Ab 2025 ist die Sammlung von Textilien verpflichtend. Wie diese genau aussehen wird, weiß man aber noch nicht.
Europas größtes Sortierwerk steht in den Niederlanden. 100 Mitarbeiter:innen sortieren dort 100 Tonnen Altkleidung pro Tag. Ziel ist es, die Creme-Ware, wie sie genannt wird, zu finden − für den derzeit boomenden Second-hand-Markt. „Doch nur vier Prozent dieser Ware ist Creme-Ware. 81 Prozent gehen in den Export“, erzählt Textilien-Branchenexperte Claus Bretschneider.
Die Folgen: gigantische Gewand-Müllberge in Afrika oder Asien.
Die Textilien werden von Europa aus in einem System mit privaten Zwischenhändlern gehandelt. In Afrika gibt es seit langem einen Markt für Second-hand-Ware. Doch längst ist die dortige Bevölkerung nicht mehr erfreut darüber: Die Ware wird immer billiger und schlechter. Ruanda etwa hat 2019 die Einfuhr gebrauchter Kleidung verboten. Denn immer mehr davon landet in Flüssen, Wüsten, wird unkontrolliert verbrannt oder „zwischengelagert“. Mikroplastik wird aus der Kleidung geschwemmt, Giftstoffe gelangen in die Umwelt und die dort ansässige Textilindustrie wird zerstört.
Andernorts ist es nicht besser. In Österreich werden laut Studien 10 bis 20 Prozent der Bekleidungs-Retouren von Online-Käufen vernichtet; es wird also neuwertige Ware zerstört. Ist das in Zukunft nicht mehr erlaubt, stellt sich Frage: Was tun mit dem Fast-Fashion-Gewand?
Die EU reagierte: Eine Kreislaufwirtschaft muss europaweit eingeführt werden. Ziel ist es, dass bis 2030 alle Produkte nachhaltig sein sollen, also haltbarer, reparierbar, wiederverwendbar beziehungsweise recyclingfähig. Jedes Kleidungsstück erhält einen digitalen Produktpass. Mittels QR-Code sollen alle Informationen über die Textilie wie CO2-Fußabdruck, Reparierbarkeit oder toxische Inhaltsstoffe abrufbar sein.
Die EU-Textilstrategie liest sich wie ein Traum: Alle Kleidungsstücke sind recycelfähig, die Hersteller zahlen bereits für ihre fachgerechte Entsorgung, alles wird wiederverwertet.
Doch wie realistisch ist das eigentlich?
„Die EU ist in Sachen Textilien sehr ambitioniert“, sagt Experte Bretschneider zur WZ. Das sei grundsätzlich gut so, „ein erster Schritt“, aber die Technologie dafür sei noch nicht da. Diese stünde noch am Anfang, sagt auch Reinhard Pierer von Loacker Recycling und kooptierter Vorstand im Verband der österreichischen Entsorgungsbetriebe (VOEB). Bei der neuen Verordnung geht es nicht nur um Altkleider, sondern auch um Industrietextilien.
Das Recycling von Textilien steckt noch in den Kinderschuhen. Die Verfahren sind schwierig, weil bei Textilfasern genau wie bei Plastikprodukten Stoff-Mischungen und Farben eine Rolle spielen und die verschiedenen Fasern nicht leicht voneinander getrennt werden können. Eine sortenreine Sammlung wäre notwendig, sagt Pierer, aber das koste sehr viel Geld, und die Frage, die sich derzeit stellt, ist, wer das alles bezahlen wird.
Die Mode-Hersteller sollen zahlen
Diese Frage wird derzeit in der EU verhandelt. Die Hersteller der Produkte sollen zahlen. Nachdem in einem ersten Schritt beschlossen wurde, dass Textilien gesammelt werden müssen, wird nun über den Preis, den die Hersteller für die fachgerechte Entsorgung zahlen müssen, und eine verpflichtende Beimischung von Rezyklat-Material verhandelt.
