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In Niederösterreich gibt es einen "Dollfuß-Platz", der sich hartnäckig hält.
Einen „Dr. Dollfuß-Platz“ in Mank gibt es nicht, auch wenn Google Maps ihn kennt und den Autofahrer hinführt. Dort wird allerdings schnell klar, dass der Platz nur eine Straßenkreuzung ist. Nah am Stadtzentrum, aber trotzdem sehr verlassen. Ein Bio-Bauernladen findet sich hier, eine Blumenhandlung – und das Straßenschild mit dem Namen jenes Diktators, der 1933 die Demokratie abgeschafft und 1934 in einem blutigen Bürgerkrieg mit 350 Toten Österreichs Sozialisten ausgeschaltet hat. Unter dem Schild ist eine Zusatztafel angebracht, die darüber informiert, dass ein Diskussionsprozess über eine mögliche Umbenennung läuft. Ein unwirtlicher Ort, kalt, gerade jetzt im Winter. Niemand da, mit dem man diskutieren könnte.
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Doch der Hauptplatz mit der Kirche ist nicht weit. Ein alter Mann schlurft langsam den Gehsteig entlang. Den Dollfuß-Platz umbenennen? „Den kann man so lassen wie er ist“, findet er. Aber ist das nicht ein Wallfahrtsort für Fans einer Diktatur? „Früher haben die Leute Dollfuß vielleicht verehrt“, jetzt sei das nicht der Fall. Dieser Vorwurf stimme nicht.
Wenige Meter weiter bahnt sich eine mit Walking-Stöcken bewaffnete ältere Dame ihren Weg. „Der Platz heißt so in Anerkennung, dass Dollfuß als Kammeramtsdirektor soziale Verbesserungen für Landarbeiter erwirkt hat“, sagt sie. Deshalb sei es „in Ordnung“, dass der Platz nach ihm benannt sei und sie sei klar gegen eine Umbenennung. Und gegen eine Aufarbeitung der Problematik ist sie auch. „Da wäre ja früher genug Zeit dafür gewesen“, meint sie. Dass Dollfuß ein Diktator war, stört sie nicht? Stirnrunzeln. „Er war eine vielschichtige Persönlichkeit.“
Der Bauernladen am Dr. Dollfuß-Platz 1 hat jetzt geöffnet, zwei Frauen stehen hinter der Verkaufstheke. Genau hier war das Gasthaus, vor dem Dollfuß seinerzeit die Verbesserungen für Landarbeiter:innen verkündete. Der Mythos will, dass er von einem Balkon aus sprach, so, wie Außenminister Leopold Figl später im Belvedere den Österreichern den Staatsvertrag präsentierte. Es wird allerdings von Seiten der örtlichen SPÖ versichert, dass es an dieser Stelle in Mank nie einen Balkon gab. Auch waren die versammelten Bauern und Bäuerinnen alles andere als begeistert. 1965 hatte der damalige Manker ÖVP-Bürgermeister Leopold Eigenthaler jedenfalls die Idee, Dollfuß diesen Ort zu widmen. Er sei damals „sehr demokratisch vorgegangen“, erklärte er später, in eine ORF-Kamera grinsend: „Ich habe niemanden gefragt.“
Kein Kim Jong-un-Platz für Mank
Für die Damen im Bauernladen kommt eine Umbenennung ihrer Adresse nicht in Frage. Das „Doktor“ vor Dollfuß wird hier extra betont, so viel Zeit muss sein. „Man kann die Geschichte nicht wegwischen“, sagt eine, „da müsste man ja auch den Hitler tilgen.“ Aber eine Ehrung für einen, der Österreich in eine Diktatur verwandelt hat? „Wenn man lang genug sucht, findet man bei jedem etwas, was man ihm anhängen kann“, verteidigt die Dame den ehemaligen Kanzler. „Ja genau, außerdem war damals ja Chaos“, findet die andere. Man habe am Anfang nicht wissen können, was dabei herauskomme. Außerdem gäbe es auch heute noch viele Diktaturen. Und Diktatoren, etwa in Nordkorea. Einen Kim-Jong-un-Platz in Mank wünschen sich die beiden aber nicht.
Draußen in der Kälte hastet eine Frau vorbei. Aufarbeitung der problematischen Dollfuß-Vergangenheit? Das findet sie „gut“. Wie bitte? „Alles, was aufgearbeitet wird, ist positiv.“ Gar eine Querdenkerin, hier, mitten in Mank? Fehlanzeige: Sie wohne in Wien, sagt sie, bevor sie eilig wieder davonmarschiert.
