Wir haben das Grundbuch nach Alfred Riedl durchforstet – und sind auf weitere Deals gestoßen. Etwa mit dem Baukonzern Swietelsky. Der hat dem Bürgermeister ein großes Grundstück verkauft – um 630 Euro.
Grafenwörth ist eine normale Weinviertler Gemeinde. Kellergassen, Sportplatz, Gewerbepark. Auf den Hängen des Wagram tragen die Weinstöcke üppige Reben. Im Ortskern steht die Pfarrkirche zum heiligen Andreas. An ihren Rändern zerfransen Einfamilienhäuser die Gemeinde. Die Siedlung Sonnenweiher wächst neben der Stockerauer Schnellstraße auf früheren Rapsfeldern, Äckern, Futterwiesen. Rund 3.000 Menschen leben in Grafenwörth. 46 Quadratkilometer ist die Gemeinde groß.
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Ihr Bürgermeister ist Alfred Riedl (ÖVP). Er ist auch Präsident des Österreichischen Gemeindebundes. Nachdem Geschäfte um das Neubauprojekt Sonnenweiher öffentlich wurden, hat er das Präsidentenamt ruhend gelegt. Es geht um fragwürdige Umwidmungen, durch die Riedl, wie berichtet, mittelbar viel Geld verdiente. Mittlerweile prüft die Bezirkshauptmannschaft Tulln die Widmungen, Neos haben zwei parlamentarische Anfragen gestellt. Riedl will die Verfahren abwarten – Bürgermeister bleibt er weiterhin.
Dutzende weitere Geschäfte
Die WZ hat das Grundbuch nach Grundstücken durchforstet, die Riedl im Laufe der Jahre kaufte – und ist auf dutzende weitere Geschäfte gestoßen. Die Liste ist lang. Auf mehr als 70 historischen und aktuellen Auszügen aus der Gemeinde Grafenwörth steht der Name Alfred Riedl.
Dem Bürgermeister und seiner Familie gehören Wälder, Wiesen, Baugründe, Weingärten, Wohnungen. Riedl und seine Immobilienfirma Realitas Grawoe GmbH – deren Miteigentümerinnen seit 2022 auch seine drei Töchter sind – haben Grundstücke in der ganzen Gemeinde gesammelt. Sie haben sie zu teilweise günstigen Preisen erworben – von Landwirt:innen, Pensionist:innen, einem Baukonzern, dem Staat, vertreten durch den Verwalter der Verlassenschaft einer verstorbenen Frau. Die allermeisten Flächen hat Riedl gekauft und an seine Töchter und Enkelkinder verschenkt.
4.779 Quadratmeter um 630 Euro
Etwa ein Grundstück am Schotterteich mit Gebäude am Ufer nördlich des Gemeindekerns. Es ist mit 4.779 Quadratmetern so groß wie ein Fußballfeld. Es ist als Grünland – und Eignungszone für die Gewinnung von Sand und Kies – gewidmet. Am 22. Dezember 2020 kaufte Riedl die Immobilie. Der WZ liegt der Vertrag vor.
630 Euro bezahlte der Bürgermeister dafür – 13 Cent pro Quadratmeter. Am 18. März 2023 schenkte Riedl den Grund seinen Kindern und Enkelkindern. Im Schenkungsvertrag wird der Wert der Liegenschaft auf 190.000 Euro geschätzt. Auf Anfrage der WZ lässt uns Riedl wissen, dass er auf Urlaub sei. Den Kauf bestätigt er, die Summe nicht.
Warum hat Riedl nur wenige hundert Euro für eine riesige Parzelle mit einem Gebäude am Ufer bezahlt? Riedl schreibt in einem knappen Statement, dass der Vorbesitzer weiterhin die Rechte hat, hier Schotter abzubauen. Der Vorbesitzer ist ein riesiger Konzern. Riedl hat die Fläche der Swietelsky AG abgekauft.
Das Unternehmen ist eine der größten Baufirmen des Landes. Es hat mehrere tausend Mitarbeiter:innen und ist in 21 Ländern tätig. In Grafenwörth hat der Konzern mit der Baumeister Karl Sedlmayer Ges.m.b.H eine Niederlassung. Die Firma gehört laut Firmenbuch zu hundert Prozent der Swietelsky AG. Sie errichtet seit Jahren Häuser und Straßen in der Region.
Riedls Vorkaufsrecht für elf Cent pro Quadratmeter
In der Schottergrube neben dem Grundstück von Riedls Kindern baut Swietelsky weiter Kies ab. Aber nicht mehr lange. Laut Kaufvertrag wird der Betrieb Ende 2027 eingestellt. Dann liegen die Flächen brach. Verkauft sie Swietelsky, erhält Riedl den Zuschlag zum Schnäppchenpreis. Der Bürgermeister hat ein vertraglich abgesichertes Vorkaufsrecht für die restlichen Flächen – insgesamt 52.239 Quadratmeter. Riedl ist berechtigt, die Gründe um elf Cent pro Quadratmeter zu kaufen, sollte sie Swietelsky veräußern. Die Swietelsky AG hat Fragen der WZ zum Verkauf des Grundstücks bisher nicht beantwortet. „Urlaubsbedingt“ könne der Konzern erst nächste Woche ausführlich antworten.