Was bedeutet das für Österreich? „Die EU-weite Verpflichtung zur getrennten Sammlung ab 1. Jänner 2025 ist ein Impuls für eine verstärkte Sammlung und Wiederverwendung von Alttextilien. In Österreich passiert das bereits, vor allem durch sozialwirtschaftliche Betriebe und Kommunen, heißt es dazu aus dem Umweltministerium. Auch die MA 48 sieht es so: „Obwohl die Sammlung von Alttextilien ab dem 1. Jänner 2025 in Österreich verpflichtend sein wird, wird sich für die Bürger:innen vorerst wenig ändern, da in Österreich bereits ein umfassendes Sammelsystem besteht und wiederverwendbare Textilien hauptsächlich lokal wiederverwertet werden.“
Dennoch werden laut Umweltbundesamt 77 Prozent der Alt-Textilien in Österreich verbrannt. Ein beträchtlicher Anteil, der laut EU-Richtlinie eigentlich verhindert werden soll. „Die EU-Vorgabe ist relativ vage“, sagt Matthias Neitsch, Geschäftsführer von Reuse Austria. „Wenn man sie defensiv auslegt, ändert sich vorerst nichts“, räumt er ein. Selbst, wenn wir jetzt anfangen würden, alles zu sammeln, hätten wir keine Recycling-Möglichkeiten dafür.
Flächendeckende, einheitliche Sammlung
Da die Abfallwirtschaft Ländersache ist, gibt es von Bundesland zu Bundesland Unterschiede bei der Sammlung und Verwertung. Das Land Steiermark hat vor kurzem angekündigt, einen weißen Sack für Textilien einzuführen. Vorarlberg hat für Textilien einen orangefarbenen Sack. Vorarlberg etwa sammelt gemeinsam mit der Caritas 3.000 Tonnen Altkleidung pro Jahr. Diese wird sortiert, weitergegeben und der Rest wird thermisch verwertet.
„Wahrscheinlich wird es eine flächendeckende Ausrollung für Österreich geben“, sagt Pierer. Entweder das Container-System wird erweitert werden, und es werden mehr Altkleider-Container aufgestellt, oder die Sammlung wird vereinheitlicht. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Textilunternehmer selbst Behältnisse aufstellen. „Derzeit liegt der Fokus nur in der Altkleidersammlung, aber die neue Verordnung zielt auf alle Textilarten ab und hier gilt es, die richtigen und sinnvollen Sammel- und Behandlungssysteme zu finden“, sagt Pierer.
Mehr Sortieranlagen notwendig
Feststeht, dass Österreich in Zukunft mehr Sortieranlagen braucht. Ziel sollte laut Pierer sein, dass die Kleidung wiederverwendet wird, also Re-Use, Second-hand, Recycling. Und die Altkleider sollten möglichst innerhalb der EU bleiben. „Es geht vor allem darum, dass man den Auswirkungen, etwa auf die afrikanischen Länder wie Ghana, Einhalt gebietet“, sagt Pierer, „und den Raubbau an der Erde bremst.“
„Lieber fachgerecht verbrennen als exportieren“
Dass in diesem Fall die thermische Verwertung keine schlechte Lösung ist, darüber sind sich Pierer und Bretschneider einig. „Lieber fachgerecht verbrennen als exportieren“, ist Bretschneider überzeugt. Doch selbst hier würde sich die Frage stellen, wer das zahlt. „Bevor man es wegwirft und Weltmeere damit verschmutzt, ist die Verbrennung über eine moderne Verbrennungsanlage absolut besser“, sagt Pierer. Ausgangspunkt sei aber immer die EU-Abfallpyramide. Die stoffliche Verwertung steht immer vor der thermischen.
