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Grafenwörth: Riedl versiegelt weiter

7 Min
Riedl kosteten die Sonnenweiher-Deals sein Amt als Gemeindebund-Präsident.
© Illustration: WZ, Bildquelle: WZ, Wikimedia Commons, Getty Images

Der Sonnenweiher verschlang hektarweise Grünland und füllte die Taschen von Bürgermeister Alfred Riedl. Nun wird auch die angrenzende Wiese zum Parkplatz – auf Kosten der Steuerzahler:innen.


Am frühen Morgen des 8. Mai 2024 treffen sich sechs Leute im Gemeindeamt von Grafenwörth. Es ist Vorstandssitzung. Um 7:46 Uhr begrüßt Bürgermeister Alfred Riedl (ÖVP) die Mitglieder. Anwesend sind Vizebürgermeister Reinhard Polsterer (ÖVP), vier Gemeinderät:innen – darunter Riedls Tochter, Barbara Riedl (ÖVP) – und eine Schriftführerin. Sie verfasst das Protokoll, das der WZ vorliegt. Es geht um den Bau eines Parkplatzes. Die Anwesenden sind sich schnell einig. Sie engagieren eine Firma für Erdarbeiten. Ein Bagger soll Grasnarbe und Humusschicht abtragen. Um 09:10 Uhr ist die Sitzung beendet – und der Parkplatz auf Gemeindekosten besiegelt. Brisant ist vor allem seine Lage. Die geplanten Stellplätze liegen am Rand des berüchtigten Sonnenweihers, einem riesigen Reihenhauspark am Foliensee.

Das wirft Fragen auf. Schenkt Riedl dem Sonnenweiher einen Parkplatz? Bedient die Gemeinde ein privates Megaprojekt, mit dem der Bürgermeister eine Million Euro verdient hat, mit öffentlicher Infrastruktur? Versiegelt sie weiter Grünland für den Flächenfresser Sonnenweiher? Und warum braucht die Gated-Community überhaupt einen externen Parkplatz? Immerhin ist jedes einzelne Seehaus mit zwei Stellplätzen ausreichend versorgt.

Die viel kritisierte Baustelle

Holen wir aus. Grafenwörth, eine idyllische Gemeinde am Fuß des Wagram, ging vergangenen Sommer in Dauerschleife durch die Medien. Grund dafür ist ein absurdes Bauprojekt – der sogenannte Sonnenweiher. 206 Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften, Reihenhäuser werden am Ufer eines künstlichen Sees aus der Wiese gestampft. Riedl hat durch Umwidmung und Verkauf seiner Gründe mitverdient. Der Sonnenweiher wurde zur meistkritisierten Baustelle des Landes – und der WZ-Titel „Das Dubai vom Weinviertel“ zum geflügelten Wort. Den Bürgermeister kosteten die Grundstücksdeals sein Amt als Gemeindebund-Präsident.

Abseits der Aufregung gingen die Bauarbeiten unbeirrt weiter. Im Jahr 2026 soll das letzte der Seehäuser fertig sein. Doch der Sonnenweiher ist mehr als Wohnort. Was in den Medien bisher unterging: Ein beachtliches Stück des Sonnenweihers besitzt Österreichs größter privater Pflegeheimbetreiber – die Senecura-Gruppe. Erst vor wenigen Wochen geriet das Unternehmen in die Schlagzeilen. Dossier deckte eine Reihe von Missstände in Senecura-Heimen auf.

Das Großprojekt der Senecura

Vom Sonnenweiher gehören dem Unternehmen 1,7 Hektar. Die Senecura errichtet hier ein modernes Ausbildungszentrum für Pflegekräfte – den sogenannten „Campus Lakeside“. Die Baubewilligung ist bereits ausgestellt. Geplant sind eine Fachhochschule, eine Pflegeschule, ein Ambulatorium für pflegende Angehörige, ein Hotel, ein Restaurant. Außerdem wird die Küche des Pflegeheims im Ortskern an den See verlegt.

Ein hochfrequentiertes Großprojekt. Laut Senecura haben allein die beiden Schulen 600 Studienplätze und das Ambulatorium 40 Betten. Wie viele Gäste das Restaurant fassen wird, will uns der Unternehmenssprecher Johannes Wallner nicht sagen. Laut zuständiger Bezirkshauptmannschaft (BH) Tulln wurde ein Restaurant plus Terrasse mit insgesamt 496 Sitzplätzen genehmigt – und ein Hotel mit 354 Betten.

