Text: Franziska Tschinderle
Fotos: Martin Valentin Fuchs
Gestaltung & Entwicklung: Cornelia Hasil

Um acht Uhr abends klettert Gregori mit klopfendem Herz über den Zaun der Kaserne. Niemand steht Schmiere. Nicht einmal den Zimmerkollegen hat er von seiner geplanten Flucht erzählt. Sobald seine schweren Militärstiefel den Boden berühren, rennt er los.

Um Mitternacht steht er am Ufer des Dnister. Es ist eine warme Augustnacht, also überlegt Gregori nicht lange, springt und schwimmt.

Der Dnister ist nicht einfach nur ein Fluss. Er ist die Landesgrenze eines Staates, den es eigentlich nicht gibt. 202 Kilometer lang, an manchen Stellen nur wenige Kilometer breit. Im Osten ist er durch die Ukraine, im Westen durch die Republik Moldau begrenzt.

Formal gesehen hat Transnistrien alles, was seine Nachbarländer auch haben: Flagge, Verfassung, Präsidenten, Hymne, Kfz-Kennzeichen und sogar eine eigene Währung.

Doch weil sich die abtrünnige Region Anfang der Neunzigerjahre von Moldau abgespalten hat, wurde sie bis heute von keinem Land der Welt anerkannt. Nicht einmal von der Schutzmacht Russland, die Transnistrien i in einem Bürgerkrieg im Jahr 1992 zur Hilfe eilte und immer noch Soldaten stationiert hat. Seither gilt der Konflikt als eingefroren.

Puffer gegen die Ausbreitung der EU

Geostrategen sind sich einig, dass Transnistrien keine realistischen Chancen hat, Teil der russischen Föderation zu werden. Aus der Perspektive Moskaus stellt der kleine Landstreifen einen „Puffer gegen die Ausbreitung von EU und NATO in die post-sowjetischen Länder und damit in die Einflusssphäre Russlands dar“, schreibt das Österreichische Institut für Internationale Politik.

Laut Hannes Meissner, Senior Researcher im Kompetenzzentrum Schwarzmeerregion der Fachhochschule des BFI Wien und Lehrbeauftragter an der Universität Wien, ist der Einfluss Russlands auf das Regime als „besonders hoch einzustufen.“ Moskau wird deswegen auch als „Sponsor“ oder „Finanzier“ des De-facto-Staates bezeichnet.

Gemeinschaft nicht-anerkannter Staaten

Neben Transnistrien gibt es noch weitere ehemalige sowjetische Staaten, die nicht von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden (siehe Karte). Was haben die sieben abtrünnigen Regionen gemeinsam? Alle Regionen werden von Russland politisch, finanziell und zum Teil auch militärisch unterstützt.

„Russland nutzt(e) diese Konflikte im Sinne der eigenen macht- und sicherheitspolitischen Interessen, um ein komplettes Ausbrechen der Nachfolgestaaten der Sowjetunion aus der eigenen Einflusssphäre zu unterbinden“, sagt Hannes Meissner.

Panzer, Denkmäler und Paraden

Der Sezessionskrieg ist nach wie vor Teil der Identität des Landes. Warum kam es überhaupt zur Abspaltung? Westlich des Dnister ist Rumänisch die offizielle Amtssprache. Am linken Ufer hingegen überwiegt die russischsprachige Bevölkerung.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion befürchtete die Bevölkerung eine Angliederung Moldaus an das benachbarte Rumänien. Aus Angst vor Unterdrückung der russischen Sprache und Kultur begannen Separatisten Stück für Stück moldauische Polizeistationen, Gerichte und Schulen zu übernehmen. Heute hat die Regierung in Chişinău die Kontrolle über das Territorium östlich des Dnister verloren.

In einem Referendum von 2006 sprach sich die überwiegende Mehrheit der transnistrischen Bevölkerung für die Unabhängigkeit von Moldau und den Anschluss an Russland aus.

Russische Friedenssoldaten

Nach dem Bürgerkrieg wurde die Stationierung von Friedenssoldaten vereinbart, mit je einer Einheit aus Moldau, Russland und Transnistrien. Diese sollen ein Wiederaufflammen der Kämpfe verhindern.

Quelle: Expert-Grup

Durch die Ukraine-Krise ist der Transnistrien-Konflikt wieder in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit gerückt. Nach der Annexion der Krim verfassten die Mitglieder des obersten transnistrischen Rates eine Bitte an die Duma, auch Transnistrien zurück nach Russland zu holen. In der Hauptstadt Tiraspol ist das Rot, Blau und Weiß der russischen Trikolore allgegenwärtig.

Zur Präsidentschaftswahl am 11. Dezember haben sich nur Kandidaten aufstellen lassen, die als Moskau-treu gelten. „Wir haben eine slawisch-östliche Mentalität und akzeptieren keine amerikanischen Werte“, sagt etwa Oleg Chorschan, der Kandidat aus dem kommunistischen Lager.