Die Grundlagen

Was es bedeutet, in der Hofburg zu residieren, und welche Veränderungen auf das Amt zukommen: Heinz Fischer im Interview. Eine Galerie aller bisheriger Bundespräsidentent der 2. Republik finden Sie am Ende des Interviews.

Der Bundespräsident ist der starke Mann in Österreich - jedenfalls auf dem Papier. Die Verfassung weist dem Staatsoberhaupt weitreichende Befugnisse zu: Er ernennt den Bundeskanzler und - auf dessen Vorschlag - die Minister. Im Krisenfall kann er die Regierung entlassen und - auf Vorschlag ebendieser - den Nationalrat auflösen. Als einziges der obersten Staatsorgane verfügt er dank der Volkswahl über eine direktdemokratische Legitimation.

Der Bundespräsident könnte also, tut es jedoch nicht. Vielmehr haben sich die Amtsinhaber nach 1945 - mit der Ausnahme Thomas Klestils - mit einer Rolle im Hintergrund begnügt. Das war durchaus naheliegend angesichts meist klarer Mehrheitsverhältnisse. Künftig könnte es mit diesen vorbei sein.
Darüber, welche Folgen dies für das höchste Amt im Staat haben könnte, sprach die "Wiener Zeitung" mit Bundespräsident Heinz Fischer (77).

Wiener Zeitung: Erwin Pröll hat zwar abgewunken, trotzdem: Taugt das Amt des Bundespräsidenten als Spielwiese für "starke" Männer oder Frauen?

Heinz Fischer: Die Geschichte der Zweiten Republik und auch anderer Demokratien zeigt, dass es Menschen mit verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen gibt, die in das Amt eines Staatsoberhaupts gewählt wurden. Es gibt dafür nicht nur ein einziges "Idealprofil". Im Kern sollte es aber schon eine ausgeglichene, erfahrene und grundsatzfeste Persönlichkeit sein, um den Anforderungen gerecht zu werden.


Von der Verfassung her ist das Zusammenspiel von Bundespräsident, Regierung und Nationalrat komplex und von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägt. Die Realverfassung ist dagegen fast eintönig, weil nach 1945 SPÖ und ÖVP dominierten. Damit könnte es nach den nächsten Nationalratswahlen vorbei sein, klare Mehrheitsverhältnisse könnten zur Ausnahme werden. Bedingt das nicht auch eine neue Rolle des Bundespräsidenten?

Fischer: Also von eintönig kann keine Rede sein, das Amt ist spannend und interessant, vor allem wenn man nicht das Bedürfnis hat, alles an die große Glocke zu hängen. Ein Staatsoberhaupt steht ununterbrochen auf dem Prüfstand, muss aber auch die Fähigkeit zu Diskretion und Verschwiegenheit haben. Was Ihre Frage nach der Rolle und dem Amtsverständnis angeht: Egal, ob die Lage stabil oder instabil ist, die Konjunktur gut oder schlecht, es ist in jedem Land und in jeder Situation notwendig, dass das Staatsgebäude einen tragfähigen Schlussstein hat. Ich kann mir keine Situation vorstellen, wo man sinnvollerweise sagt, wir brauchen keinen Staatspräsidenten mehr. Das ist ein Satz für Populisten.


Was ist die stärkste Waffe des Bundespräsidenten?

Fischer: Die Verfassung und seine moralische Autorität.


Tatsächlich stattet die Verfassung das Amt mit weitreichenden Befugnissen aus. Für den Verfassungsrechtler Manfried Welan handelt es sich dabei jedoch um "Verfassungsmythen", weil sie in der Realität nie zur Anwendung kommen.

Fischer: Das ist eindeutig zu kurz gegriffen. Natürlich ist etwa das Recht, die Regierung zu entlassen, weniger gewichtig, wenn eine Partei die absolute Mehrheit hat; die Alternativen für eine andere Regierung sind dann begrenzt. Trotzdem könnte es auch unter solchen Bedingungen notwendig sein, eine Regierung zu entlassen, um Schaden für das Land abzuwenden. Wenn aber nun das Entlassungsrecht des Bundespräsidenten und seine Möglichkeiten bei der Auswahl des Bundeskanzlers aus der Verfassung gestrichen würden, wäre dies zweifellos eine starke Schwächung des Präsidenten. Daraus ergibt sich, dass die starken Rechte auch dann Berechtigung und Auswirkungen haben, wenn sie bisher nicht angewandt wurden.