Sind die auch nur ansatzweise belegt, wird es eng am Sonnenweiher. Für all die Menschen baut die Senecura nämlich nur 150 Stellplätze am Areal ihres Pflege-Campus.

Die hilfreiche Gemeinde

Doch die Gemeinde schafft Abhilfe – und rollt auf eigene Kosten einen Parkplatz aus. Mitte Juni fuhren Bagger und Planierraupe auf. Sie trugen den Unterboden ab. Allein diese Arbeiten kosten den Grafenwörther:innen, laut Vorstands-Protokoll, 55.000 Euro.

95.260 weitere Euro Steuergeld war der Gemeinde die Wiese wert, auf die der Parkplatz gebaut wird. Sie ist eineinhalb Fußballfelder groß. Die Gemeinde kaufte das Grundstück am 26. April 2022. Damals waren die Bauarbeiten für den Reihenhauspark bereits voll im Gang. Der Foliensee war ausgehoben, seine Befüllung stand kurz bevor. Auch die genauen Pläne für den Senecura-Campus kannten die Gemeindevertreter:innen längst. Anton Kellner – der Geschäftsführer der Senecura – hat sie am 28. Mai 2021 im Gemeinderat vorgestellt. Der Kaufvertrag für das Grundstück trägt Riedls Unterschrift. Mit der WZ will Riedl nicht reden. Wir erreichen Vizebürgermeister Reinhard Polsterer am Telefon.

Der Parkplatz wird auch von der Senecura genutzt werden.
Vizebürgermeister Reinhard Polsterer

„Es wird ein öffentlicher Parkplatz, der auch vom Senecura-Campus genutzt werden wird“, sagt uns Polsterer. „Die Senecura hat selbst auch Stellplätze, aber es kommt auch ein Studentenheim, ein Campus. Wir wollten nicht, dass die Straßen rundherum zugeparkt werden. Deswegen hat die Gemeinde diese Fläche erworben.“ Sie werde mit Rasengittersteinen ausgestattet. Außerdem sei auf dem Parkplatz ein Wochenmarkt geplant. Und Badegäste könnten hier auch parken. Die einzige öffentliche Badewiese am Sonnenweiher ist 460 Quadratmeter groß – so groß wie zwei Schrebergärten. Der schmale Streifen Rasen liegt eingezwängt zwischen den Seehäusern.

Die wortkarge Gemeinde

Nach dem Gespräch mit Polsterer bricht jeglicher Kontakt mit der Gemeinde Grafenwörth ab. Unsere E-Mails werden nicht beantwortet. Eine Gemeindebedienstete sagt uns am Telefon, dass „keine Informationen nach außen gegeben werden“. Alfred Riedl legt auf. Er sei in einem Termin. Danach hebt er nicht mehr ab. Wir wissen nicht, wie viele Stellplätze geplant sind, wie viel der Parkplatz insgesamt kosten wird, warum die Gemeinde nicht auf ausreichende Stellplätze innerhalb des Campus bestanden hat. Das hätte sie können, wie uns der Tullner Bezirkshauptmann Andreas Riemer bestätigt. Die Marktgemeinde Grafenwörth sei in das Bewilligungs-Verfahren eingebunden gewesen.

Bei der Senecura will man nichts von einem öffentlichen Parkplatz neben dem Campus wissen. „Davon höre ich zum ersten Mal“, sagt Unternehmenssprecher Wallner zur WZ. „Die Baubewilligung sieht 100 Stellplätze direkt am Gelände vor. Wir überfüllen die Vorgabe bereits um 50 Stück.“ Die Senecura wolle für die Studierenden einen Shuttlebus zum Bahnhof organisieren. Zusätzliche Parkplätze von der Gemeinde seien nicht notwendig. Bekommen wird sie die Senecura trotzdem.

Die Gemeinde und der Pflegekonzern

Nicht zum ersten Mal. Die Gemeinde Grafenwörth und die Senecura verbindet eine lange Geschichte. Seit knapp zwanzig Jahren ist die Senecura im Ort. Um einen symbolischen Euro pro Jahr stellt ihr die Gemeinde einen Grund im Ortszentrum zur Verfügung – und bekam dafür ein Pflegeheim. Gleich daneben liegt übrigens ein Parkplatz. 70 Autos können auf der öffentlichen Asphaltfläche auf kommunalem Grund parken.

Werner Bernreiter, langjähriger Direktor des Senecura-Pflegeheims in Grafenwörth, gehört mittlerweile zur Führungsriege von Senecura. Bis 2021 war er Regionaldirektor für Wien und Niederösterreich. Heute ist er „Head of Innovation“. Auch Geschäftsführer Anton Kellner ist gern gesehener Gast in Grafenwörth. Für die Lokalpresse posierte er gemeinsam mit Riedl vor der Kamera.

