)
072 - Der Nazi-Opa und der Kaplan
Der eine hatte sein KZ-Gewand jahrelang aufgehoben, der andere war überzeugter Nazi: WZ-Redakteur Michael Schmölzer erzählt über seine Verwandten im Zweiten Weltkrieg.
Auf einer anderen Plattform anhören:
Im November 1944 hätten der Großvater von WZ-Redakteur Michael Schmölzers Frau und sein eigener Großvater einander begegnen können: Ersterer stand damals als Häftling an der Rampe des Konzentrationslagers (KZ) in Auschwitz in Polen, wurde aber weitergeleitet, weil es voll war. Zweiterer befand sich zur selben Zeit bei der Fliegerabwehrkanone in der Nähe von Auschwitz – Ersterer kämpfte für den Widerstand und Zweiterer war ein überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde.
In dieser Folge des WZ-Podcasts „Weiter gedacht“ erzählt Schmölzer im Gespräch mit Host Petra Tempfer, wie der Großvater seiner Frau Zuzana, der slowakische Kaplan und Partisan Ondrej Simek, zwei Konzentrationslager und einen Todesmarsch überlebt hat. Eine ganz besondere Rolle in seinem Leben spielten auch ein geschenkter Löffel und das Häftlingsgewand, das er im KZ in Auschwitz getragen und jahrelang aufbewahrt hatte.
Hans Schmölzer, der Großvater des WZ-Redakteurs, war indes schon vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 ein überzeugter Nazi und bei der NSDAP. Später hat er diesen Umstand zwar weitgehend ausradiert, blieb jedoch letztendlich seiner Gesinnung treu – und wies bis zu seinem Tod jegliche Mitschuld an den Taten im Nazi-Regime von sich.
Diese Folge ist die erste des Podcast-Schwerpunkts von „Weiter gedacht“ zum Zweiten Weltkrieg, der am 8. Mai 1945 in Europa zu Ende gegangen ist. Insgesamt wird es fünf Folgen zu diesem Thema geben. Parallel dazu geht die WZ auch in Texten und Videos totgeschwiegenen Familiengeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus nach, um sie ans Licht zu bringen.
Produziert von „hört hört!“.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Die WZ hat es sich zur Aufgabe gemacht, totgeschwiegenen Familiengeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus nachzugehen und sie zu veröffentlichen. Meistens handelt es sich bei unseren Groß- und Urgroßeltern um Täter:innen, die das NS-Regime durch Wegschauen, Mitlaufen oder aktiv unterstützt haben.
So ist es auch bei der Familie des WZ-Redakteurs Michael Schmölzer, wo es mütterlicherseits überzeugte Nationalsozialist:innen gegeben hat. In der angeheirateten Familie des Autors findet sich allerdings der slowakische Widerstandskämpfer Ondrej Simek. Nachdem Schmölzer seinen Umgang mit diesem Erbe in Textform veröffentlicht hatte, lud ihn WZ-Redakteurin Petra Tempfer ins Podcast-Studio, um damit ihr ihm beim Erzählen auch zuhören könnt.
Daten und Fakten
Das Buch „Die Befreiung Wiens“ von WZ-Redakteur Michael Schmölzer ist im Jahr 2020 im Verlag Theodor Kramer Gesellschaft erschienen. Es hat 131 Seiten (ISBN 978-3-901602-86-3).
Der slowakische Nationalaufstand richtete sich gegen die ab dem 29. August 1944 beginnende Okkupation der Slowakei durch die deutsche Wehrmacht und gegen das slowakische Kollaborationsregime unter Jozef Tiso. E war neben dem Warschauer Aufstand einer der größten Aufstände im NS-Hegemoniebereich. Der Aufstand wurde nach 60 Tagen niedergeschlagen, und die Aufständischen gingen vom offenen zum reinen Partisanenkampf über.