Sie sind einer der längstdienenden aktiven Politiker des Landes und zudem habilitierter Verfassungsrechtler: Welche Veränderungen würden Sie am Zusammenspiel der Staatsorgane Präsident-Parlament-Regierung vornehmen, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?

Fischer: Das Amt und die Stellung des Bundespräsidenten haben sich nach meiner Erfahrung und auch der meiner Vorgänger in Theorie und Praxis bewährt. Es gibt hier auch keine seriösen und ernstgemeinten Änderungsvorschläge. Wo es solchen Bedarf gibt, ist das Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Das ist ein komplexes Thema, wo zudem die Machtfrage eine wesentliche Rolle spielt.


Als einziges der obersten Staatsorgane wird der Bundespräsident vom Volk gewählt. Das verleiht ihm eine starke Legitimation, gerade im Verhältnis zu Parlament und Regierung. Sie haben zuvor auf die Bedeutung von Diskretion verwiesen, aber ergibt sich aus der Direktwahl nicht eine erhöhte Verpflichtung des Bundespräsidenten, sich selbst und sein Handeln den Bürgern gegenüber zu erklären?

Fischer: Ja, und ich glaube auch, dass es hier einen Quantensprung im Vergleich zu meinen Vorgängern gegeben hat. Ich stehe den Medien gerne für Interviews zur Verfügung und bin auch mit den Bürgern häufig in direktem Kontakt. Allerdings muss ich auch nicht jede Information in die Medien tragen, um so meine Chancen bei den nächsten Wahlen zu erhöhen, weil ich das Privileg einer fixen Amtsperiode von sechs Jahren habe.


In diesem Amt steckt eine große Verlockung. Die Unzufriedenheit mit der etablierten Politik nimmt bedenkliche Ausmaße an, man hat den Luxus einer fixen Amtszeit von zumindest sechs Jahren, ist direkt gewählt: Da liegt die Versuchung doch nahe, manchmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen.

Fischer: Ich bin dieser Versuchung nicht erlegen und das ist mir sogar leicht gefallen. Eine wohlüberlegte Argumentation liegt mir einfach mehr als die Faust am Tisch. Die Bürger scheinen das zu schätzen, wie die Vertrauenswerte zeigen. Ich kann und will aber nichts vorwegnehmen, wie künftige Bundespräsidenten das Amt anlegen. Langfristig - davon bin ich überzeugt - ist eine ruhige und besonnene Amtsführung die bessere Entscheidung als Emotionalität und Populismus. Das heißt aber nicht, dass nicht auch ein kräftigerer Satz in einer bestimmten Situation seine Berechtigung haben kann.


Im kommenden Wahlkampf wird die Frage, wie es die Kandidaten mit einem möglichen Kanzler namens Heinz-Christian Strache halten, eine tragende Rolle spielen. Schadet eine solche parteipolitische Polarisierung dem Amt?

Fischer: Eine konkrete sachliche Frage ist für mich keine "parteipolitische Polarisierung". Ein Präsidentschaftskandidat sollte auf diese und alle anderen Fragen eine sachliche Antwort geben. Und er muss sich, falls er/sie gewählt wird, darüber im Klaren sein, dass er das Recht und die Pflicht hat, für die Republik zu sprechen und zu handeln. Er muss also das ganze Land im Blick haben und sich als Repräsentant der ganzen Republik verhalten. Was den Wahlkampf angeht, muss es möglich sein, jedes relevante politische Thema anzusprechen, es kommt nur auf das Wie an. Gerade die Regierungsbildung ist aber eine Frage, bei der so viele Aspekte, nicht zuletzt auch das Wahlergebnis, eine Rolle spielen, dass man sich jede Aussage gut überlegen sollte.


Letzte, zugegeben spekulative Frage: Angenommen, der Trend zur Zersplitterung der Parteienlandschaft hält an, die Aufspaltung der Gesellschaft in heterogene Gruppen sowieso und auch die weitere Verlagerung von Entscheidungen nach Brüssel: Was würde all das für die Rolle des Präsidenten bedeuten?

Fischer: Wenn sich ein Prozess der Zersplitterung unserer Gesellschaft fortsetzt und auch der Zusammenhalt in der EU abnimmt, dann erhält das Amt des Bundespräsidenten noch zusätzliches Gewicht. Denn es ist ja eine seiner Aufgaben, zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beizutragen und das, was uns verbindet, in den Vordergrund zu rücken.


Galerie der Bundespräsidenten der 2. Republik