„Wir werden uns bemühen, eine sinnvolle Lösung zu finden“, sagt Pierer. „Wir strengen uns an, die Sammelrate von 26 Prozent noch zu erhöhen“, heißt es aus dem Ministerium. Die EU hat ihre Vorgaben gemacht, doch die Umstände sind noch nicht so weit. Noch fehlt es an Sortier- und Recyclinganlagen. „Noch will niemand in eine Recyclinganlage investieren“, sagt Alttextilienverwertungs-Experte Neitsch. Der große Umbruch in der Textilbranche hat begonnen. Österreichs Bevölkerung soll nach wie vor ihre Altkleider „in gutem Zustand“ sammeln und abgeben. Doch schon bald könnte ein anderer Aufruf kommen: Sammelt alles, auch eure Fetzen.
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Infos und Quellen
Genese
Der nächste Schritt in Sachen Müll steht vor der Tür. Ab 1. Jänner müssen Textilien verpflichtend gesammelt werden. Doch wohin damit? WZ-Redakteurin Ina Weber hat versucht, die Spur aufzunehmen, denn noch ist nichts endgültig beschlossen. Feststeht jedoch, dass neben der gelben Tonne beziehungsweise dem gelbem Sack, der blauen Tonne (noch in mehreren Bundesländern), den Altglas-Containern, der Altpapier-Tonne, der Biomüll-Tonne, der Batterie-Sammelstelle, den Medikamenten-Sammelstellen und den Restmüll-Behältern noch ein weiterer Sack beziehungsweise eine Tonne verpflichtend dazukommen wird.
Gesprächspartner:innen
Claus Bretschneider ist Unternehmer, Buchautor und Berater bei Fragen der Nachhaltigkeit in der Textil-Branche.
Reinhard Pierer ist Mitglied des VOEB (Verband österreichischer Entsorgungsbetriebe) und arbeitet bei Loacker Recycling, einem Entsorgungsbetrieb in Vorarlberg.
Matthias Neitsch, Geschäftsführer von Reuse Austria
Pressestelle der MA 48
Pressestelle des Umweltministeriums
Pressestelle der Caritas Vorarlberg
Daten und Fakten
Erweiterte Produzentenverantwortung (EPR: Extended Producer Responsibility) für 2027 vorgesehen: vier Prozent der Produktkosten; die Kosten würden an die Umweltleistung der Textilien angepasst („Ökomodulation“). Frankreich und die Niederlande haben EPR bereits eingeführt.
Große Recycling-Firmen sind Södra, Renewcell und Worn Again Technologies (WAT).
Frankreichs erste industrielle Anlage für automatisierte Sortierung und Recycling von Textilabfällen wurde im Dezember 2023 eröffnet.
Das Textilunternehmen Lenzing aus Oberösterreich arbeitet derzeit gemeinsam mit Södra aus Schweden an einem Recycling-Verfahren.
Im Durchschnitt kaufen die Europäer jedes Jahr fast 26 Kilogramm Textilien und werfen etwa elf Kilogramm davon weg.
Aus der EU-Textilien-Strategie: Bis 2030 sind die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig, bestehen größtenteils aus Recyclingfasern, enthalten keine gefährlichen Stoffe und werden unter Einhaltung der sozialen Rechte und im Sinn des Umweltschutzes hergestellt. Verbraucherinnen und Verbraucher können die hochwertigen und erschwinglichen Textilien länger nutzen, „Fast Fashion“ kommt aus der Mode und wirtschaftlich rentable Wiederverwendungs- und Reparaturdienste sind allgemein zugänglich. In einem wettbewerbsfähigen, widerstandsfähigen und innovativen Textilsektor übernehmen die Hersteller entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Verantwortung für ihre Produkte, und das bis hin zur Entsorgung. Das kreislauforientierte Textilökosystem floriert und verfügt über ausreichende Kapazitäten für innovatives Faser-zu-Faser-Recycling
Quellen
Automatisierte Textilsortierung – Status quo, Herausforderungen und Perspektiven
Umweltbundesamt: Textilien in der Kreislaufwirtschaft