Ein Schüler kommt des Weges, er besucht die örtliche Polytechnische Lehranstalt, sagt er. Von einem Dollfuß habe er noch nie gehört, er könnte sich „nicht erinnern“, dass dieser jemals Teil des Unterrichts gewesen wäre. Zwei weitere Burschen rücken an. Beide sind aus der nahegelegenen Gemeinde Texingtal, wo sich das Geburtshaus von Engelbert Dollfuß befindet und bis vor kurzem ein Museum zu seinen Ehren. Dem einen Burschen sagt der Name Dollfuß etwas: „So heißt eine Familie, die bei uns in Texing wohnt.“ Sein älterer Bruder sei sogar mit einem von ihnen befreundet gewesen. Wer der Dollfuß auf dem Straßenschild war, weiß er nicht genau. Irgendetwas mit dem Zweiten Weltkrieg könnte es zu tun haben, mutmaßt er.
„Schwierig, nicht zu resignieren“
„Es ist schwierig, nicht zu resignieren“, sagt Petra Irsching, SPÖ-Chefin von Mank. Sie steht mit ihren wenigen Getreuen, die für eine Umbenennung des Platzes eintreten, auf verlorenem Posten. Mank ist fest in ÖVP-Hand und das immer schon. Schwarze Erblande, in der andere politische Regungen keinen Platz finden. Nur noch zwölf Prozent hat die SPÖ bei den letzten Gemeinderatswahlen bekommen, viele Wähler:innen sind Zuzügler:innen, Ortsfremde.
Eine Diskussion über Dollfuß ist nach Irschings Ansicht hier nicht möglich. Das jetzt in Windeseile aufgelöste Dollfuß-Museum im nahen Texingtal sei eine „Huldigung“ des Diktators gewesen, Kaffeehäferl und Grabeserde seien dort zu sehen gewesen, „Zeug“ ohne jeden historischen Wert. Und der lokale Fußballverein, der USC Mank, führt nachweislich das Jahr 1934 in seinem Emblem – das Jahr des Bürgerkriegs und der Ausschaltung der Sozialdemokratie in Österreich. Für die lokale SPÖ ist das eine weitere Hommage an den verhassten Kanzler und eine Provokation, weil der USC erst in den 50er-Jahren gegründet worden sei, wie Irsching betont.
Mehrheitsmeinung und offizielle Linie in Mank ist, dass Dollfuß ein guter Mann war. Der erste, der den Mut gehabt hat, sich gegen Hitler zu stellen. Der Ständestaat ist keine richtige Diktatur gewesen, Dollfuß hat für alle nur das Beste gewollt. Obwohl: Es gäbe schon auch ÖVPler:innen, mit denen man reden könne, sagt Irsching, „die den Dollfuß-Platz für Unfug halten“. „Aber die tun das nur hinter verschlossener Tür. Genannt werden wollen sie nicht.“ Das Faible für Dollfuß hat viel mit Lokalpatriotismus zu tun. In der Schule sei sie mit einem Dollfuß-Nachfahren in der Klasse gesessen – „der war unglaublich stolz auf seinen Vorfahren“, sagt die SPÖ-Chefin. Und auch die FPÖ hat sich zuletzt für die Beibehaltung des Dollfuß-Platzes ausgesprochen.
Altes Liedgut
Das Dollfuß-Lied, die österreichische Antwort auf das Horst-Wessel-Lied der Nazis, das ab 1936 zu Ehren des mittlerweile ermordeten Kanzlers gesungen wurde und mit der Zeile „Ihr Jungen schließt die Reihen gut“ beginnt, habe sich in Mank laut Irsching lang gehalten und sei vor 40 Jahren noch zu hören gewesen. Die Passage „Ein Toter führt uns an“ sei ihr noch ein Begriff.
