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100 Tage blauer Landeshauptmann: Bilanz in der Steiermark

8 Min
Mario Kunasek ist der erste steirische Landeshauptmann seit 1945, der nicht aus der ÖVP oder der SPÖ kommt.
© Illustration: WZ, Fotocredit: REUTERS

Seit 100 Tagen regiert Mario Kunasek als erster FPÖ-Landeshauptmann seit Jörg Haider ein Bundesland. Von Symbolpolitik über Einsparungen im Kulturbereich bis hin zur Spitalsfrage: Was hat sich getan?


Mario Kunasek lächelt in die Kamera. „Die blaue Welle rollt weiter!“, schreibt er unter sein Foto auf Instagram kurz nach den Gemeinderatswahlen in der Steiermark. Vergangenen Sonntag konnte die FPÖ ihre Stimmen mehr als verdoppeln, von 8,2 auf 17,4 Prozent. Es könnte derzeit schlechter laufen für Kunasek: 100 Tage sind vergangen, seit ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 19. Dezember 2024 als steirischen Landeshauptmann angelobt hat. Ein historischer Moment: Zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik steht ein freiheitlicher Politiker an der Spitze der Steiermark. Und erst zum zweiten Mal überhaupt führt ein FPÖ-Politiker eine Landesregierung an – der erste war Jörg Haider in Kärnten. Damit ist die Steiermark derzeit das einzige Bundesland Österreichs mit einem blauen Landeshauptmann. Kunasek regiert in einer Koalition mit der ÖVP und löste damit die schwarz-rote Koalition ab. Doch was hat sich seitdem getan? Welche Maßnahmen sind in Kraft getreten? Wie sieht blau-schwarze Politik in der Praxis aus?

Kopftuchverbot und Tempolimit

Bisher hat die Regierung vor allem „Symbolthemen“ umgesetzt, bilanziert Politologe Peter Filzmaier im Gespräch mit der WZ und meint damit „Dinge, die nichts kosten und die keine große Relevanz für die Zukunft der Steiermark haben, auf die man aber immer wieder öffentlich hinweisen kann.“ Denn Fakt ist: Die blau-schwarze Landesregierung der Steiermark ist mit einem Budgetloch – konkret 6,4 Milliarden Euro Schulden – konfrontiert. „Symbolthemen“: Dazu gehört etwa das Kopftuchverbot für Landesbeamt:innen im Rahmen des Verbots von religiöser Kleidung im Dienst der Landesverwaltung. „Es gibt keine Daten dazu, ob das überhaupt irgendwen betroffen hat. Aber das konnte die Regierung sofort einführen“, erklärt Filzmaier. Auch das Genderverbot für amtliche Schriftstücke wurde umgesetzt. Der Erlass für ein Verbot von Handys bis zur sechsten Schulstufe in den steirischen Schulen ist seit Februar in Kraft.

Zuletzt sorgte das Aus für den steirischen „Lufthunderter“ für Schlagzeilen. Das Tempolimit wurde damals auf Basis des Immissionsschutzgesetzes Luft (IG-L) auf den Autobahnen verordnet. Kunasek hielt fest, dass laut einer Überprüfung die Grenzwerte derzeit eingehalten würden. Die strengeren Grenzwerte, die ab 2030 auf Basis von EU-Vorgaben gelten, würde man hingegen auch mit dem „Lufthunderter“ nicht erreichen. Insofern brauche es ohnehin neue Maßnahmen. Die Grazer Grünen kritisieren scharf: Es sei „nicht hinnehmbar, dass jene Menschen, die in den Gebieten entlang der Autobahn leben und wohnen, nun wieder einer höheren Stickoxid- und Feinstaubbelastung ausgesetzt werden sollen“. Das Aus war laut Peter Filzmaier für die Regierung leicht umsetzbar, „ohne dass es unmittelbar Geld kostet“.