Das KZ Auschwitz war der größte deutsche Komplex aus Gefangenenlagern zur Zeit des Nationalsozialismus. Es hatte die Doppelfunktion als Konzentrations- und Vernichtungslager. Etwa 90 Prozent der Gefangenen waren Juden und Jüdinnen, die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen.
Das KZ Sachsenhausen befand sich in der Stadt Oranienburg nördlich von Berlin. Insgesamt wurden etwa 200.000 Häftlinge dorthin deportiert. Tausende sowjetische Kriegsgefangene wurden dort hingerichtet, zehntausende Häftlinge kamen in Sachsenhausen um.
Das KZ Ravensbrück war das größte Konzentrationslager für Frauen im sogenannten Altreich, es waren aber auch rund 20.000 Männer hier interniert. Das KZ wurde im April 1945 von der Roten Armee befreit, seit 1959 ist dort eine Mahn- und Gedenkstätte.
Das Volksgericht, das 1945 zur Verfolgung von Nazi-Verbrechen gegründet wurde, hat 1948 ein Verfahren gegen meinen Großvater eingestellt. Es ging um die Strafanzeige im Namen des jüdischen und sozialdemokratischen Steyrer Rechtsanwalts Rudolf Schneeweiß, der ihm missbräuchliche Bereicherung, also Arisierung, vorwarf. Schneeweiß war nach dem Anschluss 1938 vertrieben worden und kehrte nach 1945 kurzzeitig nach Österreich zurück. Mein Großvater war 1938 von der NS-Rechtsanwaltskammer zum Stellvertreter von Schneeweiß bestellt worden.
Hans Schmölzer gibt seine NSDAP-Mitgliedsnummer in seinem Tagebuch mit 900.749 an. Sein Beitritt zur Partei erfolgte demnach am 1. April 1932.
Juliputsch 1934: Am 25. Juli überfielen SS-Männer, die als Soldaten des Bundesheers und als Polizisten verkleidet waren, das Bundeskanzleramt in Wien. Dollfuß wurde von zwei Schüssen getroffen und starb. In der Folge kam es zu mehrtägigen Kämpfen in Teilen Kärntens, der Steiermark, Oberösterreichs und Salzburgs. Planung und Ablauf waren chaotisch, sodass der Putsch scheiterte. Es gab mehr als 200 Tote.
Austrofaschismus: Ab Anfang März 1933 schaltete Kanzler Engelbert Dollfuß schrittweise die Demokratie in Österreich aus. KPÖ und NSDAP wurden verboten, nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 auch die Sozialdemokratie. Es folgte der sogenannte Ständestaat, ein autoritäres System, das den deutschen Nationalsozialismus abwehren sollte. Das gelang nicht, am 12. März 1938 erfolgte der sogenannte Anschluss an Deutschland, der von einer Mehrheit der Österreicher:innen begeistert begrüßt wurde.
Die Waldheim-Affäre: Hier handelt es sich um eine internationale Debatte um die vermutete Beteiligung des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim an Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg. Sie dauerte von 1986 bis 1992. Waldheim hatte seine Tätigkeiten als Offizier der Wehrmacht von 1942 bis 1944 in biografischen Angaben ausgelassen und jede Kenntnis und Beteiligung an Kriegsverbrechen bestritten. Zentral war seine Aussage, damals „nur seine Pflicht getan“ zu haben. Waldheim blieb in seiner Amtszeit international weitgehend isoliert. Die USA erließen 1987 ein privates Einreiseverbot. In der Folge wurde die bis dahin gültige These von Österreich als erstem Opfer Hitlers umgestoßen und die Täterschaft zahlloser Österreicher:innen von der offiziellen Politik eingeräumt.
Quellen
Die schriftlichen Erinnerungen von Ondrej Simek, „Takto to bolo“, auf Deutsch: „So ist es gewesen.“ Private Fotos und Erinnerungsstücke.
Wikipedia: Slowakischer Nationalaufstand
Das Thema in der WZ
Podcast: Ich habe 54 Verwandte im KZ verloren
Podcast: Brachland – Das KZ und die Millionen