2019 informierten Kellner und Riedl die Öffentlichkeit über die Pläne des Senecura-Campus am Sonnenweiher. „So eine Chance muss man ergreifen“, sagte Riedl gegenüber den Bezirksblättern. Kellner schwärmte von hundert neuen Arbeitsplätzen.

Die Gewinner:innen

Am 17. Februar 2022 wurde es ernst. Die Senecura kaufte der Bauträgerin des Sonnenweihers – der VI Engineers GmbH – das Grundstück am Foliensee um 4,757 Millionen Euro ab, nachdem es diese Bürgermeister Riedl und anderen abgekauft hatte. Die VI Engineers gehört zu 100 Prozent der Niederösterreichischen Versicherung (NV). Dort sitzt Riedl seit über 20 Jahren im Aufsichtsrat – bis heute.

Und so gibt es am Sonnenweiher viele Gewinner:innen. Der Bürgermeister verdiente eine Million Euro. Die Bauträgerin verdient mit dem Weiterverkauf an die Senecura. Und die Senecura bekommt ihr Ausbildungszentrum samt öffentlich finanziertem Parkplatz. Verlierer sind nur die Bürger:innen von Grafenwörth.

Sie bezahlen für die Versiegelung ihrer Wiese.


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Infos und Quellen

Genese

Fast ein Jahr ist vergangen, seit Michael Ortner und Matthias Winterer mit ihrer Recherche über Alfred Riedl und seiner Rolle beim Sonnenweiher in Grafenwörth hohe Wellen geschlagen haben. Noch immer werden weitere Häuser beim künstlichen Foliensee gebaut, der wie eine Gated Community von einem Zaun umgeben ist. Direkt neben den Sonnenweiher lässt die Gemeinde derzeit einen Parkplatz ausbaggern. Ein Parkplatz, der auf Kosten der Grafenwörther Bürger:innen errichtet wird. Doch für wen eigentlich?

Gesprächspartner:innen

  • Reinhard Polsterer (ÖVP), Vizebürgermeister Grafenwörth

  • Katrin Gastgeb, Head of Communications Senecura

  • Johannes Wallner, Unternehmenssprecher Senecura

  • Karoline Brandfellner, PR und Kommunikation, querkraft Architekten

  • Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Bau- und Raumordnungsrecht

  • Andreas Riemer, Bezirkshauptmann Bezirk Tulln

Daten und Fakten

  • Flächeninanspruchnahme: Flächen, die durch menschliche Eingriffe für Siedlungs-, Verkehrs-, Freizeit-, Erholungs- und Ver- sowie Entsorgungszwecke verändert und/oder bebaut sind und damit die landwirtschaftliche Produktionsfläche bzw. der natürliche Lebensraum nicht mehr zur Verfügung stehen. (ÖROK-Definition)

  • Flächenversiegelung: Flächen- oder Bodenversiegelung betrifft Flächen, die durchgehend mit einer wasser- und luftundurchlässigen Schicht abgedeckt sind (Versiegelungsgrad von 100 Prozent).

  • Nach dem Burgenland (582 m²/Einwohner:in) hat Niederösterreich die größte versiegelte Fläche bezogen auf die Wohnbevölkerung (503 m²/Einwohner:in). Bei der versiegelten Verkehrsfläche bezogen auf die Einwohner:innen liegt Niederösterreich mit 239 m² pro Einwohner:in ebenfalls auf dem zweiten Platz.

  • Die Gemeinde Grafenwörth hat eine hohe Flächeninanspruchnahme pro Kopf. Laut ÖROK-Atlas liegt er bei 1659,9 Quadratmeter pro Kopf (Stand: 2022). Der Durchschnitt in Österreich beträgt 629 Quadratmeter pro Kopf. Auch bei der versiegelten Fläche liegt Grafenwörth weit über dem Österreich-Schnitt von 330,1 Quadratmeter pro Kopf: In der Gemeinde am Wagram sind pro Einwohner:in 875,6 Quadratmeter versiegelt (Stand: 2022).

Quellen

  • Protokoll über die Sitzung des Gemeindevorstandes Grafenwörth vom 8. Mai 2024

  • Grundbuchauszüge

  • Kaufvertrag der Gemeinde Grafenwörth

  • Senecura Campus Grafenwörth, Präsentation Gemeinderat vom 28.05.2021

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