Die Zeile kennt auch Otmar Garschall, ÖVP-Stadtrat und Gemeinderat in Mank. Er würde das aber nicht dramatisieren: „Ich bin Jahrgang 1958“, sagt er, „was glauben Sie, welche Lieder wir damals beim Bundesheer singen mussten!“
Garschall ist möglicherweise einer jener ÖVP-Politiker:innen, mit denen man laut Irsching „reden kann“. Auch wenn er die Kompetenzen der SPÖ-Chefin als Historikerin nicht sehr hoch einschätzt, wie er im Gespräch mit der WZ sagt. Zumindest ist er kein Dollfuß-Fan, denn: „Der hat Fehler gemacht.“
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„Schutzbündler waren auch keine Ministranten“
Wie diametral verschieden die Auffassungen zwischen ÖVP und SPÖ sind, wird auch im Fall von Garschall schnell klar. Zwei Protestveranstaltungen der SPÖ am Dollfuß-Platz vor rund einem Jahr waren für ihn eine „Mahnwache“. Ein „Totengedenken in Ehrfurcht“ hätte es seiner Ansicht nach sein sollen. Wurde es aber nicht, weil es „parteipolitisch und ideologisch“ instrumentalisiert worden sei. Die SPÖ habe sich in der Frage „verrannt“. Dabei gehe es darum, Gemeinsamkeiten zu finden. Garschall verweist in der Beurteilung des Jahres 1934 auf Historiker:innen, für die es keinen Bürgerkrieg gegeben habe. Es waren „fürchterliche Ausschreitungen“, das ohne Zweifel. Aber: „Die roten Schutzbündler waren auch keine Ministranten.“
Einen Aufarbeitungs-Prozess hält Garschall für wichtig. Der wurde angestoßen, als Gerhard Karner, der ehemalige Bürgermeister von Texingtal, sein Amt als Innenminister antrat. Das machte Schlagzeilen. Dem Bürgermeister in der angrenzenden Stadtgemeinde Mank wurde in diesem Zusammenhang von oben, also von der Landes-ÖVP, nahegelegt, sich um eine etwaige Umbenennung des Dollfuß-Platzes zu kümmern. Und Garschall hätte da eine Idee. Er könnte sich vorstellen, den Platz in „Fanny-Harlfinger-Zakucka-Platz“ umzubenennen, nach der bekannten Manker Malerin und Designerin, die vor 70 Jahren gestorben ist.
Aber der Vorschlag ist in der ÖVP von Mank offenbar nicht mehrheitsfähig. Und nach der plötzlichen Auflösung des Dollfuß-Museums durch den neuen Bürgermeister von Texingtal ist die geplante schrittweise kritische Aufarbeitung des Themas kaum noch möglich.
Hat sich also in Sachen Dollfuß seit Jahrzehnten nichts bewegt? Stillstand auf der ganzen Linie? Nicht ganz: Immerhin wurde Dollfuß mittlerweile die Ehrenbürgerschaft aberkannt. Nachzulesen ist das auf der Zusatztafel, die unter jenem Straßenschild in Mank angebracht ist, das weiterhin eine unwirtliche Stelle in Zentrumsnähe markiert.
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Infos und Quellen
Genese
Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich auf das umstrittene Dollfuß-Museum in Texingtal. Der Dr. Dollfuß-Platz im nahen Mank tritt dabei meist in den Hintergrund. Zu Unrecht, wie Redakteur Michael Schmölzer findet.
Gesprächspartner:innen
Die SPÖ-Chefin der Stadtgemeinde Mank, Petra Irsching, hat sich die Zeit genommen und im Kino-Café ausführlich die Minderheiten-Meinung zu Dollfuß dargelegt.
ÖVP-Stadtrat Otmar Garschall hat in dem Benennungsstreit einen Vorschlag zur Güte gemacht: Warum den Ort nicht nach der Manker Künstlerin Fanny Harlfinger-Zakucka benennen? In seiner Partei hat er sich noch nicht durchsetzen können.
Die vielen Passant:innen in Mank, die sich trotz klirrender Kälte auf eine Diskussion eingelassen haben.
Daten und Fakten
Mank zählte zuletzt rund 3.200 Einwohner, damit hat sich die Bevölkerung ab 1950 fast verdoppelt. Im Jahr 1987 wurde Mank zur Stadt erhoben.
Straßenbezeichnungen gibt es hier erst seit 1965, das ist auch das Jahr, in dem der „Dr. Dollfuß-Platz“ entstand.
Quellen
„Manker Zeitzeugen: 29 Beiträge über die Zeit der Vorkriegsjahre, Kriegsjahre, Nachkriegsjahre“. 2012, 504 Seiten. Film zum Buch: http://www.youtube.com/watch?v=jAb11p3KYbY
Das Thema in der WZ
Im WZ-Podcast „Liveticker: So verlief Österreichs Bürgerkrieg 1934" lesen die WZ-Hosts Petra Tempfer und Bernd Vasari Archivstellen der Wiener Zeitung vor, die in diesen Tagen regelmäßig berichtete und sogar eine Sonderausgabe druckte.
Was genau am 12. Februar 1934 geschah und warum dieser Tag bis heute wichtig ist, schreibt WZ-Redakteur Michael Schmölzer in seinem Text „1934 – als Österreicher auf Österreicher schossen".
Wie die Wiener Zeitung zum Ständestaat-Propagandablatt wurde
https://www.wienerzeitung.at/h/otto-bauer-war-keine-kampfnatur
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Platz des Diktators
Die Presse: Neukonzeption für Dollfuß-Museum