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078 - „Kinder zu deradikalisieren, ist schwierig“
Islamwissenschaftler Rami Ali spricht darüber, wie radikalisierte Menschen zurück in die Gesellschaft finden können – und vor allem auch deren Kinder, die nichts anderes kennen als ein radikalisiertes Umfeld.
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Für Kinder, die in Lagern der IS-Kämpfer:innen geboren wurden, sei es besonders schwierig, „da wieder rauszukommen“, sagt der Politik- und Islamwissenschaftler Rami Ali in dieser Folge des WZ-Podcasts „Weiter gedacht“. Gleichzeitig seien sie aber auch extrem anpassungsfähig: Sobald ihr Umfeld nicht mehr toxisch ist, sie in die Schule gehen und Hobbys finden, könne es gelingen, sie zu deradikalisieren.
Die Währung bei der Distanzierung vom Islamischen Staat sei die Rückfälligkeitsquote. In Westeuropa liege diese bei durchschnittlich zehn Prozent, sagt Rami Ali zu WZ-Host Petra Tempfer, die gemeinsam mit Mathias Ziegler durch die Folge führt. Zum Vergleich: In der „Alltagskriminalität“, wie er sie nennt, betrage sie zwischen 40 und 60 Prozent.
Das Wichtigste auf dem Weg zu einer erfolgreichen Deradikalisierung seien die sozialen Kontakte. Es brauche ein stabiles Umfeld, Lebensperspektiven und vor allem Vertrauen.
Produziert von „hört hört!“.
Auflösung unserer Frage der vergangenen Folge „Feuer gelöscht – aber Rechtsstreit entfacht“ zum Abzeichen des Sonderdienstgrades der Feuerwehrjurist:innen: Das Symbol stellt eine Akanthus-Pflanze dar, die umgangssprachlich als Bärenklau bekannt ist und unter anderem für Weisheit steht. Danke an alle Hörer:innen, die sich an uns gewandt und uns weitergeholfen haben.
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Infos und Quellen
Genese
Nachdem unsere stellvertretende Chefredakteurin Aleksandra Tulej in Syrien in der Nähe des Camp Roj war, kurz bevor die inhaftierten IS-Anhängerinnen Maria G. und Evelyn T. zurück nach Österreich geholt wurden, stellte sich WZ-Redakteurin Petra Tempfer die Frage: Wie geht es nun weiter? Wie gelingt Deradikalisierung – vor allem auch der Kinder dieser Frauen?
Gesprächspartner
Rami Ali ist Politologe und Islamwissenschaftler mit besonderem Fokus auf Extremismus-, Präventions-, und Dschihadismusforschung. Er war zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig und ist nun selbstständiger Berater unter anderem für Extremismusprävention und Online-Strategien.
Daten und Fakten
- Die Salzburgerin Maria G. war 17 Jahre alt, als sie sich 2014 dem Islamischen Staat (IS) anschloss. Sie ging nach Syrien, heiratete einen IS-Kämpfer und bekam zwei Söhne. Seit 2020 war sie im Gefangenenlager für IS-Frauen im Camp Roj in Nordostsyrien, von wo sie das österreichische Außenministerium am 1. März 2025 gemeinsam mit der Wienerin Evelyn T. zurück nach Österreich holte. Evelyn T. ist in Österreich zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt worden, und Maria G. wartet noch auf ihren Prozess.
- Das Al-Hol-Camp liegt ebenfalls im Nordosten Syriens, etwa 40 Kilometer östlich von Al-Hasaka, in einem von den kurdisch dominierten Syrisch Demokratischen Kräften (SDF) kontrollierten Gebiet. Das Camp beherbergt hauptsächlich Frauen und Kinder, die als Angehörige von ehemaligen mutmaßlichen IS-Kämpfern gelten. Die Männer, die als aktive IS-Kämpfer identifiziert wurden, befinden sich in der Regel in getrennten Gefängnissen oder Haftanstalten, die ebenfalls von den SDF verwaltet werden.
- Im Jahr 2022 wurden laut Europol 380 Personen in der EU wegen terroristischer Straftaten festgenommen. Die meisten dieser Festnahmen standen im Zusammenhang mit dschihadistischem Terrorismus.
- Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist eine dschihadistische Terrororganisation, die 2014 ein selbsternanntes Kalifat in Teilen Syriens und des Iraks ausrief. Er entstand aus Al-Qaida im Irak und nutzte extreme Gewalt, um Gebiete zu kontrollieren und eine radikale Interpretation des Islam durchzusetzen. Der IS verübte Massenmorde, Anschläge auf der ganzen Welt und versklavte unzählige Menschen – diese Taten wurden als Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Durch internationale Militärinterventionen verlor er bis 2019 sein gesamtes Territorium, bleibt aber als Untergrundbewegung aktiv. Heute agiert der IS vor allem durch Schläferzellen, Online-Propaganda und Ablegergruppen in verschiedenen Regionen der Welt.
Quellen
- Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst des Innenministeriums
- Verfassungsschutzbericht 2023
- Omar Haijawi-Pirchner, Direktor der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst des Innenministeriums, im ORF-Interview vom 20. Februar 2025 über 650 beobachtete Personen in Österreich.
- European Union Terrorism Situation and Trend report 2024 (EU TE-SAT)
- International Centre for Counter Terrorism
- Kinder- und Jugendhilfe (MA 11)
- Wiener Netzwerk Demokratiekultur und Prävention (WNED)
- Bildungschancen Wien
- Extremismusprävention: kostenloses Angebot für Schulen
- Dokumentationsstelle Politischer Islam
Das Thema in der WZ
- Podcast: Meine Reise in die Ex-Zentren des IS
- Video-Doku: Inside Syrien: Der Kampf gegen den IS geht weiter.
- Zurück aus dem Kalifat: Wie gelingt Deradikalisierung?
- Selbstversuch: Unter Möchtegern-Dschihadisten und Neo-Nazis
- IS-Camps in Syrien: Die Brutstätten der Radikalisierung
- Ein Lokalaugenschein in Assads Foltergefängnis Sednaya
- Wie geht es syrischen Frauen unter der neuen Regierung?
- Syrien: Aus Todesangst wird Hoffnung
- Das Erbe des IS: die Sorgen in Syriens kurdischen Gebieten
- Warum die Lage für Syriens Frauen schlimmer werden könnte
Das Thema in anderen Medien
- salzburg.orf.at: Maria G. nach Österreich zurückgeholt
- Die Presse: Deradikalisierungs-Experte: „Unsere Sorgen bleiben von Entscheidern ungehört“