Kultur protestiert gegen Kürzungen

Gespart wird auch in der steirischen Kulturbranche, dort herrscht derzeit großer Aufruhr: Das Kulturkuratorium des Landes, das Empfehlungen zur Fördermittelvergabe erstellt und die Landesregierung in kulturpolitischen Fragen berät, wurde überraschend neu besetzt und erste Kürzungen und Streichungen von Förderungen wurden bekannt. Zuletzt musste die Diagonale aufgrund einer Förderabsage vor Festivalstart die Filmvermittlungsprogramme für Schüler:innen sowie das Kinderkino absagen. Auch das Wahlversprechen, die ORF-Landesabgabe abzuschaffen, will Landeshauptmann Kunasek demnächst erfüllen – wann genau, ist noch unklar. Bisher landete die Landesabgabe zu 75 Prozent im Kulturbudget. Vor Kurzem protestierten rund 2.500 Kulturschaffende auf der Straße gegen die blau-schwarze Kulturpolitik. Ein wesentlicher Kritikpunkt: Das Kulturkuratorium sei „nicht fachlich, sondern rein parteipolitisch“ besetzt worden. Kulturlandesrat Kornhäusl beschwichtigte, er bekenne sich zur offenen und vielfältigen steirischen Kulturlandschaft. Er hat in den nächsten Wochen „weitere Gespräche mit zahlreichen Kulturschaffenden“ angekündigt, „um den Dialog mit der freien Szene zu intensivieren“.

Das Thema, das der landespolitisch größte Aufreger war, hat die Regierung laut Peter Filzmaier hingegen „in die Warteschleife geschickt“: Das Leitspital Liezen in Stainach. Es hätte ursprünglich in der Obersteiermark drei Standorte zusammenfassen sollen, verursachte vielerorts Unmut in der Bevölkerung und kostete der ÖVP bei der Landtagswahl vergangenen November Stimmen. Berufen hat man sich mit dem Vorhaben auf die Expertise von Gesundheitsökonom:innen, die keinen Weg vorbei an der Zusammenlegung sahen. Die FPÖ unter Kunasek wetterte hingegen stets gegen die Spitalspläne. So kommt es nicht überraschend, dass die aktuelle Landesregierung das Projekt nun gestoppt hat. „Aber abgesehen davon ist nichts geschehen“, sagt Filzmaier. Bis zum zweiten Quartal 2025 will die Regierung einen Alternativplan entwickeln, das LKH Rottenmann soll dabei ausgebaut und die Krankenhäuser in Schladming und Bad Aussee erhalten werden. Das könnte teuer werden, deshalb dürfte die Regierung das Thema bisher vor sich hergeschoben haben, vermutet der Politologe. Ähnlich ist es bei dem Ausbau der Pyhrn Autobahn, bei dem aus Geldgründen vorerst auch die Stopptaste gedrückt bleiben dürfte.

Kunasek ist klug genug, keine großen Ankündigungen zu machen.
Peter Filzmaier, Politologe

Keine Leuchtturmprojekte

So ist der Machtwechsel von Schwarz-Rot zu Blau-Schwarz für viele Menschen „praktisch noch kaum im Alltag merkbar“, analysiert Peter Filzmaier. Auch die jüngsten Gemeinderatswahlen bestätigen dieses Bild: Zwar konnte die FPÖ stark aufholen, doch die Partei hat nach derzeitigem Stand in keiner Gemeinde einen Bürgermeisterposten errungen und kann damit ihre politische Macht nicht ausbauen. Die ÖVP bleibt klar die „Bürgermeisterpartei“.

Dementsprechend vorsichtig würde Kunasek in seinen ersten Monaten als Landeshauptmann agieren, so Filzmaier. Während sein Parteikollege Jörg Haider in Kärnten damals mit seiner eigenen Eventkultur auffiel – „mit Förderungen jenseits der finanziellen Vernunft“ – setzt Kunasek eher auf Kontinuität. Statt provokativer Großprojekte besucht er bestehende lokale Veranstaltungen und gibt sich verbindlich und volksnah. Nur wenn es darum geht, bei seinen FPÖ-Kernwähler:innen zu punkten, wird seine Rhetorik schärfer.