Doch nicht nur am Schotterteich besitzt die Familie Riedl Liegenschaften. Ihre Immobilien sind über Grafenwörth verstreut. Im Westen der Gemeinde liegt ein Mischwald. 3.215 Quadratmeter davon gehören Riedls Tochter, der Geschäftsführenden Gemeinderätin von Grafenwörth, Barbara Riedl. Sie hat es von ihrem Vater geschenkt bekommen.
Wälder toter Frauen
Alfred Riedl hatte den Grund am 24. Oktober 2014 gekauft. Die Besitzerin des Waldes war eine 91 Jahre alte Frau. Sie wohnte auf der anderen Straßenseite von Riedls Wohnung in Grafenwörth. Am 12. Jänner 2014 starb die kinderlose, verwitwete Frau. Für die Verwaltung ihres Nachlasses wurde ein sogenannter Verlassenschaftskurator eingesetzt.
Der sollte die Gründe der Verstorbenen veräußern. Die Einnahmen fließen in das Budget des Staates Österreich. Riedl schlug zu. Um 4.600 Euro bekam er einen Wald – um 1,4 Euro pro Quadratmeter. „Im Normalfall wird bei Verlassenschaften ein Gutachten über den Verkaufswert erstellt“, sagt Eric Heinke, Fachanwalt für Familien- und Erbrecht. „In einem Bieterverfahren erhält der Höchstbietende den Zuschlag.” Den zuständigen Verlassenschaftskurator, einen Notar, konnten wir nicht erreichen. Er befindet sich auf Urlaub.
Barbara Riedl gehört auch ein weiterer Wald. Er ist 6.541 Quadratmeter groß. Wieder wurde er ihr von ihrem Vater geschenkt. Wieder gehörte er einer 2014 verstorbenen Frau. Nach ihrem Tod wurde der Wald in einem Verlassenschaftsverfahren im Jahr 2017 Herrn H. zugesprochen. Die Redaktion kennt seinen Namen. H. ist mit der Verstorben nicht verwandt und gehört – laut Amtsbestätigung für das Grundbuch – „nicht zum Kreis der gesetzlichen Erben“. Warum er die Fläche trotzdem erhielt, wollte uns H. am Telefon nicht mitteilen. Er beendete das Gespräch nach wenigen Sekunden.
Wenige Wochen nachdem ihm der Wald zugesprochen wurde, verkaufte er ihn an Riedl für 8.503,30 Euro – das sind 1,3 Euro pro Quadratmeter. Nutzwälder kosten in Österreich im Schnitt zwischen einem und drei Euro pro Quadratmeter.
Das Schema Schenken
Riedl beschenkte nicht nur Barbara Riedl. Auch seine anderen Kinder bekamen Liegenschaften von ihrem Vater. Ein Häuschen im Schatten des Alfred-Riedl-Stadions, ein Feld neben dem Badeteich, eine kleine Wiese neben der Straße. Das Schema ist immer gleich. Riedl kauft günstig Land und schenkt es seinen Kindern. Das hat vor allem steuerliche Vorteile. „Bei Schenkungen entfällt die Immobilienertragssteuer, die Grunderwerbssteuer ist niedriger als bei Verkäufen”, sagt der Jurist Heinke.
Seine Rolle als Bürgermeister dürfte Riedl bei seinen Geschäften zugutekommen. Seit drei Jahrzehnten ist er Ortschef von Grafenwörth. Riedl weiß, wer welche Gründe verkauft. Er kennt Leute und Firmen. Riedl hat Kontakte zu Bauträgern, sitzt in Vorständen und ist Aufsichtsrat der Niederösterreichischen Versicherung, die selbst Mehrheitseigentümerin des Bauträgers vom Sonnenweiher ist. Dass er nicht zögert, zu seinem eigenen Vorteil zu handeln, hat er mit den Umwidmungen am Areal des Sonnenweihers bewiesen.
Die neuen Recherchen festigen das Bild eines Bürgermeisters, der an erster Stelle an sich selbst denkt – und an seine Familie.
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Infos und Quellen
Genese
Die Recherchen der WZ über die fragwürdigen Grundstücksdeals des Grafenwörther Bürgermeisters und Präsidenten des Gemeindebunds, Alfred Riedl, am Sonnenweiher in Grafenwörth haben medial große Wellen geschlagen. In der Folge deckten wir weitere Grundstücksgeschäfte von Riedl auf. Der Druck auf ihn wuchs. Am Dienstag legte Riedl seine Funktion als Gemeindebund-Präsident ruhend - da veröffentlichte Die Presse das nächste Geschäft von Riedl.
Im Zuge der Recherchen bekamen wir immer wieder Hinweise darauf, dass Riedl noch mehr Grundstücke in Grafenwörth erworben hat. Wir sichteten dutzende Grundbuchauszüge, Kauf- und Schenkungsverträge.
Gesprächspartner:innen
Sandra Bauer, Head of Corporate Communications Swietelsky AG
Alfred Riedl, Bürgermeister Grafenwörth
Helmut Ferrari, Gemeinderat Grafenwörth (Liste Bürger für Bürger)
Eric Heinke, Fachanwalt für Familien- und Erbrecht
Quellen
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Bausünde oder Seeparadies
Der Standard: Viele Ämter und ein umstrittener Immobiliendeal
Die Presse: Riedl stellt Funktion ruhend
Kurier: Abgründe am künstlichen See