonders wichtig: "Den Kindern werden die anderen Religionen im Unterricht erklärt. Wegen der wechselseitigen Akzeptanz haben wir ein relativ gutes Gesprächsklima."

Auch hier ist Weihnachten präsent: "Bei uns ist es vor allem eine gemütliche Zeit", erzählt Karl. Weihnachtsgeschichten werden erzählt und Kekse gebacken. Zum Stiegensingen am 23. Dezember gehören neben Weihnachtsliedern auch türkische und serbische Gedichte. Über das Christkind wird nur gesprochen, wenn es ausdrücklich gewünscht wird. Dass die praktizierenden Muslime ihren Kindern großteils gestatten, Weihnachten mitzufeiern, liegt auch daran, dass hier alle religiösen Festtage gefeiert werden. "Manchen Eltern ist es auch egal; viele haben Weihnachtsbäume", sagt Karl. Zwei bis drei von 220 Kindern wollen aber nicht bei den Weihnachtsfeiern dabei sein.

Weihnachten bleibt später lebhaft in Erinnerung

Erwachsene Austro-Türken haben die Adventzeit ihrer Kindheit noch in lebhafter Erinnerung. "In meinem Kopf und meinem Bauch bleibt ein Gefühl von Glück und Freude", denkt Birol Kilic, Herausgeber der türkischen Monatszeitung "Yeni Vatan" ("Neue Heimat"), zurück. Mit sechs Jahren kam er mit seinen Eltern nach Deutschland. "Zu Hause habe ich Geschenke gekriegt." Seine Familie wollte, dass er sich mit den anderen mitfreut. Die Bedeutung sei mehr kulturell als religiös gewesen. Doch die Kultur war für Kilic, der Alevit ist, nichts Fremdes: "Auch in Istanbul gab es damals viele Christen."

Als "unglaublich anrührend" hat der kurdisch-türkische Integrationsforscher Kenan Güngör die Weihnachten in Erinnerung. Wie Kilic kommt er aus alevitischer Familie und verbrachte seine Kindheit in Deutschland. Weihnachten wurde daheim nicht gefeiert, weil es nicht üblich war, obwohl seine Eltern keine Vorbehalte hatten. Güngör lebte damals im türkischen Stadtteil von Köln. "Alle Kinder hatten Sehnsucht nach Weihnachten. Ich habe Weihnachten immer sehr geschätzt, war aber traurig, dass wir so etwas nicht hatten. Von damals rührt meine Sympathie für ein offenes Christentum." Religiöse Debatten habe es nicht gegeben. Die seien typisch für jüngere Generationen von Muslimen, die sich den Islam mehr aus Büchern als über die Lebenswelt ihrer Eltern aneignen. "Damals schien viel vereinbar. Es gab ein alltägliches Nebeneinander. Eine schriftliche, reflexive Aneignung von Religion tendiert mehr zu Abgrenzung. Damals war das bei den Muslimen überhaupt nicht spürbar."

"Der berühmte Santa Klaus stammt aus Anatolien", berichtet Birol Kilic in der jüngsten Ausgabe seiner Zeitschrift. Das ist auch Reinhilde Feitl, Direktorin der Volksschule in der Jagdgasse in Wien-Favoriten, schon aufgefallen: "Zu uns kommt jedes Jahr der Pastoralassistent als Nikolaus und gibt jedem Kind ein Säckchen. Gerade die türkischen Kinder freuen sich sehr. Seine Gestalt hat viel Verbindendes."