Aber: „Kunasek ist klug genug, keine großen Ankündigungen zu machen“, sagt Filzmaier. Dem Landeshauptmann sei bewusst: Leuchtturmprojekte wären ohne Unterstützung von Bund oder Gemeinden zum Scheitern verurteilt. Der 48-jährige Berufssoldat, einst Verteidigungsminister und zuletzt FPÖ-Klubchef im Landtag, setzt deshalb auf behutsame Veränderungen. „Er verfolgt nicht den Donald-Trump-Kurs“, sagt Filzmaier und spielt auf den US-Präsidenten an, der in seinen ersten 100 Tagen im Amt möglichst viele Reformen durchpeitschen wollte. Kunasek hält sich hingegen an seine Politik der kleinen Schritte – nicht zuletzt auch, weil das Landesbudget ihm kaum eine andere Wahl lässt.

Übrigens: Gegen den blauen Landeshauptmann läuft derzeit noch eine Ermittlung im Zuge des Grazer FPÖ-Finanzskandals im Zusammenhang mit angeblichen Veruntreuungen in Millionenhöhe. Im Nebenstrang „Hausbau Kunasek“ wurde kürzlich ein Bericht an die Oberstaatsanwaltschaft Graz weitergeleitet: Mario Kunasek wird vorgeworfen, private Hausbaukosten über die Partei abgerechnet zu haben.

Stellvertreterin stärkt Macht im Hintergrund

Während der Landeshauptmann die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, arbeitet seine Stellvertreterin, ÖVP-Landeschefin Manuela Khom, laut Filzmaier „geschickt im Hintergrund“. Sie versuche, ihre Position zu stärken, auch innerhalb der Partei – übernahm sie doch vor wenigen Monaten erst die Spitze nach dem Rücktritt des ehemaligen Landeshauptmanns Christopher Drexler. Die Gemeinderatswahlen gaben Khom recht: Die ÖVP hat keine Verluste erlitten, konnte sogar Mehrheiten ausbauen und wird voraussichtlich „eine Handvoll“ mehr Bürgermeisterposten besetzen. Khom verzichtet auf laute Kulturkampf-Rhetorik à la „Niemand kommt mehr mit Kopftuch“ und sichert stattdessen ihre Basis – das ist vor allem der ländliche Raum.

Anders die Lage in der SPÖ: Max Lercher hat die Parteiführung von Ex-Landeshauptmannstellvertreter Anton Lang übernommen, doch die jüngsten Gemeinderatswahlen brachten herbe Rückschläge. Besonders der Absturz in Bruck an der Mur und der Verlust der absoluten Mehrheit in Leoben verdeutlichen, dass die Partei immer noch in der „Phase der Selbstfindung“ steckt, erklärt Filzmaier.

In Zukunft „wenig Spektakuläres“

Und was bringt die Zukunft? Ab nächstem Jahr soll es ein verpflichtendes Vorschuljahr für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen geben. Beim Thema Wohnen will man die Leerstandsabgabe abschaffen. Ab September soll ein strengeres Bettelverbot wirksam sein, das unter anderem den Gemeinden die Möglichkeit gibt, Verbotszonen zu erlassen. Darüber hinaus ist die Bezahlkarte für Asylwerber:innen geplant sowie eine Reform der Sozialhilfe: Sie beinhaltet eine Anpassung der Höchstsätze für kinderreiche Familien. Filzmaiers Fazit: „Ich sehe wenig Spektakuläres.“ Kunasek wisse, dass er auf die ÖVP und deren starke Verankerung in den Gemeinden angewiesen ist.

Offiziell wollte die blau-schwarze Landesregierung gegenüber der WZ vorerst keine Bilanz ziehen. Von Gerold Fraidl, Sprecher des Landeshauptmanns, hieß es auf Anfrage: Man gebe vor Ablauf der 100 Tage noch keine Auskünfte, das sei erst kommenden Montag möglich. Der Grund: Man möchte abwarten, wann die „steirischen Leitmedien“ vorhaben, zu berichten und wolle sich „die Geschichte nicht abschießen lassen“.

Was das Vertrauen der steirischen Bevölkerung angeht, so hat die Landesregierung laut Filzmaier „taugliche Umfragewerte“. Das Vertrauen sei zwar geringer als in die Kommunalpolitik, doch im Vergleich zur Bundespolitik stehe Blau-Schwarz in der Steiermark noch gut da. Auffällig ist laut Filzmaier die Skepsis in den eigenen Reihen: Gerade unter FPÖ-Anhänger:innen gibt es Vorbehalte gegenüber „denen da oben“, also gegenüber der Regierung. „Das dreht sich nicht gleich um, nur weil da jetzt ein blauer Landeshauptmann an der Spitze ist.“


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Autorin Anna Stockhammer lebt teils in Graz und teils in Wien, deshalb hat sie die politischen Änderungen in der Steiermark aus nächster Nähe mitbekommen und sich nach 100 Tagen Blau-Schwarz gefragt, was in dieser Zeitspanne denn nun konkret passiert ist.

