„Er war ein gewissenhafter Intellektueller, ein engagierter Literat, wie ihn Albert Camus oder Jean-Paul Sartre sich nur träumen konnten.“
Der Politik- und Theaterwissenschafter Alexander Emanuely über Jura Soyfer
Jura Soyfer war ein politischer Schriftsteller im Wien der 1930er Jahre. Er hatte großes Sprachgefühl, Humor und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Mit seinen Reportagen, Gedichten und Theaterstücken dokumentierte er den aufkeimenden Faschismus und den Übergang vom Ständestaat in die nationalsozialistische Diktatur wie kaum ein anderer.
Obwohl ihn bis zuletzt der Wille, gegen die Gräueltaten der Nationalsozialisten anzukämpfen, am Leben hielt, starb er mit 26 Jahren im Konzentrationslager Buchenwald. Sein Handwerk und seine Waffe war die Sprache, und er beherrschte sie wie kein Zweiter in seinem intellektuellen Umfeld – und das, obwohl sein Lebenswerk bei anderen als Frühwerk gelten würde.
Trotz seines kurzen Lebens umfasst dieses Werk den beachtlichen Umfang von rund 1000 Seiten: In nur neun Schaffensjahren publizierte er 150 Gedichte, neben Reportagen und Essays sind fünf Theaterstücke und Fragmente des Romans „So starb eine Partei“ erhalten. Trotz alledem ist Jura Soyfer heute nur noch einem Nischenpublikum ein Begriff.
Wer war dieses Ausnahmetalent, das am 8. Dezember 2014 seinen 102. Geburtstag gefeiert hätte? Was weiß man heute über ihn, abseits von biographischen Eckdaten? Und wie können wir uns an diesen Wiener mit russischen Wurzeln anhand „seiner Plätze“ in der Stadt erinnern?
Eine Spurensuche.
„Vor allem muss man über Jura wissen, dass es in ihm gearbeitet hat.“
Mitja Rapoport
Jura, der eigentlich Juri hieß, war satirischer Literat und in seinem Schreiben durch und durch politisch – doch für die politische Arbeit war er nicht unbedingt geeignet:
„Die Treffs mit Jura waren ‚lebensgefährlich‘, denn einmal kam er zu jedem Treff zu spät, was allen Regeln der Konspiration widersprach – aber das war gewiß seine schwächste Seite; entweder er hatte verschlafen – er arbeitete vor allem in der Nacht – oder bei einer Frau die Zeit vergessen (…) Zum anderen hatte er immer ein Schuldgefühl, daß er zuwenig für die Bewegung leiste (…) Den Kopf zur Seite geneigt, zerknirscht lächelnd, stürmte er im Galopp zum Treff – was gleichfalls den Regeln der Konspiration widersprach“, sagte Franz Marek, Parteisoldat und Berufsrevolutionär, über seinen Freund Jura Soyfer.
Sein Widerstand war literarischer Natur, berichtet Alexander Emanuely: „In seinem Schreiben riskierte er viel, hier hat er die Grenzen ausgelotet.“ Der Politik- und Theaterwissenschafter hat sich intensiv mit Jura Soyfer und seinen Zeitgenossen beschäftigt. Demnach verrichtete Soyfer Botendienste, verhalf seinen Freunden zu Jobs oder gab ihnen Geld. Doch wer war er als Mensch? Wie verbrachte er seine Tage, wie seine Nächte? Emanuely: „Würde der junge Soyfer heute leben, hätte ich wahrscheinlich gerade die Nacht mit ihm durchgemacht.“
Bis etwa Anfang 20 lebt Jura Soyfer, wie damals unter Sozialisten üblich, abstinent. Alkohol und Zigaretten lehnt er als Geldverschwendung ab – ab 1934 dürfte sich das im Umfeld der Theaterszene geändert haben. Weniger enthaltsam gestaltet er, ein Verfechter der freien Liebe, sein Liebesleben: Als er und sein engster Freund Mitja Rapoport sich in dieselbe Frau verlieben, führen sie mit Maria Szécsi eine Dreiecksbeziehung.