Gesprächspartner:innen

  • Peter Filzmaier ist Politologe. Er ist Professor für Politikwissenschaft an den Universitäten Graz und Krems sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

  • Gerold Fraidl, Sprecher von Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ)

Daten und Fakten

  • Bei der Landtagswahl vergangenen November wurde die Steiermark blau eingefärbt. Mario Kunasek ist seitdem der erste steirische Landeshauptmann seit 1945, der nicht aus der ÖVP oder der SPÖ kommt. Davor hatte die ÖVP insgesamt sieben Jahrzehnte lang das Amt des Landeshauptmanns inne. Von 1945 bis zur Wahl 2005 galt die Steiermark als Territorium der Volkspartei. Nur von 2005 bis 2015 gelang der SPÖ ein kurzes Intermezzo: Franz Voves wurde der erste sozialdemokratische Landeshauptmann der Steiermark. Dann zogen sich die Sozialdemokraten wieder in ihre klar definierte Rolle zurück – die des ewigen Junior-Partners. Mit der Wahl im November musste die SPÖ in die Opposition gehen und verlor damit erstmals seit 1945 ihren Platz in der Regierung.

  • Am 24. November 2024 hat die Steiermark (1.269.801 Einwohner:innen) einen neuen Landtag und damit eine neue Landesregierung gewählt. Wahlsieger ist die FPÖ mit Chef Mario Kunasek. Die Ergebnisse landesweit: FPÖ: 34,76 Prozent (plus 17,27 Prozent), ÖVP: 26,81 Prozent (minus 9,24 Prozent), SPÖ: 21,36 Prozent (minus 1,66 Prozent), Grüne: 6,17 Prozent (minus 5,91 Prozent), Neos: 6,00 Prozent (plus 0,63 Prozent), KPÖ: 4,47 Prozent (minus 1,52 Prozent).

  • Österreich ist ein föderaler Bundesstaat, bestehend aus neun Bundesländern, die jeweils über eigene Landesregierungen verfügen. An der Spitze jeder Landesregierung steht der Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau, die das Land nach außen vertreten und den Vorsitz in der Landesregierung führen. Die österreichische Bundesverfassung teilt die staatlichen Aufgaben zwischen Bund und Ländern auf. Während der Bund für bestimmte Bereiche zuständig ist, haben die Länder eigene Kompetenzen, die sie durch Landesgesetze regeln. Ein charakteristisches Merkmal des österreichischen Föderalismus ist die mittelbare Bundesverwaltung: Obwohl der Bund die Gesetze erlässt, werden viele von ihnen durch die Landesbehörden vollzogen. In diesem Rahmen sind die Landeshauptleute gegenüber dem Bund verantwortlich und müssen die Weisungen der zuständigen Bundesminister:innen befolgen.

  • Die österreichische Verfassung legt fest, dass nicht nur der Bund, sondern auch die Bundesländer und Gemeinden eigene Zuständigkeiten in der Gesetzgebung und Vollziehung haben. Alle Angelegenheiten, die nicht ausdrücklich dem Bund vorbehalten sind, fallen in den Verantwortungsbereich der Länder und Gemeinden, wobei der Bund deutlich umfassendere Kompetenzen besitzt als die Länder und Gemeinden. Auf Landesebene werden beispielsweise Bereiche wie Jagd, Fischerei, Naturschutz, Baurecht, Tourismus und Jugendschutz geregelt. Dadurch können in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Vorschriften gelten – etwa hinsichtlich der erlaubten Ausgangszeiten für Jugendliche. Die Gemeinden wiederum befassen sich mit lokalen Angelegenheiten, die ausschließlich ihren eigenen Wirkungsbereich betreffen, etwa die Erteilung von Baubewilligungen.

Quellen

Das Thema in der WZ

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